21.04
2025
08:40
Uhr

Erfülltes Leben

Ein Beitrag von Jörg Trotzki

Autor:
Ostern feiern wir das Leben – in den Kirchen läuten Glocken und tragen die Botschaft von der Auferstehung Jesu in die Welt. Bei einem Spaziergang lassen sich endlich erste zaghafte Zeichen des Frühlings entdecken. Zaghaft war damals auch die Osterfreude der Jünger Jesu. Den Frauen, die damals zum Grab kamen, war gar nicht nach Jubeln zumute. Viel zu tief saßen Trauer und Hoffnungslosigkeit. Da fiel es schwer, an die Botschaft von der Auferstehung zu glauben. Die ersten Zeugen am leeren Grab reagierten darum erst einmal mit Angst, statt mit Freude und Begeisterung.  

Doch Angst und Hoffnungslosigkeit sind nicht alles, sagt Pfarrerin Anne Heimendahl.  Sie ist zuständig für die Krankenhausseelsorge in der Evangelischen Kirche Berlin/Brandenburg und weiß allzu gut, warum es auch Christen – die doch gerade in diesen Tagen besonders an die Auferstehung und das ewige Leben glauben sollten – so schwer fällt, über den Tod zu reden und auf ein Leben danach zu hoffen…

Anne Heimendahl:
Naja, weil der Tod natürlich trotzdem mit ganz viel Abschied verbunden ist. Also, real betrachtet, geht ja ganz vieles zu Ende. Wir müssen uns verabschieden von vielem, was uns lieb und kostbar ist. Von diesem Leben. Von unseren Kindern. Von Hab und Gut. Von dem liebgewonnenen Körper, der Hülle oder dem Tempel, wie Paulus sagt, unserer Seele; und wenn ich meiner Seele an der Stelle nicht so ganz viel zu traue, dass es danach in irgendeiner Form noch weiter gehen könne, dann bin ich natürlich sehr argwöhnisch und frage mich, was kommt denn dann. Letztlich wissen tun wir es alle nicht. Und damit ist der Tod natürlich mit ganz viel Unsicherheit verbunden. Was kommt nun wirklich? Und nicht jeder kann gelassen sagen, naja, wer weiß, ich bin neugierig und lass mich mal überraschen. Wer das kann, der geht deutlich gelassener diesem Weg entgegen. 

Autor:
Als Krankenhausseelsorgerin begegnet Anne Heimendahl vielen Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen, Religionen und Weltanschauungen. Wer ins Krankenhaus muss, reagiert sensibel auf die großen Fragen unseres Lebens: 

Anne Heimendahl:
Angesichts des Todes ausgesprochen nachdenklich, vielfach wütend, zu Recht. Warum ich und warum jetzt schon? Das ist übrigens bei Muslimen, habe ich erlebt, meistens anders. Nicht die Frage „warum eigentlich ich“, sondern eher „Gott traut es mir zu, Allah traut es mir zu“, also kann ich diese Prüfung jetzt auf mich nehmen. Und bei Christen oder auch säkular ausgerichteten Menschen erlebe ich Unterschiedliches von der Dankbarkeit darüber, solange so lange, so gut, so intensiv gelebt zu haben, bis hin zu der Wut darüber, dass das Leben eigentlich zu kurz war für das Eigentliche. Und damit kommen wir dann natürlich zu der wesentlichen Frage angesichts des Todes „was ist Leben?“. Die Frage wird ja auch Jesus immer wieder gestellt, „wie erlange ich das ewige Leben?“. Und daraufhin sagt Jesus, „das, woran du dein Herz hängst“. Das ist Gott. Und an der Stelle beantwortet sich die Frage: da ist ewiges Leben. 

Autor:
Die meisten Menschen, die sich in einem Krankenhaus – ob als Patient oder Angehöriger - an die Seelsorge wenden, kommen mit einem „Problem“. Sie haben ein „Tief“, eine Krise, eine Frage ohne Antwort, sie sind auf der Suche nach einem Gesprächspartner …

Anne Heimendahl:
Ja, gerade der Krankenhaus-Aufenthalt ist verbunden mit einer Krise. Menschen fallen aus vertrauten Beziehungen heraus. Meistens werden sie vom Subjekt zum Objekt des Handelns, oder sie erleben, dass sie in ihrer Identität massiv in Frage gestellt sind. Wer bin ich? Und das kann im Positiven sein, bei der Geburt eines Kindes [bspw], wer bin ich jetzt als Mutter, das kann aber auch an den Grenzen des Lebens sein, wer bin ich, wenn ich ein Bein amputiert bekommen habe, wer bin ich noch, wenn ich nicht mehr hören kann, wer bin ich, wenn ich sterbend bin, was bleibt eigentlich von mir? Und Krise? Das kommt ja aus dem Griechischen und heißt „sich entscheiden“. Insofern ist Krankenhaus-/Krisenzeit auch als Entscheidungszeit: lasse ich mich jetzt operieren? Welche Behandlung tut mir gut, welcher Weg ist für mich der richtige? Es müssen unendlich viele Entscheidungen getroffen werden. 

Autor:
Nicht immer, aber oft geht es in diesen Gesprächen auch um Fragen des persönlichen Glaubens: 

Anne Heimendahl:
Mit meiner Person als Pfarrerin im Auftrag der Kirche löse ich immer eine Reaktion bei meinem Gegenüber aus. Das können Schuldgefühle sein, so dass gleich beim Erstbesuch oder bei einer Vorstellung eine Art von Erklärung und Entschuldigung kommt, wie lange der Mensch jetzt nicht in der Kirche gewesen ist. Das kann auch eine Scham sein, die empfunden wird, dieses oder jenes im Leben ganz und gar falsch gemacht zu haben, und das kann aber auch eine Sehnsucht sein nach Gott, die spürbar ist oder auch Ängste. Und meine Aufgabe ist es, dem nachzuspüren und Räume zu schaffen, wodurch sich Menschen öffnen können für die Frage nach Sinn, nach Halt und nach Gott. 

