NAH DRAN Cottbus/Spremberg: Bürgerschaftliches Engagement stärken
von Markus Witzemann
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Seit Anfang des Jahres gibt es sie, die Gesamtkirchengemeinde Perle der Lausitz. Unter diesem klangvollen Namen haben sich 2024 die vier Kirchengemeinden aus Spremberg und Klein Döbbern zusammengeschlossen, ganz im Süden des Evangelischen Kirchenkreises Cottbus. Die Menschen in Spremberg sind schon ein wenig Stolz auf ihre malerische Stadt und identifizieren sich gern mit ihr, erzählt Stephanie Nerlich, Mitglied im Gemeindekirchenrat. Gerade deshalb engagiert sich die Kirche in der Stadt auch vielfältig. In Spremberg sollen sich schließlich alle wohl und sicher fühlen können.
Take 1 Stephanie Nerlich, engagiert im Gemeindekirchenrat Perle der Lausitz
Wir wollen für etwas sein, für eine offene Welt, für ein Miteinander. Wir versuchen Safe Space zu schaffen, für Menschen, die sich gar nicht trauen, irgendwo hin zu gehen. Und das passiert in der Kirche. Aber, und da sind wir ganz stolz drauf, haben wir eben auch Bürger bei uns mit dabei in den Gruppen, die tatsächlich keinen evangelischen Hintergrund haben, und die mindestens genau so engagiert sind wie wir.
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Safe Spaces, sichere, geschützte Räume will die Gemeinde bieten. Zum Beispiel beim Freitagstreff, bei dem jede Woche Jung und Alt zusammen finden. Zum gemeinsamen Essen und Trinken, Lesen und Spielen, Sport und Christenlehre sind alle eingeladen, die freitags ab 15 Uhr Zeit haben. Oder beim Jugendtreff rund um das Gemeindehaus, wo die Spremberger Jugendlichen in eigenen Räumlichkeiten einmal unter sich bleiben können. Oder beim sog. Together-Treff:
Take 2 Nerlich
Dort ist ein Angebot für die Geflüchteten aus der Ukraine und aus den anderen Ländern, wo sie sich treffen können, wo sie einfach mal auch außerhalb dieser Unterbringungen, die da mitunter bestehen, Freiraum haben. Da ist ein Spielplatz, da können die Kinder miteinander spielen, da sind regelmäßig Leute, die ihnen helfen, wenn irgendwas auszufüllen ist. Wenn man irgendwas erklärt haben muss. Wo die Erwachsenen und die Kinder mal so ein bisschen auch sich voneinander trennen können und einfach mal das Erlebte verarbeiten können miteinander, und es sind Leute da, die das mit begleiten und betreuen.
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Die Spremberger Kirchengemeinde bietet Räume und Gelegenheiten, sich mit der eigenen Geschichte auseinander zu setzen. Das können ganz frische Eindrücke und aktuelle Probleme sein, bei denen konkrete Hilfe gefragt ist. Das kann aber auch die Aufarbeitung der Vergangenheit sein, die nach wie vor unsere Gegenwart prägt. Das Bündnis #unteilbar Spremberg, bei dem sich viele Gemeindemitglieder engagieren, erinnert jährlich an die Schrecken der Nazizeit. Stephanie Nerlich:
Take 3 Nerlich
Es gibt von relativ Anfang an eine Arbeitsgruppe Spurensuche, um die Stolpersteine hier in Spremberg zu verlegen. Die organisieren zusammen mit #unteilbar am 9. 11. das Pogromgedenken, wo dann eben eine Veranstaltung auf dem Marktplatz stattfindet. Wo in der Regel Namen verlesen werden.
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Und anschließend gibt es dann einen Umzug durch die Stadt wo an einzelnen Orten mit Blumen und Kerzen der vielen Opfer der NS-Zeit gedacht wird. Doch auch die jüngere Vergangenheit hat ihre Spuren in Spremberg hinterlassen, sagt Stephanie Nerlich. Die Wiedervereinigung brachte tiefgreifende Veränderungen für die ganze Region mit sich.
Take 4 Nerlich
Auch das ist eine Sache, die hier unheimlich wichtig ist. Wir waren hier schon immer eine Bergbauregion. Und mit der Wende ist hier ganz viel kaputtgegangen. Nicht nur Bergbau, auch eine Tuchfabrik, das muss alles aufgearbeitet werden. Die Leute haben sich damals mit Sicherheit auch ein Stück weit verraten und verkauft gefühlt, als sie gemerkt haben, dass nicht alles golden ist, was sie sich erhofft haben (...).
