20.10
2024
08:40
Uhr

Blaulichtkirche in Ganz

Ein Beitrag von Viktoria Hellwig

 

Autorin:
Das Kind kippelt und fällt vom Stuhl, die Oma ist gestürzt, also wählen wir schnell 112. Die Blaulichtkräfte machen sich auf den Weg, es muss schnell gehen. Noch bevor wir das Blaulicht sehen, können wir es hören. Und schon sind sie da, kommen in der größten Not, wenn etwas passiert. Helfen, das ist ihr Job. Die Einsatzkräfte in Deutschland sind täglich unterwegs, ohne Pause, 24 Stunden, 7 Tage die Woche. Es passiert viel in diesen Einsätzen. Die Kriminalstatistiken der letzten Jahre haben einen starken Trend. Jedes Jahr stiegen die Gewalttaten gegen Polizistinnen und Polizisten, laut der Zählung des Bundes Kriminals Amts gibt es einen Durchschnitt 285 Gewalttaten oder Übergriffen am Tag gegenüber Polizeivollzugskräften.[1] Ein trauriger Trend, der auch vor Feuerwehr und Rettungskräften nicht Halt macht. Die Initiative „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch“ will auf diese Missstände aufmerksam machen. Doch auch in anderen Orten und Reihen tut sich etwas. Hier in Brandenburg hat sich ein Verein gegründet. Aus Blaulichtkräften, also Polizei, Feuerwehrleuten, und Menschen der Bundeswehr.

Julian Kindt:
In den Gesprächen mit den Kollegen war es immer so, dass wir festgestellt haben, wenn irgendwas passiert, ist schlimmer Ereignisse, dass jede Organisation, also Feuerwehr, Polizei, Bundeswehr, jeder hat seinen eigenen Ort, wo jeder für sich trauern kann oder auch zusammenkommen kann, um Erfahrungen oder Gefühle auszutauschen. Und für uns war so der Anschlusspunkt. Warum geht das nicht gemeinsam? Warum sollen wir nicht auch ein Ort haben, wo alle gemeinsam zusammenkommen können, nicht nur um zu trauern, sondern auch um das Leben zu feiern? Also, es soll kein Mausoleum werden. Es soll ein Ort werden, wo Familienfeste stattfinden, wo nicht nur Vertreter von oder Angehörige von Blaulicht Organisation zusammenkommen können, sondern wo jeder normale Bürger auch hinkommen kann, in Kontakt kommen kann mit uns und einfach herausfinden kann, wie ist es denn überhaupt bei der Feuerwehr zu sein? Wie ist das Leben als Polizist? Einfach, um diese Verbindung zu schaffen?

Autorin:
Julian Kindt ist Polizist und Vorstandsmitglied des Vereins „Blaulichtkirche Ganz“ zusammen mit Kollegen und Freunden hat er nach einem Ort gesucht, wo sie Platz finden, wenn sie einen Ort brauchen, um gemeinsam zu trauern oder sich einfach mal auszutauschen. Die Idee entstand nach einem erschütternden Ereignis im Jahr 2022:

Julian Kindt:
Der Vorfall aus Kusel mit Yasmin und Alexander, zwei Polizeibeamte, war ein sehr tragischer Einschnitt in der Blaulicht Familie. Die beiden wurden in Ausübung ihres Dienstes durch einen Mann erschossen ermordet um es einfach das Wort so in den Mund zu nehmen. Und man merkte bei sämtlichen Kollegen, dass es einfach eine tiefe Betroffenheit dargestellt hat und man wirklich so ein Erstarren der Kollegen gemerkt hat. Und da war der Moment, wo intensive Gespräche stattgefunden haben und dort reifte dieser Gedanke. „ Wir müssen einen Ort schaffen, wo alle zusammenkommen können, wo man über solche Ereignisse reden kann“, und dieses tragische Erlebnis, gerade mit diesem Hashtag #zweivonuns, der wirklich bundesweit durch die Medien ging, führte dazu, dass die Pläne immer konkreter wurden. Allein uns fehlte irgendwo der Raum.