Autor:
Halt ist oft nötig an einem Ort, an dem Menschen auch mit sehr plötzlichen Schicksalsschlägen konfrontiert sind. Gelingt das – als Pfarrerin angesichts des Todes von der Auferstehungshoffnung zu erzählen? 

Anne Heimendahl:
Naja, der erste Umgang damit ist häufig eine Sprachlosigkeit. Erstmal nur zuzuhören. Die Vorbereitung auf ein Gespräch geht eigentlich so, in sich zu gehen, zu gucken wo stehe ich gerade und zu einer Hörenden zu werden. Ich finde ganz schön diese Kombination, absichtsvoll – nämlich mit der Absicht, ein Gespräch zu führen – da zu sein, den Anderen zu halten und gleichzeitig absichtslos. Ich bin nicht zielgerichtet, bestimmte Antworten zu geben, den Menschen aufzuheitern … das ist nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, dazubleiben und Halt zu geben. Und wie gehe ich selbst damit um? Ich finde, dass – je älter ich werde – zunehmend das Gebet unglaublich entlastend, die Fürbitte für andere Menschen, die mir im Laufe des Tages begegnet sind, die Gott mir in den Weg gestellt hat. 

Musik – Pink/ What about us

An keinem anderen Ort liegen Tod und Leben so nah beieinander wie einem Krankenhaus. Und so erlebt die Krankenhausseelsorgerin auch wunderschöne Momente. Dann wird sie Zeugin neuen, geschenkten Lebens, darf Freude und Dankbarkeit teilen: 

Anne Heimendahl:
Das kommt auch. Es kommt nicht explizit vor, dass die Seelsorge gerufen wird, damit jemand danken kann, aber in Seelsorge-Gesprächen kommt diese Dankbarkeit häufig zum Ausdruck, dass ein Mensch mir schon entgegenstrahlt, wie gut, dass Sie da sind, darf ich Ihnen erzählen, meine Diagnose ist positiv. Ich habe jetzt Gewissheit, unerwarteterweise hat ein Heilungsprozess begonnen. Ansonsten finden wir die Aussprüche von Dankbarkeit häufig im „Raum der Stille“. Fast jedes Krankenhaus hat einen solchen multi-religiös genutzten Raum, in dem auch häufig ein Buch ausliegt. Und dieses Buch ist ein unglaublicher Schatz an Gebeten und Dankesworten an Gott. 

Autor:
Es ist Ostern. Ein Fest des Lebens. Das Fest der Auferstehung. Die Geschichte vom leeren Grab wird seit 2000 Jahren weitererzählt. Weil sie eine große Hoffnung in sich trägt. Die Hoffnung, dass erfülltes Leben möglich ist – auch wenn viele Zeichen dagegen sprechen: 

Anne Heimendahl:
Früher war es auf internistischen Stationen – Palliativstationen gab es ja noch nicht – so, dass, wenn Menschen starben, der Satz fiel „Da kann man nichts mehr machen“. Das finde ich einen ganz furchtbaren Satz, der eigentlich aus jeglicher Medizin und aus allen Krankenhäusern verschwinden sollte, denn wir können immer etwas machen. Wir können nämlich danach forschen und gucken, was ist jetzt und heute dran, und was wünscht sich mein Gegenüber. Und da können es Wünsche sein wie, ich möchte heute einmal nach draußen geschoben werden. Natürlich ist das kompliziert in manchen Fällen, den Menschen aus dem Bett zu heben, wenn er bettlägerig ist, ihn warm einzupacken und dann nach draußen und in die Sonne zu setzen. Aber das kann ein Wunsch sein. Und ich frage fast immer danach, gibt es etwas, was ich für Sie tun kann? Und dann gibt es Wünsche – auch im Angesicht des Todes – die mir natürlich noch im Gedächtnis geblieben sind: ein Patient, der auf der Palliativstation war und der sich eigentlich darauf eingerichtet hatte, zu sterben. Dann ging es ihm deutlich besser, und es ging darum, einen „Plan B“ zu entwickeln, zu fragen, wenn Sie denn jetzt unerwarteterweise weiterleben, was möchten Sie denn gern? „Am liebsten auf meine griechische Insel“. Und ich fragte, „Wo ist das Problem?“. Und dann haben wir herumgesponnen, wie es gehen könnte, mit all den Medikamenten, die er braucht und der Versorgung, um dahin zu fliegen. Und das tat er dann. 

Autor:
Dass so etwas möglich ist – erfülltes Leben vom Anfang bis zum Ende – das wünscht sich die Seelsorgerin – auch von der Politik: 

Anne Heimendahl:
Na, es würde sich schon, glaube ich, eine Menge verändern, wenn wieder das zurückgenommen würde, was in den letzten sagen wir mal 15 Jahren Standard geworden ist, dass die Ökonomie im Vordergrund steht. Wenn vom Patienten her gedacht würde und von der Medizin, dann würden ganz andere Standards gesetzt werden können.  

Autor:
„Nimm dein Grab und geh“ – heißt es in einem Gedicht des verstorbenen Literaturnobelpreisträgers Tomas Tranströmer. Es klingt wie eine Zusammenfassung der christlichen Osterbotschaft. Sie lautet: Hör nie auf zu hoffen! Auch am Ende nicht. Tu, was möglich ist! Lebe, so gut und so erfüllt du kannst! Und: Sorge dafür, dass auch andere das können! Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Osterfest!

Musik City/ Am Fenster 

Diese Sendung ist eine Wiederholung vom 2.4.2018.