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Die Kirchengemeinde Perle der Lausitz engagiert sich seit Jahren im Bündnis #unteilbar Spremberg. 2021 suchten Mitglieder der evangelischen Gemeinde ganz im Süden von Brandenburg nach einer Möglichkeit, für ein offenes, buntes Leben in ihrer Stadt zu werben. Über alle Kirchengrenzen hinweg fanden sich viele Menschen aus Spremberg und Umgebung, die hier spontan mitarbeiten wollten. Sie riefen ein jährliches Fest auf dem Marktplatz ins Leben, auf dem Vielfalt und Demokratie gefeiert werden. Inzwischen gibt es auch in der größeren Umgebung des Kirchenkreises Cottbus immer mehr #unteilbar-Gruppen, die für Ihre Überzeugungen auch auf die Straße gehen, freut sich Stephanie Nerlich.
Take 5 Nerlich
Es gibt noch ein #unteilbar Südbrandenburg zum Beispiel, das wird in Cottbus betreut, das schließt mehrere kleine Gruppen zusammen, die sich vor allen Dingen Anfang des Jahres im Rahmen dieser ganzen Proteste auch gebildet haben. Es gibt jetzt in Forst eine Gruppe, in Guben eine Gruppe, und es gibt noch mehrere Orte, die sich jetzt alle unter dem Deckel #unteilbar Südbrandenburg versuchen zu vernetzen. (…) Und Spremberg ist halt diese kleine Urgruppe, die gesagt hat, ok, wir machen hier mal einen Marktplatztag und zeigen den Leuten wie schön und bunt wir sein können (…).
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In diesem Jahr fiel der Marktplatztag mit dem „Fest der Demokratie“ zusammen mit dem Jubiläum „75 Jahre“ Grundgesetz. Es ist ein schöner, leicht bewölkter Tag im Mai und der Marktplatz in Spremberg ist voll von Ständen, es gibt eine Hüpfburg, eine alkoholfreie Cocktailbar, Bühnenprogramm - und der Platz ist so farbenfroh wie selten, berichtet Bianca Broda vom Bündnis #unteilbar Spremberg. (28)
Take 6 Bianca Broda, engagiert im Bündnis #unteilbar Spremberg
Das Fest ist ganz bunt. Wir haben geschafft, dass der Marktplatz mit all seinen Pflastersteinen bemalt wurde mit Kreide. Von oben ist das glaube ich ein wunderschönes buntes Bild. Wir wollen ein Zeichen in unserer Stadt setzen, dass es in dieser Stadt genug Platz gibt, dass alle Menschen hier leben können. Und dass es wichtig ist, dass wir für ein solidarisches Zusammenleben hier zusammen stehen. Es sind Stände aufgebaut, vom Aktionsbündnis Brandenburg, Schöner Leben ohne Nazis sind da, es gibt Aktionen für Kinder, und uns geht es immer darum, auch gut ins Gespräch zu kommen.
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In einer kleineren Stadt wie Spremberg auf die Straße zu gehen und für Vielfalt zu werben, weckt nicht nur Zustimmung. Auch diese Erfahrung haben die Leute von #unteilbar Spremberg im Laufe der Jahre gemacht. Hier kennt jeder jeden, es ist eben keine anonyme Großstadt. Gerade deshalb ist es wichtig, ein Zeichen zu setzen, sagt Stephanie Nerlich.
Take 7 Nerlich
Ich glaube das ist für Spremberg ganz wichtig, dass man sieht – dass wir uns sehen, die sagen: wir sind für eine bunte Welt, wir sind für eine gerechte Welt, wir wollen dass jeder ein Recht hat darauf, gesund und in Frieden zu leben. Egal, in welcher Art von Partnerschaft, egal (…) aus welcher Nationalität, egal mit welcher Religion. Und ich glaube das ist uns jetzt in diesen Jahren relativ gut gelungen. (34)
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Bei dem Fest der Demokratie geht es gerade nicht darum, zu polarisieren oder politisch eine bestimmte Position einzunehmen, sagt auch Pfarrerin Elisabeth Schulze von der Evangelischen Kirchengemeinde Perle der Lausitz. Gespräche auf Augenhöhe mit gegenseitigem Respekt sind das Ziel.
