31.05
2025
08:40
Uhr

Aus dem Trubel in die Stille

Warum die Autorin Nora Bossong so gerne zu Gast im Kloster ist

Ein Beitrag von Rocco Thiede

Autor:
Nora Bossong ist eine sehr erfolgreiche Schriftstellerin. Sie lebt in Berlin und hat mit ihrem literarischen Werk in den vergangenen Jahren großen Zuspruch bei Lesern bekommen. Ihre Romane landen regelmäßig auf renommierten Bestsellerlisten. Kürzlich erst mit „Reichskanzlerplatz“ – erschienen bei Suhrkamp. Es geht darin um die 20er, 30er und 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts geht, den politischen Wandel in Deutschland und Europa bis zum Ende des Nationalsozialismus. Im Zentrum des Buches steht das Leben von Magda Goebbels, der Frau des damaligen NS-Propagandaministers und um einen ihrer frühen Liebhaber, eigentlich ein homosexueller. Das Buch ist mit seinen politischen und menschlichen Bezügen sehr aktuell und zeitgemäß.
Aber Nora Bossong ist nicht nur eine angesehene Autorin, sondern ebenso gläubige Christin. Wir treffen uns in einem Charlottenburger Café, ganz in der Nähe ihrer Wohnung. Als Katholikin und Schriftstellerin geht Nora Bossong seit Jahren regelmäßig ins Kloster: 

Nora Bossong:
Es ist eine Zeit, die so ein bisschen außerhalb der Zeit ist. Man folgt ja, wenn man denn möchte, dem Tagesablauf der Schwestern, den Stundengebeten, der Messe. Der Tag ist ganz anders strukturiert als unser Alltag. Das ist nicht von so einer Zweckhaftigkeit gehetzt, sondern hat sehr viel Kontemplatives, sehr viel Sinnstiftendes und es ist wirklich eine Auszeit im wahrsten Sinne. Man tritt auch ein bisschen aus der Gegenwart heraus.

Autor:
Die Bestsellerautorin Nora Bossong, schätzt die schöne Atmosphäre in den Klöstern. Besonders die Gastfreundschaft der Nonnen gefällt ihr:

Nora Bossong:
Für mich ist es ein sehr guter Rückzug, weil es auch Dinge ein bisschen auch wieder in Relation setzt. Dinge, die wir im Alltag für unglaublich wichtig nehmen, die uns stressen, die uns an die Nieren gehen oder die uns vielleicht auch hochmütig werden lassen, das fällt da so ein bisschen ab. Und die Dinge, die dann vielleicht wirklich wichtig sind, die treten ein bisschen genauer hervor.

Autor:
Als katholische Christin ist Nora Bossong gern im Kloster zu Gast. Sie kann sich dort vom Alltag zurückziehen. Erholt sich von den anstrengenden Lesereisen und findet in der Abgeschiedenheit auch Zeit zum Nachdenken:

Nora Bossong:
„Man ist in einem Turnus, den es seit Jahrhunderten gibt, der seit Jahrhunderten auch so eingehalten wird. Und ich finde, man erlebt sich selbst noch mal anders. Auch wenn man natürlich zu Gast nur beim Miteinander so ein bisschen auf Stippvisite ist.“

Autor:
Wer selbst schon einmal zu Gast in einem Kloster war, sich dort eine Auszeit nahm, wird die Erfahrungen von Nora Bossong bestätigen können. Wann war sie das erste Mal zu Gast in einem Kloster? Und überrascht erfährt man:

Nora Bossong:
„Mein allererster Klosterbesuch war tatsächlich in einem evangelischen Kloster. Das war ein Projekt der Klosterkammer Hannover. Ich hatte den Auftrag, dort zwei oder drei Wochen zu verbringen und über das Kloster zu schreiben in einer literarischen Form. Das fand ich eine sehr schöne Aufgabe. Ich merkte nur, dass mir in diesem protestantischen Kloster, was eigentlich kaum Regeln hatte, die Regeln fehlten. Nicht dass ich immer Regeln brauche, aber das war eigentlich das, was ich gesucht hatte. Dieser Tagesablauf der so seine selbstverständlichen und festgefügten Zeiten hat.“

Autor:
Die 43-jährige Schriftstellerin hat für sich herausgefunden, dass sie ihre Auszeiten besser in katholischen kontemplativen Klöstern verbringt. Sie schätzt daran insbesondere:

Nora Bossong:
„Das gemeinsame Gebet, die gemeinsame Stille, die gemeinsame Andacht. Weil, allein für mich sein, das kann ich in Berlin auch sehr viel und sehr gut. Ich habe kein Problem mich auch in belebten Städten zurückzuziehen und einfach an meinem Arbeitstisch zu sitzen.“

