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Knapp 40 Tage nach Ostern feiern christliche Kirchen Christi Himmelfahrt. Entstanden ist diese Tradition ab dem 4. Jahrhundert. Parallel zur vierzigtägigen Fastenzeit vor Ostern schließt sich jener Festkreis gewissermaßen an diesem Tag.
Wie in vielen anderen Ländern auch ist Christi Himmelfahrt in Deutschland ein gesetzlicher Feiertag. Dass viele Menschen an diesem Tag nicht arbeiten und Kinder schulfrei haben, beeinflusst auch die Festgottesdienste der evangelischen Kirchengemeinden in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Ich sprach mit Pfarrerin Madeleine Mieke von der Potsdamer Auferstehungsgemeinde darüber, wie dort der Gottesdienst an Christi Himmelfahrt gestaltet wird.
Madeleine Mieke
Von Inhalt und Form unterscheidet es sich eigentlich nicht von anderen Gottesdiensten. Was ein bisschen anders ist an diesem Tag, ist, dass unsere Band spielt und wir nicht von der Orgel begleitet werden. Das macht es ein bisschen anders und besonders – und natürlich, dass wir unter freiem Himmel sind, auf der Wiese vor der Kirche. Wir haben draußen einen Altar, wir haben vor ein paar Jahren mit unseren Kindern hier ein Kreuz gestaltet. Und das ist sozusagen das Altarkreuz und davor versammeln wir uns.
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Auch die evangelische Kirchengemeinde in Potsdam-Babelsberg zieht es am Himmelfahrtstag nach draußen, wie ich im Gespräch mit deren Pfarrer Ronny Hauske erfuhr:
Ronny Hauske
Also wir gehen in den Babelsberger Park, ins Grüne. Ein großer Posaunenchor gestaltet den Gottesdienst musikalisch mit. Wir beziehen die Familien und Kinder in besonderer Weise mit ein. Und manch einer kommt vielleicht auch einfach spontan als Zaungast vorbei und bleibt dabei stehen. Das ist ja auch besonders, das haben wir sonst auch nicht so in den normalen Gottesdiensten. Das heißt also, dass es ein Gottesdienst ist, der einerseits einen sehr festlichen Charakter hat, aber auf der anderen Seite auch einen lockeren, entspannten Charakter gewinnt, dadurch, dass wir da draußen sind. Und wir gestalten den auch freier als die üblichen Sonntagsgottesdienste, von der Liturgie her.
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Dass der Himmelfahrtstag, vor allem bei schönem Frühlingswetter, zunehmend als Ausflugstag für Familien gilt, hat auf die Kirchengemeinden je nach Stadtlage durchaus unterschiedliche Auswirkungen. Während im Babelsberger Park auch viele Familien mit kleinen Kindern unterwegs sind, macht die Auferstehungsgemeinde im Potsdamer Stadtteil Waldstadt ganz andere Erfahrungen, wie Pfarrerin Madeleine Mieke erzählt.
Madeleine Mieke
Unsere Erfahrung ist, dass an diesem Tag die Familien ausgeflogen sind. Also dass wir hier Kerngemeinde haben, ältere Menschen, die sonst auch zum Gottesdienst kommen, und die Familien verreist sind, oder unterwegs sind. Das ist auch meine Beobachtung in den letzten Jahren, dass es so ein bisschen wegkommt von diesen Vatertag-Bollerwagen-Touren, hin zu sozusagen Familientagen. Dass Väter lieber eine schöne Zeit mit ihrer Familie haben als mit Freunden trinkend durch die Gegend zu fahren. – Es gibt andere Gelegenheiten, wo wir die Familien hier haben. Also wir haben viele Familiengottesdienste, aber wir legen die eben bewusst nicht in die Zeiten von Ferien oder Feiertagen, weil unsere Erfahrung ist die letzten Jahre, fast Jahrzehnte schon – die Leute sind unglaublich mobil und sozusagen jedes lange Wochenende wird genutzt, um zu verreisen.
MUSIK: Anna Ternheim Come Fly With Me
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Die Tradition von Christi Himmelfahrt stammt aus dem Evangelium des Lukas und dessen Apostelgeschichte. Es sind die einzigen beiden Stellen des Neuen Testaments, wo eine sogenannte „Entrückung Jesu in den Himme“l erwähnt wird. Eng damit verknüpft ist auch der Brauch an Himmelfahrt nach draußen zu gehen und als Gemeinde unter freiem Himmel zusammenzukommen, wie Pfarrer Ronny Hauske von der Kirchengemeinde Potsdam-Babelsberg erklärt.
