Zitat: Aus Delps Predigt zu Mariä Lichtmeß am 2. Februar 1941
Man kann für Gott kein besseres Bild finden als dieses: Licht. Und er selbst nennt sich Licht. Er ist als Licht gekommen, herabgestürzt, hineingestürzt in die Nacht. Begreifen Sie, dass damit immer wieder etwas gesagt ist über die öffentliche Verantwortung des christlichen Menschen. Ich glaube, es wird uns gelingen, das Volk nochmals zu erleuchten, wenn wir genug Menschen haben, die fähig sind, diesen Verschwendungs- und Opferberuf zu ergreifen und zu vollziehen. Menschen, die sich hineingeben auch in den Untergang, um die anderen zu gewinnen.
Autor:
Mit diesen Worten wandte sich der Jesuitenpater Alfred Delp in einer Predigt am 2. Februar 1941 an seine Zuhörer. Als Priester übte er den Opferberuf, von dem er sprach, selbst aus und war auch bereit, sich für andere in Gefahr zu begeben und Leid auf sich zu nehmen. Seine Predigt hielt er zum Fest der Darstellung Jesu im Tempel - auch Mariä Lichtmess genannt. Vier Jahre darauf, wiederum zu Mariä Lichtmess, wurde er in Plötzensee hingerichtet. Nach sechs Monaten Haft wegen seiner Mitarbeit im „Kreisauer Kreis“. Die Mitglieder dieser Widerstandsgruppe hatten Konzepte für die Neugestaltung Deutschlands nach einem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft entworfen. Knapp einen Monat vor seiner Hinrichtung schrieb Delp in einer Betrachtung zum Epiphanias-, dem Dreikönigsfest:
Zitat: aus Delps Meditation zu Epiphanie (6. Januar) 1945
Das allgemeine Schicksal, meine persönliche Lage, die Botschaft des Festes: alles sammelt sich in das Eine: Mensch, lass dich los zu deinem Gott hin und du wirst dich selbst wieder haben. Jetzt haben dich andere, sie quälen dich und erschrecken dich und jagen dich von einer Not in die andere. Das ist dann die Freiheit, die singt: - uns kann kein Tod nicht töten. Das ist dann das Leben, das da ausfährt in die grenzenlose Weite.
Autor:
Die Freiheit und die Weite des Lebens, die jeder Pein widerstehen - Delp hatte sie sich in der Haftzeit trotz der Verhöre, trotz Folter in konzentriertem Nachdenken, im Gebet und im Betrachten christlicher Feste und Glaubensinhalte bewahrt und auf neue Weise erworben. So konnte er am 11. Januar 1945, einen Tag nach dem Prozess vor dem Volksgerichtshof und dem verhängten Todesurteil, in einem Brief festhalten:
Zitat: Pater Alfred Delp nach seiner Verurteilung am 11. Januar 1945
Es ist Zeit der Aussaat, nicht der Ernte. Gott sät; einmal wird er auch wieder ernten. Um eines will ich mich mühen: wenigstens als fruchtbares und gesundes Saatkorn in die Erde zu fallen. Und in des Herrgotts Hand. Und mich gegen den Schmerz und die Wehmut wehren, die mich manchmal anfallen wollen. Wenn der Herrgott diesen Weg will - und alles Sichtbare deutet darauf hin -, dann muss ich ihn freiwillig und ohne Erbitterung gehen. Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind.
Autor:
Alfred Delp war ein philosophischer Kopf, ein scharfer Beobachter und Analytiker seiner Zeit. Besonders befasste er sich mit dem Zustand des Menschen aus sozialer, psychologischer und religiöser Perspektive. Seine illusionslose Diagnose fasste er so zusammen:
Zitat: Aus Alfred Delps „Die Erziehung des Menschen zu Gott“ (Mitte Dezember 1944)
Der gegenwärtige Mensch ist weithin nicht nur gottlos, rein tatsächlich oder auch entscheidungsmäßig, es geht die Gottlosigkeit viel tiefer. Der gegenwärtige Mensch ist in eine Verfassung des Lebens geraten, in der er Gottes unfähig ist.
