01.12
2024
08:40
Uhr

Advent – Eine Zeit des Wartens

Sprecher: Hannes Langbein
Sprecherin: Christiane Voigt

 

Sprecher 1:

Wie läuft das eigentlich? Kippen wir einander am Weihnachtsmorgen 24 Schokoladentäfelchen auf den Tisch und sagen: „Zack, hier, zur Feier des Tages“? Nein, denn das würde dem Prinzip Weihnachten widersprechen: Alles auf einmal zu wollen, ist das Gegenteil von freudiger Erwartung. Lieber jeden Tag ein anderes Stück Schokolade hinter den Türchen des Adventskalenders als alle auf einmal. Weil wir vor Weihnachten etwas tun, was wir so gut wie verlernt haben: Vorfreude.

Früher waren zum Beispiel Schallplatten, Bücher und Filme Quellen der Vorfreude. Wenn Kate Bush eine neue Platte rausbrachte, musste man warten, bis es sie im Plattenladen gab. Der Plattenhändler sagte: Vielleicht am Freitag, spätestens am Montag. Wenn sie dann da war, musste man sie nachhause tragen. Auf dem Weg konnte man sie nicht hören, man konnte sie sich höchstens vorstellen. Zu Hause musste man die Platte aus der Hülle holen, dann aus der Innenhülle, sie dann in einer Hand balancieren, ohne aufs Vinyl zu fassen, den Deckel des Plattenspielers hochklappen und so weiter – alles reine, unverfälschte Vorfreude.“

(Till Raether, Das Verschwinden der Vorfreude. Aus: Der andere Advent 2019. Andere Zeiten e.V. (Hrsg.)

Musik 1 Kate Bush December will be Magic again

Autorin 1:

Und das war sie: Kate Bush – passend mit December will be Magic again. Nun, diese unglaublich hohe Stimme ist vielleicht nicht jedermanns Geschmack. Aber der Wunsch, dass dieser Monat Dezember auf den letzten Metern tatsächlich magisch wird mit frohen Weihnachtstagen und allem, was dazu gehört, der verbindet uns alle. Der Kolumnist und Autor Till Raether hat das als Beispiel freudiger Erwartung beschrieben: das Gefühl damals, wenn er die neue Platte von Kate Bush endlich in Händen hielt. Damals, als man Musik nicht einfach runterladen konnte und nicht jeder Lieblingssong hier und sofort und jederzeit verfügbar war. Als man tatsächlich warten musste – etwas, was ja den meisten Menschen schwerfällt. Eine Kollegin erzählte von ihrem 1. Advent, als der fünfjährige Sohn so seltsam still war im Kinderzimmer. Als sie die Tür öffnete, saß er da selig und spielte im Pyjama mit seinen 24 Plastikflugzeugen aus dem Adventskalender. Alle Türchen geöffnet – direkt am 1. Dezember.

Eine witzige Anekdote, aber Hand aufs Herz: Machen wir Großen es nicht genauso? Und unsere Kinder machen`s nur nach? Hat denn jemand von uns tatsächlich Lust zu warten, wo man doch so schön bestellen kann mit wenigen Klicks – und ein bis zwei Liefertage später kommt alles direkt ins Haus? Unser DHL-Bote hat jedenfalls alle Hände voll zu tun in der Vorweihnachtszeit in unserem Haus mit 15 Mietparteien. Und selber keine Zeit zum Warten, denn Zeit ist schließlich Geld. Und immer mehr Arbeit wird in diese Zeit gequetscht. Der Druck und die Last sind groß in diesem Beruf.

Und überhaupt: Warten ist doch in den wenigsten Fällen mit Freude verbunden – eher mit Stress und Anspannung: An völlig überfüllten Kassen in den Kaufhäusern und Geschäften oder im Weihnachtsstau auf der Autobahn. Verlorene Zeit, oder nicht?

Wenn Sie sich jetzt schon die Zeit zum Zuhören nehmen, dann machen wir gemeinsam das Beste draus. Dann soll es keine vertane, sondern eine erfüllte Zeit sein. Eine, in der es ein paar Anregungen gibt, wie aus dem Warten und aus Stress und Anspannung eine freudige Erwartung entstehen kann. Bewusstes Innehalten – jetzt. Sofort.

