Autor* Zwischen den schwindenden Sonnenstrahlen treibt der Wind rotgoldenes Laub über nebelverhangene Wiesen. So können wir dieser Tage den November erleben. Einen Monat, der nicht nur für die Herbstzeit steht, sondern auch für die Gedenktage im Kirchenjahr. Es ist das stille Gedenken an diejenigen, die nicht mehr unter uns sind. Für katholische Menschen beginnt es schon Anfang November, an Allerseelen. Im evangelischen Kirchenjahr ruft der Buß- und Bettag zu Umkehr und Gebet auf. Der evangelische Totensonntag fällt dann auf den letzten Sonntag vor dem Ersten Advent. Einkehr und Trauer gehen an diesen Tagen mit dem Gedenken an Verstorbene einher.
Im Rest des Jahres ist dagegen nur wenig Raum, um Tod und Trauer zur Sprache zu bringen. Die Ladenwerkstatt Tränenreich im Potsdamer Stadtteil Babelsberg bietet einen Anlaufpunkt für Trauernde. Ich sprach mit der Ladeninhaberin, Nanni Denecke-Mantey, um mehr über den Hintergrund und ihre Intention zu erfahren, ein Geschäft für Trauerbedarf zu eröffnen:
Nanni Denecke-Mantey Also es war so ein zündender Gedanke, bevor ich das Ladenprojekt geplant hab, dass ich durch Potsdam gezogen bin und dachte dann irgendwie: Oh Gott, es gibt ein Dutzend Läden für die Hochzeit und nichts für die Trauerzeit. Und jetzt überleg mal, wie lang eine Hochzeit dauert und wie lang eine Trauerzeit ist. – Das Tränenreich ist Ladenwerkstatt eigentlich im besten Sinne. Also, ich hab ja vorne den Ladenteil, wo man tatsächlich Erinnerungs-, Troststücke als Trauergeschenke kaufen kann, die kann man alle auch selber machen in den Trauerbegleitungen, die ich anbiete. Die sind dafür da, dass wir beim Reden ins Tun kommen und tatsächlich dadurch ganz, ganz individuelle Erinnerungs- und Troststücke herauskommen. Das weiß man vorher nicht, wo die Reise hingeht, weil – das ergibt sich eben. Durchs Werkeln, habe ich schon ganz oft die Erfahrung gemacht, ist diese Verbindung, die man zum Verstorbenen hatte, wird dann so präsent und Entscheidungen kommen so aus dem Bauch heraus, dass das einfach nochmal etwas so Besonderes ist und immer auch die Möglichkeit besteht: Du musst nicht reden, sondern du kannst. Und das unterscheidet es halt von der üblichen Trauerbegleitung.
Autor* Menschen, die das Tränenreich von Nanni Denecke-Mantey betreten, bringen meist einen besonderen Gesprächsbedarf mit. Da entsteht schnell eine „mitfühlige“ Beziehung, erklärt die Ladeninhaberin. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen jedoch die selbst entwickelten und hergestellten Trauer- oder Troststücke aus Dingen der Verstorbenen. Die Erinnerungsobjekte sollen für alle erschwinglich und vor allem individuell sein. Eng damit verbunden, ist aber auch viel Aufklärungsarbeit, um enorme Unsicherheiten und Scham von Trauernden aus dem Weg zu räumen. Denn Trauer, sagt Nanni Denecke-Mantey ist nicht kontrollierbar, sondern etwas Intuitives, das uns erstmal überrollt. Ich wollte daher von ihr wissen, ob es uns vielleicht an einer Trauerkultur mangelt und wir uns zu wenig mit dem Tod beschäftigen, bevor er uns irgendwann begegnet.
