Barbara Manterfeld-Wormit
Herr Rothkegel, heute gehört weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerung noch einer christlichen Kirche an, in Brandenburg sind es gerade einmal acht und 10,2 %, die evangelisch oder katholisch sind. Das war ja vor 500 Jahren komplett anders. Christlicher Glaube gehörte da ganz selbstverständlich dazu und war Staatsreligion. Man ließ also seine Kinder taufen, in der Regel schon ganz kurz nach der Geburt.
Was interessiert Sie heute an der Täufer Bewegung, die damals ganz bewusst, ja andere Wege gegangen ist?
Martin Rothkegel
Man muss sich immer klar machen, dass das Christentum eigentlich schon seit der Zeit der alten Römer, seit Konstantin dem Großen ganz eng mit dem Staat verbunden war. Eine Staatsreligion, wo die Untertanen dann auch gar nicht gefragt wurden, an was sie gerne glauben möchten, sondern das entschied dann jeweils die Obrigkeit. Und mich interessieren an der Geschichte des Christentums diejenigen Aufbrüche, wo Menschen den Glauben als eine Sache der Freiheit, auch der freien Entscheidung verstanden haben.
Denn eigentlich wird kein Mensch mit einer religiösen Überzeugung geboren, der Kirchen, Schriftsteller Tertullian Um 200 nach Christus hat man gesagt Christ wird man, als Christ wird man nicht geboren. Und das bedeutet eigentlich, dass die christliche Taufe, durch die man Teil einer christlichen Gemeinde wird, auf das Bekenntnis des eigenen persönlichen Glaubens erst empfangen werden kann. Und dass die Eltern einem Kind so gerne sie es auch möchten, einfach nicht mitgeben können, dass es einmal glauben wird.
Man kann es niemandem anderen vorwegnehmen, genauso wie ich mein Kind nicht schon im Säuglingsalter in eine politische Partei eintreten lassen kann, in der Meinung, es wird ja wohl dann irgendwann diese politischen Überzeugungen haben, so denke ich, eigentlich von meinem Menschenbild her, dass man auch nicht einem anderen Menschen eine Religion aufstecken kann. Und die Täufer Bewegung hat das eben im Jahr 525 wieder aufgegriffen und hat gegen massiven Widerstand des Staates und der Obrigkeit es gewagt, das Christentum wieder zu einer Sache der Freiheit zu machen.
Tatsächlich haben sowohl evangelische als auch katholische Obrigkeiten gleich reagiert auf das Phänomen dieser freien Gemeinden, die sich dann ab 1525 an vielen Orten in vor allem im süddeutschen und schweizerischen Raum, auch im Elsass bildeten. In allen diesen Gebieten stand auf die Taufe Erwachsener die Todesstrafe. Das klingt heute merkwürdig, aber das ist eine Tradition, die kommt schon aus dem römischen Recht.
Schon um 400, als das Christentum zur Staatsreligion des Römischen Reiches gemacht wurde, hat man erkannt Wer freie neue Gemeinden gründet außerhalb der Staatskirche, der untergräbt die Grundfesten der sogenannten christlichen Gesellschaft. Und das traf die Täufer dann auch von Anfang an mit voller Härte. Von der ersten Generation der Täufer sind sehr, sehr viele eines natürlichen Todes gestorben, viele verbrannt.
Die Bessergestellten wurden mit dem Schwert hingerichtet, also enthauptet, und die Frauen wurden meistens ertränkt.
Barbara Manterfeld-Wormit
Vor 500 Jahren entstand die sogenannte Täufer Bewegung. Erwachsene ließen sich taufen als Zeichen der eigenen Glaubensfreiheit, und sie lehnten die Kindertaufe ab. Der Staat und die Herrschenden reagierten darauf mit Gewalt und Verfolgung. Martin Rothkegel, der jetzt bei mir sitzt, ist Professor an der baptistischen Hochschule in Elstal, und er hat sich mit der Bewegung beschäftigt. Herr Rothkegel, was können wir von den Täufer damals, heute noch lernen?
Martin Rothkegel
Wenn wir von Kirche sprechen in einer demokratischen Gesellschaft. Dann haben wir in Deutschland im Grunde einen Sonderfall, dass die Kirche sehr viele öffentliche Aufgaben wahrnimmt, die sie auch sehr gut wahrnimmt, das muss ich sagen. Aber das Zentrum von dem, was Kirche ausmacht, ist eben die Gemeinschaft der Glaubenden. Und Glauben kann man nur freiwillig. Man kann eigentlich christliche Kirche im Volk sein, kann nur eine Gemeinschaft von Menschen, die freiwillig sich zum christlichen Glauben bekennen und sich freiwillig zusammentun sein.
