Bernd Pabel: Das ist die Uniform für die Bergparaden. Damit ist kein Mensch auf Arbeit gegangen. Nene so was gabs gar nicht. Das ist die richtige Paradeuniform. Die Knöpfe die sie dran hat - sind genau 28 Stück. Das sind die Lebensjahre der Heiligen Barbara. Die heilige Barbara ist die Schutzpatronin der Bergleute. Zum Beispiel tragen die Sachsen die ersten drei Knöpfe immer offen. Wir knöpfen hier in Preußen zu. Die tragen sie offen. Warum? Weil die ersten drei Jahre die Barbara in Freiheit gelebt hat. Dann haben wir an den Ärmeln, so wunderschöne Kordeln - beschreiben praktisch die Zündschnüre, die man früher gebraucht hatte, um im Tagebau das Gestein zu sprengen.
Autor: Bernd Pabel steht mit seiner schmucken Bergmannsuniform vor dem Eingang des Heinitz Tunnels in Rüdersdorf. Hier im 10 000 Einwohner-Ort südöstlich von Berlin wurde er im März 1959 geboren. Denn seine Eltern kamen 1947als vertriebene Schlesier von Mittelwalde nach dem 2. Weltkrieg an den Berliner Stadtrand, heute der Brandenburger Landkreis Märkisch-Oder-Land. Sein Vater war nach der Kriegsgefangenschaft in der Verwaltung des VEB Zementwerkes als Controller tätig. Und auch seine Mutter arbeitete beim größten Arbeitgeber im Ort. Pabels Frau stammt ebenfalls aus Rüdersdorf und seine drei Kinder wurden hier geboren. Er beschreibt die Uniform weiter:
Bernd Pabel: Dann haben wir an unserem Schachthut einen Federbüschel dran. Von hier bis runter nach Essen im Kohlenpott, alle tragen Schwarz-weiße-Buschels, alles was zu Preußen gehört hat. Aber warum überhaupt der Buschel? Weil wenn man die Bohrlöcher gebohrt hat und man hat die mit Sprengstoff gefüllt, musste man die Bohrlöcher ja sauber machen und dazu hat man Federkiele genommen.
Autor: Die bergmännischen Landesverbände erkennen sich bei ihren Paraden an den Farben der Federn ihrer Schachthüte.
Bernd Pabel: Wenn der zum Beispiel in Thüringen ist, dann sind die Federn Gelb und Grün und in Sachsen sind sie Gelb und Blau. Die Federn sind Natur, die weißen Federn sind vom Weißen Schwan und die schwarzen Federn sind vom Schwarzen Schwan. Es sind keine gefärbten, es ist alles original.
Autor: Ganz billig ist die Paradeuniform nicht. Die von Bernd Pabel und seinen Freunden kommen als Maßanfertigungen aus einer Schneiderei in Essen.
Bernd Pabel: Eine komplette Uniform mit alles, sind wir jetzt bei 800 Euro: Hose, Jacke, Schachthut. Ansonsten haben wir ein weißes Hemd an, einen schwarzen Schlips, mit Schlegel und Eisen drauf und auf den Schultern haben wir hier auch Schlegel und Eisen drauf.
Autor: Seit fast 770 Jahren wird in Rüdersdorf Kalkstein abgebaut und zu Baustoffen verarbeitet. Viele Wahrzeichen in Berlin – wie das Fundament des Brandenburger Tores, die Terrassen und Treppen von Schloß Sanssouci in Potsdam oder das Olympiastadium - sind mit Rüdersdorfer Kalkstein errichtet worden. Die industrielle Zementproduktion begann 1885. In der DDR nannte man Rüdersdorf den staubigsten Ort in Ostdeutschland.