Nanni Denecke-Mantey Es gibt ja so diese Sprüche, die Trauerende sich so oft auch immer noch anhören müssen: „Es muss mal wieder gut sein.“ Oder: „Ach, Mensch, bist du immer noch traurig?“ Und da habe ich dazu auch so tolle passende Antworten mittlerweile gehört von anderen Trauernden irgendwie. Also dieses „Bist du immer noch traurig?“ So, dass du denkst: „Äh, ja – ist ja auch immer noch tot.“ Also, was soll diese Frage? Man kommuniziert praktisch auf ganz unterschiedlichen Ebenen, dann. Und ich denke, diese Sprüche oder diese Fettnäpfchen, in die man so im Kontakt mit Trauernden oft reintritt, die kommen halt eben auch nicht von ungefähr. Zum einen: ja, wir beschäftigen uns definitiv zu wenig. Andererseits kannst du auch niemanden zwingen. Denn dieses Vermeiden des Themas ist ja psychologisch ganz einfach zu erklären: Man beschäftigt sich nicht freiwillig mit Sachen, die einem Angst machen, die einen selber traurig machen, an frühere Verluste auch erinnern. Und wenn’s dann aber passiert und du jemanden verlierst, der dir sehr, sehr nahesteht, dann merkst du mit welcher Wucht das einfach reinknallt. Und wie eben nicht einfach alles wieder gut wird oder du zurückschwingen kannst auf dein Arbeitslevel oder was auch immer, weil sich total viel verändert dadurch. Und ich hab auch so ein bisschen ein Problem mit diesem Begriff Trauerverarbeitung – ich hab auch lange überlegt, warum ich das so komisch finde: Verarbeitung. Und es klingt für mich halt nach: Ja, jetzt machst du dis, dann machst du dis. Ich kauf mir das Buch Wie trauere ich richtig, zum Beispiel [lacht]. Und ja, Klappe zu und dann ist eben irgendwann wieder gut. Und das ist es eben überhaupt nicht. Also es geht halt wirklich darum: Wie arbeite ich das ein? Und da es uns aber alle betrifft, früher oder später, tun wir total gut daran, uns damit zu beschäftigen.
MUSIK: Billie Eilish Everybody Dies
Autor* Heute ist auch ein stiller Gedenktag, Volkstrauertag. Ein Tag an dem den Opfern von Gewalt und Krieg gedacht werden soll. Tod und Trauer sind zentrale Themen des Lebens. Und trotzdem gibt es für die meisten nur seltenen Gelegenheit, darüber zu sprechen. So werden Hinterbliebe oft nicht nur vom Tod, sondern auch von ihrer Trauer völlig überwältigt, sind orientierungslos einer Flut von Gefühlen ausgesetzt. Diesen Menschen bietet auch das Trauer- und Lebenscafé der Kirchengemeinde Bornstedt in Potsdam einen Raum, über ihren Verlust offen und unverstellt ins Gespräch zu kommen. Angelika Behm vom Gemeindekirchenrat Bornstedt kennt das Bedürfnis Hinterbliebener, in unserer Gesellschaft offener mit dem Tod und der Trauer darüber umzugehen.
AB-01 1:41min Der Wunsch, mit der Trauer wahrgenommen zu werden, der ist sehr groß. Gerade bei Menschen, die schon etwas älter sind und vielleicht 40, 50, 60 Jahre verheiratet waren und da der Partner oder die Partnerin sterben, da ändert sich ja das ganze Leben mit der Trauer, da geht ja alles durcheinander. Und diese Menschen haben ein Bedürfnis nach Gespräch, nach Angenommensein, nach Akzeptanz und immer wieder der Bestätigung: all das, was dir in deiner Trauer jetzt widerfährt – wir sprechen ja auch von einem Chaos der Gefühle in der Trauer, die ja von der Traurigkeit, über Wut, über ein großes Gefühl der Einsamkeit, auch Dankbarkeit, auch Freude, alles ist dabei – das auch irgendwo aussprechen zu können und da zu sein. Und da gibt es, denke ich, auch in unserer Gesellschaft noch viel zu wenig Angebote. Was ja ein Grund ist, warum wir hier im Potsdamer Norden, in Bornstedt, vor vier Jahren das Trauer- und Lebenscafé gegründet haben. Damit Menschen einen Ort haben, wo sie so sein können, wie sie sind und ihre Trauer zur Sprache bringen können und gehört werden können und das Gefühl haben: Ach ja, anderen geht’s ähnlich, ich bin doch nicht allein mit meiner Trauer. Denn viele Menschen haben so ein Trauerlebnis, so ein starkes, vorher nie gehabt. Das ist was ganz Neues in ihrem Leben. Und da Gesprächspartner zu sein und den Mut zu haben, auch darüber zu sprechen. Ich denke, das ist auch etwas ganz Wichtiges in unserer Gesellschaft, Mut zu haben, über die Trauer zu sprechen.
Autor* Das Trauer- und Lebenscafé in Potsdam-Bornstedt öffnet ein Mal im Monat seine Türen, um in gemütlicher Atmosphäre an schön gedeckten Tischen miteinander ins Gespräch zu kommen. Dabei helfen auch die thematischen Anregungen und angebotenen Aktivitäten für Trauernde. Der Zulauf ist groß, auch über die Stadtteilgrenzen hinaus. Denn die seelsorgerische Unterstützung durch den Gemeindepfarrer allein, reicht oft nicht aus, um der Trauer gerecht zu werden, wie Friedhelm Wizisla, Pfarrer der Gemeinde Bornstedt, berichtet.