Autor:
Für Nora Bossong steht die Arbeit als freie Autorin in krassem Gegensatz zum katholischen Klosterleben auf Zeit. Und gerade diesen Kontrast sucht sie:

Nora Bossong:
„Tatsächlich mich mal in eine Zeit hinein fallen zu lassen in der ich mir nicht eine eigene Struktur geben muss. Das ist für mich als Freiberuflerin, die ich mir immer meine eigene Struktur geben muss, eigentlich fast wie Erholung.“

Autor: 
Nora Bossong, wollte aus dieser Erfahrung heraus, andere katholische Klöster besuchen.

Nora Bossong:
„Ich war bei den Karmeliterinnen hier in Berlin in Maria Martyrum, bei den Benediktinerinnen in Hildesheim und bei den Zisterzienserinnen in Helfta.“

Autor:
Zuletzt besuchte Nora Bossong, die Benediktinerinnen in Alexanderdorf, südöstlich von Berlin in Brandenburg. Das Kloster, einst ein typischer, preußischer Gutshof, überstand die Nazi-Zeit und war das einzige Benediktinerinnen-Kloster in der DDR:

Nora Bossong:
„Bei Alexanderdorf spürt man, glaube ich schon diese durchgehende Geschichte, vielleicht auch ein gewisse Widerständigkeit, die sich dadurch gebildet hat. Weil das waren jetzt nicht alles Zeiten, bei denen Klöster besonders beliebt waren, ob jetzt in der Durchschnittsgesellschaft oder in der politischen Elite. Aber ich glaube das können wahrscheinlich besser die Frauen sagen die dort wirklich Leben ob das auf einen übergeht, ob es so ein fast trotziges Refugium ist.  Aber es hat sich behauptet an diesem Ort.“ 

Autor:
Wer zum Beispiel ins Kloster Alexanderdorf geht, kann, aber muss nicht an allem teilnehmen, was das Leben der Ordensfrauen ausmacht. 

Nora Bossong:
„Ich versuche schon die meisten Stundengebete zu mindestens anwesend zu sein. Ich finde gerade die sehr frühen toll. Ich mag es zwar früh aufzustehen, aber so früh stehe ich dann doch nicht auf normalerweise in meinem Alltag. Das finde ich hat noch mal eine ganz besondere Atmosphäre selbst im Frühjahr und Herbst vor der Dämmerung aufzustehen und dann so zu erleben, wie der Tag beginnt und anfängt: das finde ich ein ganz großes Geschenk“. 

Autor: 
Was die Länge eines Klosteraufenthalts betrifft, machen die Klöster meist die eine oder andere Vorgabe. Etwa: nicht nur eine Nacht – oder: nicht länger als fünf oder sieben Tage. Nora Bossong zur Frage, wie lange bleibe ich als Gast im Kloster:

Nora Bossong:
„Es ist schön, wenn man eine Woche Zeit hat. Ich glaub länger als eine Woche, dann muss ich halt doch irgendwann wieder zurück ins säkulare Leben und zu den ganz weltlichen Dingen. Aber auch zwei Tage sind schon viel. Weil diese Zeit ebenso anders tickt, dass da schon, die Gedanken einmal auf den Kopf gestellt wurden.“      

Musik: Wir sind Helden | Nur ein Wort

Autor:
Bestsellerautorin Nora Bossong hat schon einige Klöster in Deutschland besucht. Bei Karmeliterinnen im Kloster Regina Martyrum in Berlin oder bei den Zisterzienserinnen in Helfta in Sachsen-Anhalt war sie sogar schon zwei Mal. Sie erzählt in einem Café in Berlin von den Unterschieden in den Klöstern:

Nora Bossong:
„Jede Gemeinschaft hat eine ganz eigene Stimmung. Ich würde auch sagen, dass die Benediktinerinnen in Hildesheim natürlich auch noch einmal anders sind als die in Alexanderdorf. Ich könnte jetzt gar nicht sagen, das und das ist anders. Aber es ist wie eine andere Familie. Es ist ja auch nicht jede Familie gleich. Und die unterschiedlichen Orden zeichnen sich dann durch andere Ordensregeln - der Fokus ist bei den Zisterzienserinnen noch einmal anders gesetzt als bei den Benediktinerinnen oder im Karmel bei Regina Martyrum.“

Autor:
Die Kloster Erlebnisse der Schriftstellerin fließen in ihre Werke ein. Sie setzt diese Erfahrungen literarisch um.