Bernd Pabel: Zu DDR-Zeiten hatten wir dreieinhalb Tausend Mitarbeiter. Heute sind wir noch so 220, 230. Wir hatten hier früher in Rüdersdorf drei Zementwerke am Laufen und heutzutage läuft nur ein Zementwerk. Die Kalksteinförderung, die hier unten läuft, ist auch dasselbe, also die drei Millionen Tonnen Kalkstein werden nach wie vor gefördert. Dazu kommen noch mal 12 Millionen Kubikmeter Wasser die gepumpt werden Das Wasser wird rüber gepumpt in den Kriensee bis zur Woltersdorfer Schleuse.
Autor: Bernd ist ein großer, kräftiger Mann, leichter Bauchansatz, Brille und Tonsur, graue Haare. Er wirkt fit und tatkräftig. Bernd Pabel hat viel zu erzählen, über sein Leben in einer katholisch sozialisierten Familie, seine Armeezeit, die Lehre, die Berufsstationen und klar, seinen Bergbauverein. Einmal in seinem Element der Welt von Kalk- und Zement-Werk, des Tagebaus und der Bergleute ist er mit vielen Anekdoten kaum zu stoppen.
Bernd Pabel: Seit 20 Jahren bin ick hier im Bergbauverein drinne. Seit zwei Jahren mache ich hier den Vorsitzenden. Die Leute, die hier im Bergbauverein sind, sind nicht alle im Bergbau unten tätig gewesen. Wir haben vom Autohausbesitzer, bis zum Glaser, vom Elektriker – alle möglichen Gewerke haben wir hier drinnen.
Autor: Obwohl er mittlerweile in Rente ist, dominiert in seinen Erzählungen das „WIR“.
Bernd Pabel: Die Cemex hat ganz Europa aufgekauft. Cemex heißt Cement Mexiko. Wir sind in 50 Länder der Erde vertreten. Der zweitgrößte Baustoffproduzent der Welt, einer der modernsten Betriebe hier in Europa. Wir haben Kalkstein eben noch bis 2062. Alles schon abgeteuft - dann dauert es, wenn die Pumpen abgeschaltet sind noch 20 Jahre, bis dann wieder so ein großer See entsteht, dass die alle wieder mit einem Segelboot hier durchfahren.
MUSIK
Autor: Bernd Pabel präsentiert stolz die alten Maschinen und Hunte, die kleinen Loren im unterirdischen Tunnel, in dem heute die Räume seines Vereins sind. Das Vereinshaus ist im Prinzip ein alter Kanal, der noch auf Friedrich Anton von Heynitz zurückgeht. Heynitz geboren 1725 in Dröschkau im heutigen Landkreis Nordsachsen - starb 1802 in Berlin. Er war der Gründer der Freiberger Bergakademie in Sachsen und später ein großer Reformer des Berg- und Hüttenwesens in Preußen.
Bernd Pabel: Der ist hier nach Rüdersdorf gekommen, der hat eine Bergordnung hier erst einmal reingebracht. Unter anderem ist das königlich-preußische Bergamt entstanden. Hier 1843 und den Adler den wir hier sehen, ist der Original-Adler der früher beim Bergamt oben auf dem Sockel gestanden hat. Als 1945 die Russen hier angekommen sind. Haben sie den Adler runtergerissen, haben ihn kaputtgeschlagen und haben ihn in den Heinitz-See geworfen. Als der Heinitz See wieder als Bruch aufgemacht worden ist, wurden die Teile wieder gefunden und unsere Vereinsmitglieder haben dann diesen Adler wieder zusammengesetzt und damit steht er wieder bei uns in der Ausstellung.
Bernd Pabel: Es gibt zurzeit noch zehn Bergleute, die unter Tage arbeiten. Die komplette Entwässerung für diesen Tagebau, läuft untertägig. Da sind wir auf Minus 55 Metern.
Autor: Neben Loks, Pumpen oder Bohrern sind in Schaukästen des Vereins viele Dinge mit Bezug zum Bergbau zu sehen, wie: historische Fotos von Obersteigern, von Bergparaden, Froschlampen, Häckel, Steiger Stöcke oder historische Schlägel. Aber auch Uniformen aus der Kaiserzeit und dem Dritten Reich, zudem viele Steine und Funde aus dem Tagebau, von Muscheln, Knochen von Sauriern über Kopffüsslern oder kleinen Insekten, die in den Steinen eingeschlossen sind.