Autor:
Diese Aussage verfasste Delp in seiner im Dezember 1944 im Gefängnis Berlin-Tegel entstandenen Schrift „Die Erziehung des Menschen zu Gott“. Seinem Urteil über die religiös-psychologische Verfassung der Menschen seiner Zeit war eine längere Beschäftigung mit dem Wesen des Menschen vorausgegangen. Eine seiner dabei gemachten Erkenntnisse drückte er in einer in der Haft geschriebenen Adventspredigt so aus:
Zitat: Aus Alfred Delps: Predigt zum dritten Advent 1944 (im Gefängnis geschrieben)
Es gehört zum Wesen des Menschen, über sich hinaus zu müssen, sonst wird er ein geistiger Bour-geois, dickblütig und stickig und schwerfällig und behäbig. Wer nur Mensch und sonst nichts sein möchte und nicht mehr von sich weiß, als die menschlichen Alltäglichkeiten und alltäglichen Menschlichkeiten, der vegetiert bald nur noch als Untermensch.
Autor:
Was Pater Alfred Delp meinte, war eine Verschlossenheit in mehrfacher Hinsicht: Zum einen die Begrenzung auf den eigenen Lebenskreis mit seinem eingeschränkten Horizont: eine soziale Abkapselung und Wirklichkeitsverengung. Zugleich aber auch eine kleinmütige Sicht auf das Leben, die nicht über Sicherheit und Selbsterhalt hinauszuschauen vermag. Und schließlich eine Abgeschlossenheit der Welt und des Menschen, die keinerlei Bezug außerhalb des unmittelbar Faktischen und Selbsterlebten kennt. All das macht, so Delp, den Menschen unfrei, schränkt seine Möglichkeiten ein, aber auch seine Fähigkeit zur Hingabe, zum Mitgefühl, zum Einsatz für andere. Es lässt ihn sein Wesen verfehlen.
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Autor:
Die Gottes-Unfähigkeit des modernen Menschen, die Alfred Delp feststellte, ist auch in der heutigen Zeit anzutreffen. Seine Analyse und seine Vorschläge zur Überwindung dieses Zustands sind daher nach wie vor von Belang. Delp beschrieb, dass verschiedene Stationen im Lauf der Geschichte dazu geführt hatten. Beginnend im ausgehenden Mittelalter führte diese Entwicklung nach seiner Analyse zu einer Verabsolutierung der Natur als einer rein triebhaften Lebenskraft. So ging es schließlich nur noch um die Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung der Menschen und um die Steigerung ihrer Vitalität.
Zitat: Aus Alfred Delps: Vertrauen zur Kirche (22.10.1941)
Die geistigen Räume (Kultur, geistiges Leben, Geschichte) werden den Zwecken der zu steigernden Natürlichkeit und Selbstentfaltung untertan gemacht. Das Leben wird zur geschlossenen Kugel, die nur mehr den Blick nach innen erlaubt. Das Leben ist rein Dienst, Funktion, und jede Transzendenz, das heißt jeder Blick auf Höheres, über die umschließende Kugelfläche hinaus, stört den totalen Einsatz.
Autor:
Diese Reduzierung des Menschen ist nach Delp vor allem auch die Folge einer Zivilisation, die behauptet, durch Technik über Welt und Leben verfügen zu können. Einer scheinbar universalen Herstell- und Machbarkeit fällt der Mensch zum Opfer. In einer Art permanentem Produktionsprozess und permanenter Weltverwertung beherrscht nicht er die Technik, sie beherrscht ihn. Sie beraubt ihn seiner Facetten. Denn eigentlich ist er zugänglich für ein Nachsinnen über die Welt und Gott, für religiöse Fragen und Wirklichkeit. Nun ist er geschrumpft zum bloßen homo faber, wie Delp unter Bezug auf den Philosophen Max Scheler feststellte:
Zitat: Aus Alfred Delps: Veni sancte spiritus (Im Gefängnis, 1944 vermutlich):
Der homo faber ist gekommen, die Fabriken wurden die neuen Dome, die Maschinen die neuen magischen Zeichen und der Mensch bald nur noch das am leichtesten austauschbare Stück in dieser Maschinen- und Nützlichkeitswelt. Und in diese Ordnung und diesen Zwang sind jetzt alle hineingerissen.