Nora Bossong:
„Ich habe tatsächlich darübergeschrieben. Bei dem allerersten Klosteraufenthalt, da war es eine Auftragseinladung, da habe ich vor allem Gedichte geschrieben. Ich habe dann später noch einmal für die ZEIT eine Reportage drübergeschrieben. Und ich glaube jetzt ist es eher etwas Privates, was ganz indirekt sicherlich in meine Arbeit eingeht. Wenn man sich in eine Kontemplation zurückzieht, dann werden ja Gedanken angestoßen, die man gar nicht so zielgerichtet, so dass ist jetzt: jetzt rede ich mit der Schwester, damit ich das und das weiß. Oder jetzt gucke ich mir die Architektur an, damit ich das und das beschreiben kann, sondern sehr viel indirekter funktionieren“.

Autor:
Die Benediktinerinnen in Alexanderdorf, südöstlich von Berlin in Brandenburg, erinnerten sie zuerst an ihren Klosteraufenthalt in Sachsen-Anhalt:

Nora Bossong:
„Ich könnte es ein bisschen mit Helfta vergleichen. Helfta ist auch ein Kloster in Ostdeutschland, was dann erst wieder aufgebaut wurde. Und dort merkt man diesen Neuanfang. Das hat ja eine ganz lange Tradition, Helfta, die aber dann irgendwann mal ihre Auszeit hatte, verfiel und wo es einen Schnitt gab und dann wieder einen Neuanfang. Das sieht man in der Architektur, wo die alten Ruinen, neu ergänzt wurden, also wo das Alte und das Neue sich trifft.“

Musik: Wir sind Helden | Nur ein Wort

Autor:
Wer die Kloster-Erfahrungen der Schriftstellerin Nora Bossong teilen möchte, kann sich einmal selbst nach Brandenburg nach Alexanderdorf aufmachen. Was sie dort erlebte, schildert sie in einem Café in Charlottenburg, nicht weit von ihrer Heimatgemeinde, der Kirche Sankt Canisius. Wenn es ihre Zeit erlaubt, versucht sie:

Nora Bossong:
„Im besten Fall, zwei Mal im Jahr, aber das schaffe ich tatsächlich selten. Da ich mich auch immer zu spät darum kümmere (lacht) Es ist immer ausgebucht, wenn ich Anfrage. Zwei Mal im Jahr wäre schon schön eigentlich auch unterschiedliche Jahreszeiten. Ich war tatsächlich, fast immer im Herbst, Winter – Alexanderdorf, war ja noch im Spätsommer“

Autor:
Eine besondere Zeit im Jahr für einen Besuch im Kloster ist für die Schriftstellerin Nora Bossong:

Nora Bossong:
„Ich finde es besonders schön, auch wenn das vielleicht auf eine Art auch anstrengend ist, die Rauh-Nächte, also die Zeiten nach Heiligabend und nach den Weihnachtsfeiertagen, wenn es ganz, ganz dunkel ist und man vielleicht ohnehin einen inneren Rückzug hat, eine innere Kontemplation. Man einfach auch durchlässiger ist, durch diese starke Dunkelheit, durch diese sehr ins wenige Licht zurückgezogen sein“.

Autor:
Nora Bossong denkt im Kloster auch über die schweren Zeiten nach, die die Kirche als Institution gerade durchmacht. Stichworte sind hier unter anderem die vielen, schrecklichen Missbrauchsskandale.

Nora Bossong:
„Also an meinem Glauben ändert es nichts. Ich würde aber immer sagen, dass ich innerhalb der Kirche zumindest ist es meine Hoffnung und mein eigener Anspruch an mich selbst, versuche genau dieses Verschleppen von Dingen, die auch gegen den eigenen Glauben gehen, nicht hinzunehmen. Ich glaube, wenn alle die daran Anstoß nehmen, was vorgefallen ist, beispielsweise mit all den Missbräuchen und mit dem Verschleiern von Missbräuchen, wenn all diese Menschen, die das nicht hinnehmen wollen, austreten, dann wird sich ja auch nichts ändern.“

Autor:
Deshalb ist sie zum Abschluss unseres Gespräches fest davon überzeugt:

Nora Bossong:
„Ich glaube, es braucht Menschen, die nicht alles in dieser Kirche hinnehmen, was passiert. Aber die dennoch Teil dieser Kirche bleiben, um auch etwas zu ändern. Ich weiß sehr genau, dass was einzelne und vor allem einzelne Laien bewirken können, nicht besonders viel ist. …Wenn man beständig ist und wenn man sich zusammentut, dann ist es …die einzige Chance. Sonst wird sich gar nichts ändern.“