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Kloster Alexanderdorf - südöstlich von Berlin, etwa eine gute Autostunde vom Stadtrand der Hauptstadt entfernt. Ich durfte hier in den vergangenen Jahren immer mal wieder Gast sein und habe als Journalist regelmäßig aus dem Benediktinerinnen-Kloster berichtet.
Schwester Elisabeth Neumann und Schwester Ruth Lazar sind Zeitzeuginnen. Sie haben das Leben als Katholikinnen im KLOSTER und in der DDR erlebt. Und dann die politische Wende, die friedliche Revolution und den Mauerfall vor 35 Jahren.
Schwester Elisabeth ist ein Kriegskind. Sie hat noch die Not und Entbehrungen der Nachkriegszeit erleben müssen:
Schwester Elisabeth: „Ich bin noch in Schlesien geboren. Meine Mutter ist als junge Frau mit mir im Januar 1945 geflüchtet, über Dresden. Wir haben beide die Bombennächte dort überlebt. Mussten dann die Stadt verlassen und meine Mutter ist dann zu Fuß bis nach Thüringen mit mir als Baby gewandert …von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt. Und ist dann im Herbst in Thüringen gelandet.“
Autor: Im südlichen Thüringer Wald in Trusetal wuchs Elisabeth Neumann auf. Ihr Vater kehrte nie aus dem 2. Weltkrieg zurück. Ihre katholische Mutter lernte später einen atheistischen Lehrer kennen, wandte sich vom Glauben ab und trat sogar in die SED ein. Als Kind und Jugendliche verlor sie, trotz des antireligiösen Elternhauses nicht ihren Glauben und trat mit 36 Jahren bei den Benediktinerinnen ins Kloster ein.
Ganz anders verlief der Weg, der etwa eine Generation jüngeren Ruth Lazar, einer gebürtigen Ostberlinerin:
Schwester Ruth: „Bin dort aufgewachsen. Habe die normale DDR-Kindheit und Jugendzeit verbracht. Bin in einer katholischen Familie aufgewachsen und habe eine sehr lebendige Pfarrgemeinde und Pfarrjugend erlebt.“
Autor: Im Kloster Alexanderdorf war Schwester Elisabeth viele Jahre die Ansprechpartnerin für die Gästebetreuung. Besucher können neben dem Stundengebet - fünf Mal am Tag - und dem Feiern der Heiligen Messe dort auch beim Arbeiten mithelfen. Immer nach dem jahrhundertealten benediktinischen Motto „Ora et Labora“ – bete und arbeite!
Schwester Elisabeth: „Es hat sich so ergeben, dass ich für die Öffentlichkeitsarbeit im weitesten Sinn zuständig bin in unserem Kloster. Außerdem begleite auch ich Gäste in geistlichen Übungen und in Einzelgesprächen. Ich bin Cellerarin im Kloster, das heißt ich bin zuständig für Verwaltungsfragen. Außerdem bin ich zuständig für unsere Klosterbibliothek.“
Autor: so beschreibt Schwester Ruth ihren vielseitigen Aufgabenbereich im Kloster. Brandenburg ist mit weniger als 3 Prozent Katholiken eine klassische Diaspora, also eine religiöse Minderheit. Am Fortbestand des Klosters Alexanderdorf gab es dennoch nie ernsthafte Zweifel, sicher auch weil sich die ökumenische Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche zu allen Zeiten sehr positiv entwickelte. Zudem werden die Angebote des Klosters wie Meditationen, Origami- oder Fastenkurse sowie Ikonenmalerei von einem vielfältigen Gästespektrum angenommen. Schwester Ruth:
Schwester Ruth: „Es hat sich insofern auch verändert, dass vor dem Mauerfall unser Gästehaus sehr gerne genutzt wurde von Familien und Familienkreisen aus dem katholisch-kirchlichen Umfeld und jetzt sind es mehr Individualgäste, Einzelne oder Gruppen, die gezielt ein Angebot bei uns suchen.