Bernd Pabel: Im Naturkundemuseum in Berlin ist ein kleiner Fischsaurier, den hat man hier im Heinitz Bruch gefunden und ein Abdruck davon findet ihr hier im Museumspark im Torell-Haus.
Autor: … betont er stolz. Regelmäßig kommen Schülerinnen und Schüler an ihren Wandertagen zu Exkursionen und geologischen Führungen hierher, um unter fachkundiger Führung Fossilien zu suchen und sich die Geschichte des Rüdersdorfer Bergbaus erklären zu lassen. Der Museumspark Rüdersdorf mit einer Fläche von 17 ha bietet als Freilichtmuseum ideale Einblicke in die bewegte Industrie- und Bergbaugeschichte des Ortes. Hier ergänzen sich die kommunalen-musealen Angebote und die des Bergbauvereins auf ideale Weise.
MUSIK
Bevor die Bergleute unter Tage gingen, versammelten sie sich noch im letzten Jahrhundert im Bethaus:
Bernd Pabel: Weil die Arbeit im Bruch, war ja Sprengarbeiten, die war so gefährlich gewesen, da wusste nicht jeder, ob der gesund auf den Abend wieder nach Hause kommt. Da gab es frühmorgens immer eine Andacht.
Bernd Pabel: Hier haben wir die Glocke aus dem Bethaus … Diese Glocke von dem Bethaus aus dem Heinitz Bruch ist dann durch sämtlich Kriege: Ersten Weltkrieg, Zweiten Weltkrieg, DDR-Zeit – immer von einem Magazingebäude ins nächste geschoben worden … als unser Verein sich 1990 gegründet hat und hier im Tunnel unsere Vereinsräume dann fertig waren …Uns haben sie gefragt, wollt ihr die Glocke haben vom Bethaus? Natürlich wollen wir die Glocke vom Bethaus haben.
Autor: Als Bernd Pabel einmal vor großen Herausforderungen stand, die Ärzte bei ihm Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostizierten – was sich im Nachhinein als Fehldiagnose herausstellte; bei seinem dreijährigen Enkel ein Tumor im Kopf entdeckt wurde - der entfernt werden konnte und gutartig war; und seine Frau in die Berufsunfähigkeit rutschte …da war Bernd Pabel wirklich am Ende.
Was ihm half, war sein Glaube und sein Motorrad. Mit letzterem einer Honda CBF 1000 war er 10 Tage unterwegs. Kam bis nach Rouen in Frankreich und fuhr an der Atlantikküste und am Ärmelkanal über Calais, Belgien und die Niederlande wieder zurück nach Rüdersdorf. Diese Tour, ganz allein, führte ihn wieder zu sich selbst. Zu Hause angekommen sagten seine Frau, seine Kinder, Freunde und Nachbarn: „endlich bist du wieder ganz der Alte!“
Autor: Der überzeugte Christ Bernd Pabel hat auch kritische Anmerkungen, wenn man auf seine Kirche zu sprechen kommt:
Bernd Pabel: Man kann ein guter Christ sein. Aber man muss nicht alles akzeptieren, was hier läuft. Was zurzeit läuft, funktioniert gar nicht. Und da braucht man sich auch nicht wundern, wenn die Kirchen leer werden.
Autor: Er beobachtet mit Blick auf die jüngere Generation Veränderungen. Missbrauchsskandale und Machtüberschätzungen lassen Antworten auf Fragen offen:
Bernd Pabel: Man sieht es an den eigenen Kindern, die schieben sich auch Stück für Stück zurück. Und dann kommen dann Fragen, wo man selber als Vater dann dasteht und sagt: man was sage ich denen jetzt? Wie soll ich denen denn solche Fragen beantworten?