Und ich denke das für das Christentum in Europa eigentlich auch gar keine andere Perspektive besteht, als dass es eine Gemeinschaft von Glaubenden ist und nicht eine große Institution, die als Dienstleister für die Gesellschaft alles Mögliche erledigen kann. Wir können ganz viele Dienste leisten als Christen. Es ist auch gut so, aber die Kirche selbst ist eine Gemeinschaft von Glaubenden, die frei sich zusammentun und die frei ihren Glauben bekennen.
Also die Gesellschaft heute tendiert ja dazu, dass sie in manchen Gegenden nahezu religionslos ist, wo es die absolute Ausnahme ist, wo Menschen überhaupt eine Religion haben. Das Europa um 1525, also in diesem Jahr des Bauernkrieg, da waren eigentlich alle Menschen religiös. Und man muss sich das so ähnlich vorstellen wie in einem theokratischen Gottesstaat. Wie manche militanten Islamisten in islamischen Staaten sich vorstellen oder was auf andere Weise die Islamische Republik Iran versucht.
Also ein Staat mit einer ganz strengen Staatsreligion, wo auch mit der Staatsgewalt die Konformität mit dieser Religion durchgesetzt wird. Das war die normale Situation in Europa im 16. Jahrhundert. Und die Frage war eigentlich nicht, ob man an den lieben Gott glaubt, sondern die Frage war, ob es möglich ist, ohne die Machtausübung des Staates frei seine religiösen Überzeugungen zu wählen und zu leben.
Und das war eben der große Knackpunkt, weil die gesamte staatliche Macht, die Legitimität der Obrigkeit begründet wurde mit dem Christentum. Wenn jetzt Leute da ausbrechen, dann reagiert ein solcher Staat natürlich verschnupft.
Barbara Manterfeld-Wormit
Heute kaum noch vorstellbar, aber so war es. Wie sieht denn die Existenz von Täufer Gemeinden heute aus?
Martin Rothkegel
Die Täufer Bewegung ist wie gesagt in den deutschsprachigen Gebieten ganz brutal verfolgt worden und hat sich dadurch auch, sagen wir mal deformiert. Also wenn Sie ein Pflänzchen so pflanzen, dass es nur ganz wenig Licht bekommt und nur ganz wenig Raum hat, dann verformt sich das Pflänzchen nachdem, was ihm zur Verfügung steht. Und so war es auch mit dem Täufer tum.
Es hat nicht die Gestalt einer modernen missionarischen evangelistischen Freikirche annehmen können, die viele Leute anzog, sondern es hat im Verborgenen seine Mission getrieben, denn Täufer kann man ja eigentlich nur in erster Generation sein. Es wurde dann aber trotzdem in vielen Fällen zu einer Familien kirche. Dass Leute sich zurückzogen aus dem Bürgertum aufs Land. Und aus dieser ursprünglichen Täufer Bewegung haben sich Reste gehalten in der Schweiz, im Elsass, in der Pfalz, in den Niederlanden, in Preußen, Ostpreußen und Westpreußen und von dort sind sie dann häufig nach Amerika ausgewandert.
Und heute bestehen einige konfessionell Familien noch, die in direkter Kontinuität mit diesen Täufer von 1525 oder des 16. Jahrhunderts stehen. Das sind die Mennoniten, die weltweit eine recht große Glaubensgemeinschaft sind, weil sie auch im 19. und 20. Jahrhundert ihre Mission getrieben haben und heute ganz stark auch in Ländern der südlichen Halbkugel vertreten sind. Dann die Amischen, die aus vielen Filmen bekannt sind durch ihre strenge konservative Lebensweise, die bestimmte Technologien ablehnen, und zwar mit der Begründung der Demut, dass Christen demütig sein sollen, wollen sie nicht jeden Fortschritt mitmachen.
Und dann die Hutterer, die auch bekannt sind für ein bestimmtes Merkmal, die heute nur noch in Nordamerika sind. Und ganz sporadisch gibt es auch Versuche, Hutterer zu leben, wieder in Deutschland und Österreich. Aber in Nordamerika betreiben die heute meistens Landwirtschaft. Früher, im 16. Jahrhundert, waren das Handwerker, Kommunen und die leben ohne privat Eigentum auch eine ganz spezielle Lebensweise.