Musik 2 Christmas Guitar Track 9 God rest Ye Merry Gentlemen   

Autorin 2:

Die Bibel ist ein Buch des Wartens. Selten ist es umsonst. In fast allen Fällen lohnt es sich, innezuhalten, zu warten, nichts zu tun, sondern einfach nur da zu sein, um zu schauen und zu lauschen, in sich hineinzuhören, bis am Ende etwas Großes geschieht. Nicht auf Knopfdruck. Nicht weil Menschen es fordern, sondern weil Gott es will und möglich macht.

Weihnachten geschieht so etwas Großes: Gottes Sohn kommt in die Welt. Nach einer langen, sehnsüchtigen  Zeit des Wartens.

Sprecherin 1:

Da sandte Gott den Engel Gabriel in eine Stadt Galiläas, die Nazareth heißt. Dort lebte ein Mädchen, Maria hieß sie… Und der Engel trat zu ihr und sagte: „Sei gegrüßt, liebe Maria, du bist gesegnet, Gott ist mit dir.“ Maria aber erschrak über diese Worte… und wusste nicht, was dieser Gruß bedeutete. Da sagte der Engel: „Fürchte dich nicht, Maria, Gott ist dir gnädig. Du wirst schwanger sein und einen Sohn gebären, den du Jesus nennen sollst. Sohn des Höchsten! … König in Ewigkeit; ohne Ende ist sein Reich…“. „Ich bin die Dienerin des Herrn,“ antwortete Maria, „es geschehe, wie du gesagt hast. Ich bin bereit.“ Da verließ sie der Engel.

(Lukas 1, 26 ff. in Auszügen, zit. nach: Walter Jens, Die vier Evangelien. Stuttgart 2003, S. 147 f.) 

 

Autorin 3:

Es ist eins der wenigen Ereignisse, wo wir das Warten hinnehmen. Nicht als lästige Begleiterscheinung, sondern als tatsächliche Zeit der Vorbereitung und Vorfreude: Wenn junge Eltern ein Kind erwarten, wenn eine Frau schwanger wird, dann wissen wir: neun Monate wird es dauern. Eine wichtige Zeit des Wachsens und der Entwicklung beginnt. Des sich Einlassens auf das entstehende Leben und die damit einhergehenden Veränderungen. Es braucht diese Zeit, die eben auch Ruhepausen beinhaltet. Momente des Nichtstuns, wo die werdende Mutter einfach nur die Füße hochlegt, ihren eigenen Gedanken nachhängt, die Verbindung spürt zum Kind, das in ihr wächst. Kraft schöpft und Mut, für alles Kommende. Bis das Baby dann da ist – und alles sich ändert. Und spätestens dann klar ist: Das lange Warten hat sich gelohnt.

Musik 2 s.o. Track 1 Joy to the World 

Autorin 4:

Das Warten auf den Messias, den Retter und Heilsbringer, den Christen zu Weihnachten in Jesus gekommen sehen, ist älter als die Geschichte von der Verkündigung des Engels an Maria. Es durchzieht die Geschichte des Volkes Israel, von dem der erste Teil der Bibel erzählt. Propheten haben diesen Retter lange angekündigt. Generationen von Menschen haben ihn herbeigesehnt. Immer dann, wenn das Leben besonders schwer, dunkel und aussichtslos erschien, wurden Stimmen laut, wurden Hoffnungsbilder von ihm entworfen – sie alle erzählen davon, dass eines Tages das Warten ein Ende hat. Dass es sich lohnt. So soll es der Prophet Jesaja schon vor Tausenden von Jahren verkündet haben:

Sprecherin 2:

Denn es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind. … das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude… Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.

(Jesaja 8, 23 + 9, 1ff. in Auszügen, Lutherübersetzung)

Autorin 5: 

Ein halbes Jahrtausend sollte es dauern, ehe sich die Prophezeiung des Propheten Jesaja mit der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem für Christen bewahrheiten sollte. Viele Menschen warten weiterhin auf die Rettergestalt, den einen, der tatsächlich dauerhaft Frieden stiftet unter den Völkern. Frieden – sozialen Frieden in dem Land, in dem wir leben. Frieden unter uns – zwischen Menschen, die sich einmal geliebt haben. Zwischen Eltern und ihren Kindern, Nachbarn, Freunden und Kollegen. Auch das bedeutet Weihnachten feiern: die Hoffnung nicht aufgeben, dass das möglich ist. Einmal im Jahr im Kleinen – unter dem Weihnachtsbaum. Warum dann nicht auch immer öfter - und irgendwann vielleicht für immer?   