Friedhelm Wizisla Seelsorge gehört natürlich zur Kernaufgabe eines Gemeindepfarrers, also Besuche machen, in Krisen da zu sein und Trauer zu begleiten. Andererseits ist es so, dass nach einer Beerdigung schon irgendwann die nächste Beerdigung kommt und dass der Alltag manchmal so dicht ist, dass da nicht jeder Trauersituation so nachgegangen werden kann. Ehrlich gesagt, geraten mir auch Menschen aus dem Blick, die unmittelbar ganz verzweifelt waren und die ich dann nicht mehr getroffen habe. Und dann ist so ein Angebot natürlich auch mal eine Möglichkeit, auch mal mit einer anderen Person dieses Thema zu besprechen, oder nochmal zu besprechen und nochmal zu besprechen, bis auch etwas von dem Stein weggewälzt ist.
Autor* Der Bedarf Trauernder ist groß, weshalb die Kirchengemeinde Potsdam-Bornstedt seit diesem Jahr auch regelmäßig an einem Sonntag einen Trauer- und Lebensspaziergang anbietet. Beim Laufen können die Teilnehmenden sehr gut miteinander ins Gespräch kommen und sich über ihre Trauer austauschen. Es braucht auch solche Bewegungsangebote, erklären Angelika Behm und Pfarrer Friedhelm Wizisla, da Trauer durchaus auch den Körper betreffe.
Angelika Behm: Trauer soll fließen. Trauer soll ja nicht weggemacht werden, sondern Trauer soll ausgelöst werden und Trauer soll fließen. Und das ist in der Bewegung am allerbesten. Und es ergeben sich sehr intensive Gespräche, weil da eben zwei miteinander gehen und sich ihre Geschichten erzählen.
Friedhelm Wizisla: Ja. Und das führt ja sogar zu Schäden, also wenn jemand seine Trauer immer so festhält, das wirkt sich körperlich aus.
Angelika Behm: Ja. Canacakis, ein griechischer Trauerforscher, hat gesagt: Alle nicht geweinten Tränen wandern im Körper herum.
MUSIK: Soap & Skin Vater
Autor* Die Ladenwerkstatt Tränenreich ist ein Ort für Trauernde und Tröstende in Potsdam-Babelsberg. Und dessen Tür steht auch Menschen offen, die beispielsweise um ihr Haustier trauern. Mit der Ladeninhaberin, Nanni Denecke-Mantey, habe ich auch darüber gesprochen, ob es möglich ist, sich auf den Tod und die folgende Trauerzeit irgendwie vorzubereiten.
Nanni Denecke-Mantey So richtig kann man sich nicht darauf vorbereiten. Worauf man sich allerdings vorbereiten kann – und das finde ich halt so wichtig – ist, was mittlerweile alles möglich ist. Ich bin drauf angewiesen, wenn ich mich im Vorfeld nicht damit beschäftige, was geht – nicht nur in der Trauerzeit, sondern eben ganz praktisch bei der Bestattung – und der Verstorbene das auch nicht gemacht hat. Dann höre ich das hier immer wieder: „Das hat mir mein Bestatter gar nicht gesagt.“ „Ach, das geht?“ „Wie, ich kann mir selber die Urne aussuchen?“ – Natürlich kannst du dich verabschieden. Und natürlich kannst du – hier in Brandenburg ist es so, dass du zwei oder drei Tage deinen Verstorbenen auch noch mit nachhause nehmen kannst, als die Aufbahrung zuhause machen kannst. – Jedes Bundesland entscheidet das nochmal selber. – Natürlich kannst du dir eine Urne selber machen oder irgendwo anders aussuchen, oder den Sarg gestalten und kannst den Verstorben, wenn du das möchtest, selber mit ankleiden, oder selber auch waschen. Ich finde das eine ganz, ganz wichtige Information für verwaiste Eltern. Weil, wenn die nicht die Info kriegen, dass die das dürfen, dass das ihr gutes Recht ist, dann ist das einfach für alle mal weg. Und dieses Bedürfnis, dem Verstorbenen auch nochmal etwas ganz besonders Schönes, ganz besonders Gutes zu tun, ist unheimlich groß bei den Hinterbliebenen.
Autor* Menschen brauchen Zeit und Platz für ihre Trauer. Und gerade, weil uns alle dieses Thema angeht, braucht es einen offeneren Umgang mit dem Tod. Und es braucht mehr Angebote wie das Trauer- und Lebenscafé oder den gleichnamigen Spaziergang der Kirchengemeinde Potsdam-Bornstedt. Mehr Orte wie das Tränenreich, um über die eigene Trauer zu sprechen oder auch ins Handeln zu kommen.
MUSIK: Nick Cave & The Bad Seeds Death Is Not The End