Autorin:
Raum haben Sie mittlerweile gefunden, in der Dorfkirche in Ganz, einem Stadtteil von Kyritz. Dort wurde am 12. Oktober feierlich die Blaulichtkirche Ganz eingeweiht. Ein für Deutschland und Brandenburg einmaliges Projekt.

Musik: Safe and Sound – Capital Cities 

Autorin:
Blaulichtgottesdienste gibt es schon seit vielen Jahren in Deutschland und auch immer wieder in der Region, in Potsdam oder in Berlin laden jährlich die Kirchen Blaulichtkräfte ein. Bundespolizeiseelsorgerin Cordula Machoni weiß um die Wichtigkeit dieser speziellen Form der Gottesdienste:

Cordula  Machoni:
Blaulicht-Gottesdienste sind aus meiner Sicht ein unverzichtbarer Bestandteil, vor allen Dingen von städtischen Räumen, in denen natürlich Blaulicht permanent zu hören ist. Also ich bin selber Teil verschiedener Aktionen, auch vor allen Dingen liturgischer Form, Gottesdienste mit sämtlichen Blaulicht Institutionen gewesen und schätze das insofern ein, als es zum einen eine Stärkung gibt. Wir reden ja da über Feuerwehr, wir reden über Polizei, wir reden über Bundespolizei und wir reden auch über medizinische Versorgung. Also sprich THW. Und ich finde erst mal zum einen sehr bekräftigend, dass Menschen an diesem Ort zusammenkommen können und sich gegenseitig stärken. Denn wir haben ja die Erfahrung gemacht. Also für mich war Silvester 2023 und 2022/23 ein Cut mit den Angriffen auf die Rettungskräfte und auch der Erfahrung ja, dass immer wieder Menschen, die eigentlich helfend eingreifen, im Dienst angegriffen werden. Wir haben gerade jetzt kann ich spezifisch für die Bundespolizei sprechen, wir haben eine erhöhte Anzahl von Angriffen, tätlichen Angriffen auf unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Dienst, und insofern sind solche Gelegenheiten, einander zu treffen, sich stärken zu lassen, ja auch eine Form zu finden, auch seine Ängste, seine Sorgen da auch abzulegen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Aus meiner Sicht ganz unverzichtbar und wichtig. Und ich setze mich immer dafür ein, dass wir mindestens einmal im Jahr auch mit allen zusammenkommen.

Autorin:
Einigen Blaulichtkräften in Brandenburg reichten diese jährlichen Gottesdienste nicht mehr aus, und sie gründeten den Verein „Blaulichtkirche Ganz“. Mit dabei Julian Kindt:

Julian Kindt:
Also wir haben unsere kleine Dorfkirche im Ort Ganz, nähe Kyritz. Es ist so, dass man nicht jederzeit dort vorbeikommen kann. Noch nicht. Wir sind noch Aufbau. In Zukunft ist es schon so, dass natürlich auch jeder diesen Ort besuchen kann. Und wir haben nicht nur eine Ecke für verstorbene Kollegen und Kolleginnen, sondern wir nehmen auch die Diensthunde zum Beispiel mit auf, weil wir gesagt haben, die Diensthunde sind ein Teil der Familie, wir sehen uns als Familie und deswegen haben wir auch eine Ecke für unsere Fellnasen eingerichtet. Wir haben einen genialen Holz Künstler gehabt, der uns eine Statue geschnitzt hat. Kann man auch sehen auf unserem Instagram Account: @Blaulichtkirche Ganz.

Autorin:
Die kleine Dorfkirche in Ganz wurde ganz schön auf den Kopf gestellt. Neue Farbe für die Wände, alles mal etwas aufpoliert. An diesem Ort soll man nicht nur zur Ruhe kommen, sondern sich auch wohlfühlen. Das war den Vereinsmitgliedern sehr wichtig. Auch die Einladung ist offen. Der Raum ist zwar kirchlich geprägt, der Verein selber nicht.

Julian Kindt:
Wir als Verein bezeichnen uns als konfessionslos. Bei uns kann jeder vorbeikommen, ob evangelisch, katholisch, muslimisch. Für uns ist Die einzige Variable, die zählt, ist, dass man wirklich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung steht und nicht versucht, den Verein irgendwie zu instrumentalisieren.