Autor: Der Familienmensch Bernd Pabel ringt nach Worten, wenn er über diese Themen nachdenkt:
Bernd Pabel: Ich mach den Küsterdienst. Und dann kommen sie auch an: Naja Du hast ja mit den Kindern zu tun und das alles. Ich habe eine Familie großgezogen, mit drei Kindern, mit vier Enkeln. Ich guck den an und denke so: sag mal hast Du noch alle Latten am Zaun? Und dann wie damit umgegangen wird. Die Konsequenzen die daraus gezogen werden. Das gruselt einen doch.
Autor: Er hat aus seiner Erfahrung dann auch einen Ratschlag:
Bernd Pabel: Warum bin ich überhaupt noch in der Kirche drinne? Da sage ich mir immer, das eine sind die Menschen und das andere ist der liebe Gott. Ich muss mich vor Gott verantworten und nicht vor dem Pfarrer. Der ist auch bloß ein Mensch.
(Atmo Laufen, Schlüssel)
Bernd Pabel: So, wisst ihr woher die Schlösser hier sind? Die hier verbaut worden sind? Dier sind aus dem Strafvollzug, die sind aus dem Knast Rüdersdorf aus DDR-Zeiten noch.
Autor: Auf einer Freifläche die sich am Heinitz Kanal anschließt erklärt Bernd Pabel den Tagebau.
Bernd Pabel: Den Bagger den wir unten rechts sehen – ist einer der größten Bagger Europas, der wird hierzu genutzt, weil wir sind so dicht am Ortszentrum dran, wir sehen dahinten die Kirche. Ist die evangelische Kirche, die ist übrigens auch aus Schaumkalk gebaut. Ab hier darf nicht mehr gesprengt werden, weil wir würden soviel Erschütterungen in den Erdbereich rinbringen, dass da drüben die Häuser reißen würden. Der Bagger reißt dieses Gestein komplett hoch, ohne zu sprengen. Ist ein Ungetüm.
Autor: Und dann hat er noch Anmerkungen zur Geschichte des Rüdersdorfer Bergbaus, der auf Ordensbrüder des 13. Jahrhunderts zurückgeht.
Bernd Pabel: 1254 ist die erste Erwähnung: Abbau Rüdersdorfer Kalkstein. Die Entdeckung von Rüdersdorfer Kalkstein geht auf das Jahr zurück 1235. Warum? Da gibt es eine tolle Geschichte dazu. Jeder Staat braucht Steuern. Damals die Fürsten brauchten auch Steuern. Und von den Bauern aus Rüdersdorf haben die natürlich kein Geld gekriegt, weil hier war nichts zu ernten gewesen. Hier gabs nur Klamotten und das Zisterzienserkloster in Kagel, die Mönche, da hat der Fürst gesagt, liebe Mönche geht mal nach Rüdersdorf und guckt mal, ob das stimmt, oder ob das nicht stimmt, ob die uns vereimern. Und die sind hierhergekommen und die wussten sofort: Kalkstein, was ist Kalkstein, was kann ich mit Kalkstein machen und damit ging die ganze Kiste dann los.
Autor: Übrigens: es gibt feste Tage, wo man Bernd Pabel und seine Vereinsmitglieder im Heinitz Tunnel in Rüdersdorf kostenfrei bei einer Führung erleben kann, zum Beispiel im Mai zum Museumstag, beim Bergfest im Juli und zum Tag des „Offenen Denkmals“ im September.
Oder man fragt direkt nach zum Beispiel über die Internetseite des Bergbauvereins Rüdersdorf, dann bekommt man eine private Führung, vielleicht sogar aus Anlass eines runden Geburtstages oder einer Familienfeier, denn die Vereinsräume kann man auch mieten. Fakt ist, jeder der in den Heinitz Tunnel rein geht, kommt garantiert klüger raus, In diesem Sinne: „Glück auf!“
Musik: „Der Steiger kommt“