Musik 3 s.o. Track 14 Carol of the Bells

Autorin 5:

Es gibt zwei Formen des Wartens: das, gegen das ich mich innerlich sträube, das ich als Störfaktor erlebe, weil es mich am wahren Leben, an meiner Arbeit, am nächsten Termin hindert – und dieses andere Warten, das ich selber annehme, vielleicht sogar herbeisehne, um einmal auszusteigen aus der Zeit, die sich ständig weiterdreht. Um zur Ruhe zu kommen, mich selber wieder zu verorten. Um zu schauen: Wo bin ich eigentlich gerade? Wie geht es mir? Was und welche Menschen sind mir wichtig? Wonach sehne ich mich? Wartezeit kann man nutzen. Wer sie annimmt, für den kann sie tatsächlich zu einer Zeit der Erwartung werden. Zeit, die nicht sinnlos vergeht, sondern mich und mein Leben sinnvoll verändern kann. Wie es Zachäus damals passiert ist. Seine Geschichte wird im Lukasevangelium erzählt: 

Sprecherin 3:

Dann kam Jesus nach Jericho, hielt seinen Einzug unter den Menschen und ging durch die Straßen, über die Plätze, an den Häusern vorbei. Dort lebte ein Mann, sein Name Zachäus, ein Steuereinnehmer… und dieser Mann wollte Jesus um jeden Preis sehen, denn er hatte viel von ihm gehört. Aber das Volk versperrte ihm den Weg: Zachäus war schmächtig und klein. Da lief er, weit vor den andern, auf die Felder voraus und kletterte auf einen Maulbeerbaum: Hier kann ich ihn sehen, hier kommt er vorbei! Und Jesus kam wirklich, blickte empor, sah Zachäus hoch in den Ästen und rief hinauf: „Ich möchte bei dir bleiben, heute, in deinem Haus.“ – „Herr! Ich nehme dich mit Freuden auf!“

(Lukas 19, 1ff. in Auszügen, zit. nach: Walter Jens, Die vier Evangelien. Stuttgart 2003, S. 229 f.)

Autorin 6:

Die Geschichte von Jesus und Zachäus ist für mich eine Adventsgeschichte. Auch wenn sie gar nichts mit der Geburt Jesu zu tun hat. Weil sie vom Warten handelt – nicht vom sinnlosen Warten, sondern vom gespannten Erwarten. Vom Kommen Jesu. Von Advent und Weihnachten. Zachäus spürt, dass etwas in seinem Leben fehlt, dass etwas nicht stimmt. Und ahnt, dass dieser Jesus die Antwort auf seine Sehnsucht ist. Er steigt aus – im wahrsten Sinne des Wortes: Er steigt aus aus seinem gewohnten Leben, verlässt den üblichen Blickwinkel, um mehr, um besser, um anders zu sehen. Rauf auf den Baum – dort oben wird er gesehen – und Jesus ruft ihn runter, lädt sich selber bei ihm ein. Die Begegnung wird Zachäus verändern. Er lässt sein altes Leben hinter sich, richtet sich neu aus – auf Jesus und auf seine Mitmenschen. Weihnachten eben.

Warten lohnt sich. Erwarten Sie etwas von diesem besonderen Fest, von Gott, der kommt und uns verändern will. Unser Leben neu ausrichten will auf die wesentlichen Dinge. Neu ausrichten aufeinander. Genießen wir diese Vorfreude:         

 

Sprecher 2:
Wir brauchen die Vorfreude. Unser Gehirn ernährt sich geradezu von ihr. Sie dient ihm dazu, allerhand positive Fähigkeiten auszubilden. Zum Beispiel Zuversicht. Oder: ein realistisches, aber positives Selbstbild. Lebenszufriedenheit… Indem man wieder verbindliche Verabredungen trifft, auf die man sich freuen kann, statt sich bis zum letzten Moment alles offenzulassen. Indem man Dinge plant, die sich nicht runterladen lassen, analoge Vergnügungen wie Spaziergänge, Kochen, Sport oder ein Museumsbesuch. Indem man wieder lernt, die Termine, die einem bevorstehen, nicht als Stress zu empfinden, sondern als etwas, worauf zu warten sich lohnt. Dann wer das Leben ab Januar wieder hier und da wie die Vorweihnachtszeit für ein Kind.

(Till Raether, Das Verschwinden der Vorfreude. Aus: Der andere Advent 2019. Andere Zeiten e.V. (Hrsg.)         

Schlussmusik John Legend – Waiting for Christmas