Ronny Hauske
Am Ende des Lukasevangeliums und am Anfang der Apostelgeschichte, da führt Jesus der Auferstandene seine Jünger nach draußen ins Freie. Und die gehen ein bisschen außerhalb der Stadt Jerusalem und dort redet er nochmal mit ihnen, er segnet sie auch, und wird dann in ihrem Beisein quasi entrückt, also verschwindet vor ihren Augen irgendwie im Himmel. – Dieses Ereignis, das wird eigentlich gleichzeitig zum Grund dafür, dass wir ihn auch in unserer Zeit und in unserem Leben als gegenwärtig glauben dürfen. Jesus Christus ist nun überall da, wo Menschen nach ihm fragen und in seinem Namen zusammenkommen. Und deshalb liegt es auch nah, den Kirchenraum zu verlassen und nach draußen zu gehen und den Blick Richtung Himmel zu richten.
Aber natürlich sind wir auch Menschen, die den Frühling genießen und die, wie alle anderen Menschen auch, sich freuen, dass die Sonne da ist und auch gerne mal einfach ins Freie gehen und Gottesdienst draußen feiern. Also da verbinden sich, glaube ich, ganz normal menschliche Lüste und Bedürfnisse mit der theologischen Tradition.
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Raus ins Freie zieht es an Christi Himmelfahrt nicht nur die Kirchengemeinden. In Brandenburg wird der arbeitsfreie Feiertag von vielen als Vatertag, oder auch als Männertag verstanden. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich vor allem im Berliner Raum die Tradition, am sogenannten Vatertag Ausflüge zu unternehmen. Wer sich keine Kutschfahrt leisten konnte, machte sich mit dem handgezogenen Bollerwagen auf den Weg. Als Proviant diente vor allem reichlich Alkohol. Anstoß dazu gaben damals wohl auch lokale Bierbrauereien, die so ihren Umsatz steigern wollten. Mit Pfarrerin Madeleine Mieke sprach ich auch über gemeinsame Ursprünge der Himmelfahrts- und Vatertagstraditionen.
Madeleine Mieke
Es ist so ein bisschen eine Tradition natürlich, weil man an diesem Tag, Himmelfahrt, vielleicht auch gern dem Himmel ein Stück näher ist und draußen feiert. Das hat vielleicht auch mit den Himmelfahrtstouren zu tun, die es ja schon lange gibt, also sehr lange gibt: bei den Germanen gab’s schon sozusagen zu diesem Tag diese sogenannten Flurumgänge. Das heißt, das ist man sozusagen um sein Land gelaufen, hat gesagt: Das ist meins. Und das hat sich dann mit christlichen Traditionen vermischt. Und daher kommt vielleicht also dieses Draußensein, Unterwegssein, Wandern – hier in der Gegend, glaube ich seit dem 19. Jahrhundert durch die Brauereien als Tag festgelegt. Und wir haben hier auch schon eine Himmelfahrtstour unternommen mit ein paar Leuten, von – sozusagen von hier nach Caputh, haben hier angefangen, haben sozusagen den ersten Teil des Gottesdienstes hier gefeiert, sind dann nach Caputh gefahren und haben dort den Abschluss, den zweiten Teil gefeiert mit der dortigen Gemeinde.
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Gerade im Osten Deutschlands, wo Christi Himmelfahrt lange Zeit gar kein Feiertag war, etablierte sich schließlich der Männer- oder Herrentag mit dem Brauch der sogenannten „Herrenpartie“. Auch heute werden im Land Brandenburg wieder viele Männergruppen unterwegs sein, und gewiss wird dabei auch einiges an Alkohol fließen. Von Pfarrer Ronny Hauske, dessen Gemeinde den Himmelfahrtsgottesdienst schon seit vielen Jahren im Babelsberger Park feiert, wollte ich daher wissen, was passiert, wenn solche ausgelassenen Herrenpartien auf einen Gottesdienst im öffentlichen Raum treffen.
Ronny Hauske
Also das ist tatsächlich so ein bisschen das Spannende an dem Tag und an diesem Gottesdienst, dass wir da mitten im Geschehen des Tages eigentlich sind. Wir sind da am Rande des Parkweges, da kommen also Leute mit ihren Fahrrädern vorbei, oder mit’m Bollerwagen, die das sowieso langwandern und ihre Tour machen. Aber auch auf dem Wasser, hinter uns, fahren Boote vorbei, die feiern und so weiter. Und wir sind dann da immer so mitten drin. Es wird zum Teil zu uns rüber gewunken und gerufen, was auch lustig ist. Wir freuen uns da eigentlich immer auch drüber. Und es kommt auch vor, dass Menschen mal stehenbleiben, ’ne Weile zuhören. Also es ist schon immer sehr bunt, aber das macht es auch lebendig. Und natürlich kann man, wenn wir uns an diesem Tag in den Park begeben, nicht erwarten, dass es genauso still und ungestört bleibt wie in einer Kirche. Und wir haben bisher immer sehr fröhliche Begegnungen da erlebt, schon auch mit lauten Rufen oder mit lauter Musik. Aber das hat uns bisher nicht gestört. Die meisten Leute winken oder rufen einfach fröhlich und nicht aggressiv oder so. Und wenn man freundlich zurückwinkt, freuen die sich auch.