Musik: City, Am Fenster
Autor: Zu Gast im Benediktinerinnen-Kloster Alexanderdorf in Brandenburg, südöstlich von Berlin. Schwester Elisabeth schildert, wie sie als junge Frau die Kirche in der DDR erlebte:
Schwester Elisabeth: „Katholisches Leben mit viel Freude am Glauben, viel Spaß auch miteinander und auch eine Prägung gegen die herrschende Ideologie, die in der DDR uns auferlegt wurde. Man musste ja auch etwas vorsichtig sein in Schule, was man sagt.“
Autor: Es war vor allem der Wunsch ihrer Mutter, dass sie einmal Lehrerin werden soll. Erst wurde sie abgelehnt, konnte dann aber doch am Lehrerinstitut in Meinigen anfangen:
Schwester Elisabeth: „Meine Mutter hat dann gekämpft für mich, hat alles eingesetzt. Sie ist auch als junge Frau schon in die SED eingetreten, das hat sie dann auch mit eingesetzt, dass sie doch eine treue Genossin sei, während die undankbare Tochter stur an der Kirche festhielt.“
Autor: Das war Anfang der 60er Jahre. Danach haben sich die politischen Verhältnisse zwischen den beiden deutschen Staaten verschärft:
Schwester Elisabeth: „Und da fiel genau der 13. August 1961, der Mauerbau in diese Zeit …da war natürlich, wie dann das neue Studienjahr im September anfing Strenge angesagt …eine Mitstudentin hat mich dann angezeigt, dass ich in den Semesterferien kirchliche Kurse mitgemacht hätte …das hat einen langen Schwanz nach sich gezogen: Aussprachen. Und ich wurde dann im Dezember exmatrikuliert und als Bewährung in einen sozialistischen Produktionsbetrieb eingesetzt, wo ich dann Mistgabeln …stanzen durfte in Akkord“.
Autor: Ihr Stiefvater tobte und auch ihre Mutter war sauer. Aber Elisabeth Neumann ging ihren Weg und lernte in einem katholischen Krankenhaus in Erfurt den Beruf Krankenschwester. Dort arbeiteten die Vinzentinerinnen aus Fulda. Diese gaben ihr erneut Kraft im Hinblick auf ihre spätere Berufung als Nonne:
Schwester Elisabeth: „Die Sehnsucht wuchs dann immer mehr. Aber ich merkte dann auch, dass der Beruf als Ordensfrau in einem tätigen Orden für mich etwas schwierig gewesen wäre. Ich wollte ganz frei sein für das Gebet und ganz für Gott da sein. Ich suchte mehr einen kontemplativen Orden“.
Autor: Über einen Tipp ihres Jugendkaplans kam sie zum Kloster Alexanderdorf nach Brandenburg. Zehn Jahre vergingen, von ihrem ersten Besuch bis zum Eintritt ins Kloster. Der Lebensweg von Ruth Lazar verlief anders:
Schwester Ruth: „Mein Vater war in einer leitenden Position in einem wissenschaftlichen Institut und außerdem in der CDU-Ost und hatte da auch ein Mandat in Berlin in der Stadtverordnetenversammlung, so dass da gewisse Freiheiten waren. Mein Vater konnte uns vier Töchtern den Rücken stärken …, wenn es in der Schule …irgendwie dahin ging, dass wir angezählt wurden, warum wir in der Kirche sind und manches nicht mitmachen.“
Autor: Die Kirche bot ihr Heimat und Schutz. Nur auffallen und provozieren durften die Gläubigen nicht, die staatlichen Stellen der DDR machten dies unmissverständlich klar.
Schwester Ruth: „Die katholische Kirche in der DDR …ist einen Weg gegangen, …also klar für den Glauben, aber nicht positioniert ausdrücklich gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse.“
Autor: Ruth Lazar war schwer beeindruckt, als sie mit 13 Jahren – 1973 – die Internationalen Weltfestspiele in Ost-Berlin sah. Mit Konsequenzen:
Schwester Ruth: „So dass ich so für ein gutes Jahr so ziemlich beeindruckt war von FDJ und von Sozialismus und … dem Kampf von …kommunistischen Leuten in anderen Ländern. …Der Punkt, dass ich da wieder weggekommen bin, war die Firmung die in dieser Zeit anstand und die für mich ein besonderes geistiges Ereignis war.“
Autor: Am 9. November fällt die Berliner Mauer. Schwester Ruth berichtet:
Schwester Ruth: „Da war ich schon im Kloster, schon eine ganze Weile …wir haben ja hier im Kloster kein Fernsehen, damals noch kein Radio …“
Autor: Geahnt hätte man wohl schon länger was…
Schwester Ruth: „Ein paar einzelne Schwestern, die durften Radio hören. …Diese Schwestern haben natürlich nicht die DDR-Nachrichten gehört. …Jedenfalls war der 9. November jetzt nicht vom Himmel gefallen, sondern es gab ja eine Vorgeschichte.“
Autor: Sie erinnert sich an die stets zunehmende Zahl an Ausreiseanträgen oder an Mitbürger, die über Botschaften der Nachbarländer versuchten nach Westdeutschland zu gelangen.