Take 8 Elisabeth Schulze, Pfarrerin in Spremberg
Es ist explizit keine Wahlveranstaltung gewesen, wo sich die Parteien vorstellen, sondern die Idee war, dass wir darüber ins Gespräch kommen miteinander, wie wir in der Stadt leben. Wie wir uns unsere Stadt vorstellen, wie wir unsere Region uns wünschen. Und ich habe das heute wunderbar erleben können. Ich habe es endlich mal geschafft, auch mit meinem Nachbarn ins Gespräch zu kommen, wir haben darüber gesprochen und diskutiert, was uns eigentlich wichtig ist im Vorfeld der Wahl und was es für Möglichkeiten gibt, wen man wählen könnte vielleicht. Und ja, was es da auch für Herausforderungen gibt, selber sich auch zu beteiligen an einem demokratischen Stadtbild. Das war total schön.
Musik
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In Spremberg tut sich was. Die Kirchengemeinde Perle der Lausitz unterstützt mit verschiedenen Aktionen das bürgerschaftliche Engagement im Ort. Zusammen mit dem Bündnis #unteilbar Spremberg und der AG Spurensuche machen Sie Bildungsangebote zu politischer Mitarbeit, finden kreative Wege für Jugendliche sich auszudrücken, bemühen sich um geschützte Räume für Menschen, die in der Öffentlichkeit sonst nicht viel vorkommen. Für diese Arbeit wurden die drei Gruppen in diesem Jahr mit dem AMOS-Preis für Zivilcourage in Kirche und Gesellschaft durch die Offene Kirche Württemberg ausgezeichnet. Stephanie Nerlich durfte den Preis in Stuttgart entgegennehmen und war tief gerührt.
Take 9 Nerlich
Es ist wirklich sehr beeindruckend, wie die uns wahrgenommen haben. Was die gesagt haben: Was wir hier leisten, da kann man schon mal drauf gucken. Und auch so die Reden, die wir dann in Stuttgart bekommen haben, also das war schon ein tränenreicher Tag (lacht). (…) Und das war vielleicht auch mal wichtig das zu sehen, für uns alle.
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Manchmal braucht es den Blick von außen, um das eigene Bemühen einmal richtig würdigen zu können. Das macht dann auch Mut zum Weitermachen. Zumal es bei der Arbeit ja immer auch kritische Rückfragen gibt. Die Gemeinde bildet da ganz den Durchschnitt der Bevölkerung ab, sagt Stephanie Nerlich.
Take 10
Wir haben auch Leute, die bestimmte Sachen die wir tun kritisch sehen, auch in unseren Gemeinden. Aber es ist wichtig, dass wir im Gespräch bleiben. Und da auch eben mit allen. Und deswegen auch: wir sind ein Für und nicht ein Gegen. Das wäre wirklich wichtig für uns, mit all unseren Angeboten und unserer bunten Gemeinde (lacht).
Autor
Die Kirchengemeinde Perle der Lausitz bleibt im Gespräch – mit Ihren Mitgliedern und mit den Menschen der Stadt Spremberg, die ja ihre Nachbarn, Freunde, Verwandten bleiben, auch wenn sie anderer Meinung sind. Dabei selbstbewusst aufzutreten und gleichzeitig ein offenes Ohr für die Bedürfnisse hinter manch schroffer Haltung zu bewahren – das ist und bleibt eine Herausforderung.
Take 11 Nerlich
Wir müssen lernen, diesen Raum zu erobern, und wir müssen lernen, uns selbst unser Schutz zu sein, indem wir eine Gemeinschaft finden und bilden. Räume haben wir mehr als genug, wie man auf unserem Marktplatz ja sieht. Wir müssen lernen, Mut zu geben. Und Schutz zu geben. Andere können es doch auch.
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Am Ende des Festes der Demokratie an diesem Tag im Mai in Spremberg zieht auch Bianca Broda ein zufriedenes Fazit. Sie hat offene Gespräche erlebt. Der Marktplatz ist jetzt bunt bemalt. Es gab keine Konfrontationen – dieses Mal wenigstens. Und dann wird sie auch noch von einer Frau angesprochen, die neu in Spremberg ist.
Take 12 Broda
Die Frau (...) ist auf der Suche, um sich mit ihrem Mann bei etwas Sinnvollem zu engagieren, und hat von unserem Bündnis mitbekommen (…) und fragt ob sie einfach mit dabei sein kann, wo wir das nächste Treffen haben. Und das sind natürlich solche Dinge, da lohnt sich jeder Einsatz. Für jeden Stand den wir aufbauen, jede Bank, die wir schleppen. Wenn wir einfach Menschen mit unserem Enthusiasmus anstecken können.
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