Musik: exile – Bon Iver und Taylor Swift

Autorin:
In Deutschland gibt es über 330.000 Polizistinnen und Polizisten, die Zahl umfasst sowohl die Bundespolizei als auch die Landespolizei.[2] Nach letzter Zählung im Jahr 2021 gab es in Deutschland fast 24.000 Freiwillige Feuerwehren, 111 Berufsfeuerwehren, 22.898 Jugendfeuerwehren und 754 Werkfeuerwehren.[3] Jede Menge Zahlen, aber auch jede Menge Menschen, die sich täglich Einsetzen, in Gefahr begeben. Für sie und ihre Angehörige werden jährlich auch Gottesdienste, sog. Blaulichtgottesdienste organisiert. Bundespolizeiseelsorgerin Cordula Machoni will damit auch immer wieder Verständnis und Austausch mit der Zivilbevölkerung anregen:

Cordula Machoni:
Wir suchen natürlich alle Gelegenheiten, auch die Zivilgesellschaft mit der Arbeit der Hilfskräfte vertraut zu machen. Das ist ja ein Teil, den ich einfach in meiner Arbeit nicht verstehe, wie es sein kann, dass nicht der Rückhalt aus der Gesellschaft für die Blaulicht Kräfte viel, viel stärker geschieht. Wir haben ja oft, das wissen sie auch oder man kann das Netz hoch und runter lesen, was Kritik am Einsatz und am Einsatzverhalten auch von Rettungskräften angeht. Aber das ist eben nur eine Seite der Medaille. Und wenn ich Menschen im Einzelnen spreche als Ich empfinde mich selber, als Seelsorgerin in der Bundespolizei, auch als eine Multiplikatorin der Arbeit und habe noch nie erlebt, dass Menschen gesagt haben, das ist eine Arbeit, die brauchen wir nicht, die ist schrecklich. Und natürlich gibt es auch Einsatzverhalten. Das ist zu kritisieren, das ist keine Frage und muss auch aufgeklärt werden. Aber im Grunde geht es erst mal um Hilfe. Und insofern, wenn da die Einsatzkräfte mit der Zivilgesellschaft einander begegnen, ins Gespräch kommen, ist es wunderbar und ich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht.

Autorin:
Ins Gespräch kommen, wollen auch die Blaulichtkräfte in Brandenburg, der Verein Blaulichtkirche Ganz soll nur der Anfang sein, erzählt mir Vorstandsmitglied Julian Kindt. Sie haben auch verschiedene Veranstaltungen geplant, um auch mit der Bürgerinnen und Bürgern in Austausch zu treten, vielleicht auch sichtbar zu machen, was ihnen wichtig ist. 

Julian Kindt:
Aber natürlich, wir haben schon Ideen für spätere Veranstaltungen. Wir planen Familienfeste. Jeder von uns ist nur so stark wie sein Team im Rücken. Und da ist einfach die Familie bei jedem der Puffer. Ansonsten könnte man diese Vereinsarbeit und auch die Belastungen, die die Verantwortung, ob nun als Polizeibeamter oder als Freiwilliger Feuerwehrmann der Berufsfeuerwehrmann oder Soldat mit sich bringt. Natürlich auch die Einschnitte, die der Beruf mit sich bringt. Ohne Familie würde das nicht gehen, deswegen auch ein Familienfest, wo natürlich auch jeder vorbeikommen kann, weil klar, für Kinder ist auch immer super toll. Große rote Autos, vielleicht noch ein kleines weißes mit nem Blaulicht irgendwo.

Autorin:
An Ideen mangelt es den Blaulichtkräften nicht. Der Ort, die kleine Kapelle in Ganz, ist als Einladung gedacht. Für andere Blaulichtkräfte, und für die, die es gerade brauchen, einen Ort zur Ruhe suchen. Oder sich auch für das Leben mit Blaulicht interessieren.

Musik: Kygo - Firestone

 


[1]https://mensch.dgb.de/news/news/news-2024/polizeiliche-kriminalstatistik-2023-zeigt-gewalt-gegen-polizei-und-rettungskraefte-steigt-weiter-an/

[2]https://testhelden.com/polizei-in-zahlen/

[3]https://www.feuerwehrverband.de/presse/statistik/