Schwester Ruth: „…, dass die Menschen immer weniger bereit waren sich zu fügen in dieses System und die große Rolle dabei spielte die Reisefreiheit. Dann kamen die großen Demonstrationen ab Oktober ab/in Leipzig. ...Wochen vorher war das Massaker in Peking, das hat die Leute in der DDR, die gewagt hatten zu sagen, ich mache nicht mehr mit und sind auf die Straße gegangen...“
Autor: Die Proteste erreichten auch Kloster Alexanderdorf:
Schwester Ruth: „Wir haben viele christliche, katholische Nachbarn hier in unserem kleinen Dorf, die haben sich jeden Abend bei uns in der Klosterkirche versammelt und Rosenkranz gebetet, dass es friedlich bleibt.“
Autor: Am 9. November waren Geistliche zu Besuch in Alexanderdorf. Als sie ihre Abschlussmesse feierten:
Schwester Ruth: „…fingen diese Priester an am Ende das anzustimmen: Großer GOTT wir loben dich aus vollem Hals“
Autor: Die Mauer war wirklich gefallen, die Nonnen waren glücklich.
Schwester Ruth: „Ich kann heutzutage sagen, immer noch: Es war ein Wunder und viele DDR-Leute haben das in diesen Tagen auch gesagt.“
Schwester Elisabeth: „Wunder oder Wahnsinn haben sie gesagt“
Autor: …ergänzt Schwester Elisabeth. Im Februar 1990 stand sie vor dem Brandenburger Tor, nicht ohne ein Gefühl der Unwirklichkeit…
Schwester Elisabeth: „Ich bin nicht auf die Idee gekommen durch das Tor zu gehen. Für mich war das noch eine unsichtbare Grenze. …Irgendwie war da noch die Sperre innerlich bei mir da. Ganz irre.“
Autor: Schwester Ruth nutzte im Frühjahr 1990 ihre Chance bei einem Berlin-Besuch und sagt schmunzelnd:
Schwester Ruth: „Ich bin durch das Brandenburger Tor gegangen. Wenn unsere Familie Besuch bekommen hat, …sind wir immer ans Brandenburger Tor gegangen und haben da die Mauer gesehen, erlebt, den Reichstag, da so schräg rüber noch Ruine und es war klar: das ist so und das bleibt so.“
Autor: Das Thema aufarbeiten, nach dem Mauerfall Kontakt zur Stasi-Unterlagenbehörde herstellen, das Thema Kirche und Stasi erörtern waren für Schwester Elisabeth keine Option.
Schwester Elisabeth: „Nein ich habe meine Unterlagen nicht angefordert. Irgendwie habe ich ein mulmiges Gefühl davon, ob da was rauskommt, was für mich sehr unangenehm wäre. Manchmal habe ich Angst, dass sie mich abgeschöpft haben, weil ich oft sehr spontan geredet habe. Und man weiß, in einem Kollektiv, wo man gearbeitet hat, war immer ein IM mit dabei. …Oder ich habe dann auch Bedenken gehabt, dass Leute mich beschattet haben, die ich sehr schätze. Also ich möchte es lieber nicht wissen“.
Autor: Mit IM meint Schwester Elisabeth, inoffizielle Mitarbeiter der Stasi. Auch Schwester Ruth reagierte ähnlich:
Schwester Ruth: „Ich habe meine Unterlagen nicht angefordert, das war eigentlich für mich kein Thema. Ich habe keine Repression persönlich erlebt. …Eigentlich wusste man, dass immer irgendwer horcht und guckt. (50:39). Man wusste, dass die Stasi gerne neben kirchliche Einrichtungen jemanden hingesetzt hat, der aufgepasst hat. In meiner Jugend …wir haben das eher sportlich, lustig gesehen. Wir waren, glaube ich, ziemlich blauäugig in dieser Zeit“
Autor: Die Wiedervereinigung - Schwester Elisabeth bekennt offen, aus ihrer Sicht hätte es Alternativen gegeben:
Schwester Elisabeth: „Ich war nicht begeistert, muss ich ehrlich sagen, dass wir wiedervereinigt wurden. Ich habe damals mehr diese Bürgerrechtsbewegung innerlich unterstützt, die einen sozialistischen Staat mit humanistischem Gesicht propagierten, Bärbel Bohley zum Beispiel. …Ich sehe es heute ein, dass das unrealistisch war. Die DDR war kaputt. Da war nichts mehr zu retten und das war die einzige Möglichkeit weiter zu existieren. ...Aber damals hätte ich es lieber anders gehabt.“
Autor: Für ihre jüngere Mit-Schwester Ruth nicht. Sie verkündet mit fast historischen Worten:
Schwester Ruth: „Für mich war dieser Weg, der dann in einer rasanten Schnelligkeit zur Wiedervereinigung geführt hat, sehr folgerichtig und ich war da voll einverstanden. Und ich weiß noch, dass ich am 3. Oktober ein sehr, sehr starkes Gefühl hatte: Jetzt ist der Krieg vorbei“.