Das erklärt sich dadurch, dass das eine Flüchtlingskrise war. Die Leute kamen zum Teil mittellos, manche hatten dagegen sehr viel mitgebracht. Und dann teilte man eben eine Kommunität lebende Kirche, die heute auch nicht klein ist. Es gibt einige 10.000 davon in Nordamerika, etwa 50.000 Mitglieder leben nach wie vor Community.
Barbara Manterfeld-Wormit
Ich wollte noch so ein bisschen auf das Stichwort Gewaltlosigkeit hinaus. Das spielt ja zumindest auch bei der Kampagne eine besondere Rolle. Nun kann man sagen: Na ja, sollten nicht alle Christen es mit der Gewaltlosigkeit halten?! Ist ja aber so nicht der Fall. Also Stichwort Ukraine, Krieg, Waffenlieferungen. Das wird heiß diskutiert. Ist das so, dass die Täufer Bewegung da auch noch mal einen besonderen anderen Fokus darauf legt, auf dieses Thema?
Martin Rothkegel
Die Täufer Bewegung hat sich relativ früh nach einer Phase des Experimentierens, in der verschiedene Möglichkeiten durchdacht wurden, schon nach zwei Jahren im Wesentlichen auf das Prinzip der Gewaltlosigkeit festgelegt. Und zwar denke ich Was die Leute am meisten bewegt hat, war nicht so sehr die Idee, dass sie diese verfolgten kleinen Täufer Gemeinden jetzt das Problem der Kriege und der Gewalt auf Erden lösen könnten, sondern diese Leute wollten ganz sichergehen mit ihrem ewigen Seelenheil.
Das muss man bei Leuten vor 500 Jahren immer in Rechnung stellen. Wenn die eine Entscheidung in Glaubensdingen erzielen, dann machten sie oft die Entscheidung, wo sie meinten, wo sie am sichersten in den Himmel kommen. Und wenn die in der Bibel lasen, dass Jesus sagt, dass man keine Gewalt anwenden soll und dass man nicht nur nicht töten darf, sondern auch ansonsten nicht aggressiv sein soll und sich nicht wehren soll. Dann haben Sie sich gesagt Um ganz sicher zu gehen, müssen wir das genauso machen. Es gibt eine ganze Reihe von Gedenkveranstaltungen, aber auch Veranstaltungen, die genau diesen Fragen nachgehen Was bedeutet Gewaltlosigkeit für uns heute? Was bedeutet soziale Gerechtigkeit aus christlicher Perspektive? Was bedeutet Freiwilligkeit und Freiheit in Glaubensdingen jeweils mit Bezug auf diese schöpferische Tradition? Da machen eine ganze Reihe von freikirchlichen Gemeinden mit.
Aber auch die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, also die der Dachverband der Ökumenischen Organisationen, die wir hier in Deutschland haben, die Ökumenische Zentrale in Frankfurt und man findet eine Übersicht über Termine und Aktivitäten unter www.taeuferbewegung2025.de
Barbara Manterfeld-Wormit
Was ich jetzt noch mal mitnehme aus unserem Gespräch, ist tatsächlich auch ein ganz wichtiger Aspekt in der heutigen Zeit auch noch mal der Mut zu einem klaren Bekenntnis, der Mut, sich zu positionieren, auch wenn es vielleicht der Ansicht der Vielen widerspricht, an bestimmten Stellen.
Martin Rothkegel
Eigentlich ist das Christentum von seiner ganzen Anlage her eine nonkonformistische Religion. Es ist nicht die Religion, die allen Menschen nach dem Munde reden kann. Es ist nicht die Religion, die man anderen aufzwingen kann. Und wenn Sie in die Bibel schauen, eigentlich auch schon das Alte Testament. Der Gott Israels ist einer, der anders ist als die anderen. Die ganze Bibel ist ein nonkonformistische Buch und für mich bedeutet das, dass man in Glaubensdingen zwar nicht sich abkapseln sollte und andere vor den Kopf stoßen, aber den Mut haben sollte, zu seinen eigenen Überzeugungen zu stehen, seinem Gewissen zu folgen und vielleicht auch um den Preis eben, dass man damit ins Abseits zu stehen kommt.