MUSIK: Rahim Redcar (Christine and the Queens) Marvin Descending
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Es gibt viele Länder, in denen jährlich ein Vatertag begangen wird, um Aufmerksamkeit auf die Rolle von Vätern in Familie und Gesellschaft lenken. Doch nur in Deutschland fällt ein solcher Tag auf Christi Himmelfahrt und wird zudem nicht nur von Vätern, sondern von allerlei Männern zum Anlass genommen, vor allem sich selbst zu feiern.
Ich habe Pfarrerin Madeleine Mieke gefragt, ob sie den kirchlichen Himmelfahrtstag als Parallelfest zum sogenannten Vater- und Männertag wahrnimmt und ob sie sich mehr gesamtgesellschaftlichen Austausch über Anlass, Bedürfnis und Gelegenheit dieses christlichen Feiertags wünscht.
Madeleine Mieke
Also es tangiert eigentlich nicht. Es kommt auch in der Predigt kein Bollerwagen vor, sondern wir haben ja sozusagen unser eigenes Thema – Christi Himmelfahrt. Ich freu mich aber, wenn Menschen sozusagen eine gute Zeit zusammen haben. Aber sozusagen das Ähnliche ist ja der Ursprung vielleicht, oder dass diese Tage aufeinander fallen: Vatertag oder Herrentag, Himmelfahrt – das sind so Feste, wo wir auch hier in der Kirchengemeinde immer mal wieder erklären müssen, was das eigentlich ist, weil das nicht so ganz verständlich ist. Es hat ja viel mit Geist und Unsichtbarkeit zu tun. Jesus ist zu seinem Vater aufgefahren. Wir sind ja sozusagen Christen in dieser Welt mit dem Kopf im Himmel und den Füßen auf der Erde – das ist ja auch die Botschaft von Himmelfahrt, dass wir nicht träumen und in den Himmel gucken und auf Hilfe warten, sondern dass wir selbst tätig werden. Das gibt so eine schöne Stelle in dieser Himmelfahrtsgeschichte, wo auf einmal ein Engel auftaucht und den Männern sagt: „Was steht ihr da und guckt in den Himmel? Ihr seid hier und ihr habt hier was zu tun.“
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Auch Pfarrer Ronny Hauske von der Kirchengemeinde Potsdam-Babelsberg teilt den Eindruck, dass ein Zugang zu Christi Himmelfahrt nicht leicht zu vermitteln ist. Zugleich aber bemüht er sich, Gemeinsamkeiten zwischen dem christlichen Feiertag und dem Zelebrieren des freien Tages als Vater- oder Männertag zu entdecken.
Ronny Hauske
Also die Verbindung ist schon nicht so leicht herzustellen. Und tatsächlich ist das natürlich inhaltlich ein sehr großer Unterschied. Aber die Menschen, die da unterwegs sind, die wollen natürlich auch mal ausgelassen sein, die suchen gelöste Entspannung und wollen einfach den Tag draußen in der Natur genießen. Und das wollen wir im Grunde ja auch. Und für uns verbindet es sich so ein bisschen mit der Frage: Was ist für uns Grund, auch sich frei und gelöst zu fühlen. Also unser Gottesdienst in diesem Jahr hat das Thema „Schwere-los“. Und wir überlegen so ein bisschen: Wenn wir den Blick Richtung Himmel richten und wenn wir daran denken, wo Gott für uns in unserem Leben gegenwärtig ist, wo nimmt uns das auch eine Schwere? Wo kann uns das auch eine Leichtigkeit geben, die wir ohne diesen Glauben vielleicht nicht finden würden? Und vielleicht ist das so eine kleine Verbindung. Aber natürlich sind es sehr unterschiedliche Interessen, die sich da mit dem Tag verbinden.
Und ich glaube, dass wir da draußen sind und Teil dieses ganzen, bunten Geschehens sind, bietet ja auch die Möglichkeit nachzufragen: Was ist das eigentlich, was ihr da feiert, an Christi Himmelfahrt. Es ist auch so ein bisschen eine Erinnerung: „Ach, stimmt. Christi Himmelfahrt ist eigentlich ein kirchlicher Anlass, auch ein kirchlicher Feiertag und nicht nur Herrentag.“
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In Potsdam feiert heute die Auferstehungsgemeinde um 11 Uhr im Garten der Martin-Luther-Kapelle den Himmelfahrtgottesdienst, auch die Babelsberger Gemeinde ist draußen: beim Open-Air-Gottesdienst im Babelsberger Park, ebenfalls um 11 Uhr. Wer also heute den Himmelfahrtstag gern mit der Familie oder befreundeten Menschen draußen unterwegs ist, hat auch in diesem Jahr die Möglichkeit unter freiem Himmel etwas mehr darüber zu erfahren, warum dies ein Feiertag ist.
MUSIK: Harry Stiles Sign Of The Times