Autor:
So wird der Mensch ausgelaugt. Was ihm Quelle der Inspiration, Erweiterung des Horizonts und Ausblick hinaus über die Welt ringsum war - Kunst, Kultur, Erleben der Natur -, wird degradiert zur bloßen Regenerierung für den fortgesetzten Einsatz im Getriebe. Und die durchrationalisierte Welt ist, wie der Soziologe Max Weber festgestellt hat, eine „entzauberte Welt“, ohne irgendein Geheimnis. Über den darin lebenden Menschen konstatierte Delp:
Zitat: Aus Alfred Delps: Vertrauen zur Kirche (22.10. 1941)
An seinen Horizonten gingen keine ewigen Sterne mehr auf, und in sein Dasein fiel kein jenseitiges Licht mehr. Das immanente Welterlebnis verengt sich zum Erlebnis des Ungenügens und der Ungeborgenheit. Und so verfällt der Mensch einer Weltangst, die ihn innerlich aushöhlt und zu jeder echten Tröstung unfähig macht. Er versucht, seine innere Leere durch Pathos, durch die stolze Gebärde zu überwinden. Er versucht, die innere Angst durch die Flucht in die Herde, in das Kollektiv zu bändigen. Das Ergebnis ist der daseinsmüde Mensch, der jeder Gewalt sich ergibt und jedem stolzen Wort verfällt.
Autor:
Der Mensch der zweckrationalisierten Welt ist in seinem Wesenskern verletzt. Sozial, kulturell, geistig und religiös unbehaust und entwurzelt, wird er zum Massenmensch, zur Nummer, zum Rohstoff fremder Entscheidungen und Ordnungen, lenk- und manipulierbar. Seine geistigen und religiösen Organe sind ihm abhanden gekommen oder zumindest so stark verkümmert, dass sie ihre Funktionen nicht mehr ausüben. In der Folge, befand Delp, verkümmerten auch gewisse Haltungen und Qualitäten des Menschen, so seine Fähigkeit zu Anbetung, Liebe und Ehrfurcht. Dem stellte er die Gestalten der Weihnacht entgegen, über die er Ende 1944 im Gefängnis eine Betrachtung verfasste. Über die Hirten, die als erstes dem neugeborenen Jesuskind die Ehre erweisen, sagte er:
Zitat: Aus Alfred Delps: Gestalten der Weihnacht (Im Gefängnis, 1944)
Es mußten Menschen sein noch des Wunders fähig. Das war ihr Geheimnis: die schlichte Gesundheit des Herzens, die wache Lebendigkeit der Seele, die hurtige Bereitschaft auf den Anruf hin. Tiefer noch: ihr Leben strömte innerlich noch Wunsch und Erwartung und Sehnsucht und Flehruf und vernommene Verheißung. Dieser Typ existiert nicht mehr: die echte Sehnsucht über sich selbst hinaus. Die innere Verwandtschaft mit den Sehnsüchten der Menschheit und der Verheißungen Gottes. Der Mensch der wachen Gläubigkeit lebt nicht mehr.
Autor:
In den sternkundigen Weisen aus dem Morgenland sah Delp ebenfalls Menschen, wie sie sein sollen: Suchende, die aus Sehnsucht nach dem Endgültigen aufbrechen, fähig zu Hingabe und Anbetung. Auch in den Gestalten des Advents sah er Vorbilder des Menschseins. Das ganze Leben war für ihn eine Art Advent, von einer stetigen Sehnsucht erfüllt. Der Mensch dürste nach etwas, sei ungeborgen, ein Umherziehender und Suchender. Und der müsse er wieder werden. Delp machte sich deshalb Gedanken darüber, wie der moderne Mensch wieder Gottes fähig werden könne. Dafür mussten seiner Analyse nach zunächst elementare menschliche Verhaltensweisen und Haltungen wieder gewonnen werden. In seiner Schrift „Die Erziehung des Menschen zu Gott“ bemerkte er:
Zitat: Aus Alfred Delps „Die Erziehung des Menschen zu Gott“ (Mitte Dezember 1944)
Es muß ein eigenes, intensives Bemühen aufgewendet werden, den Menschen wieder seelisch und geistig bodenständig zu machen. Dazu gehören: Erziehung zur Selbständigkeit, Verantwortung, Urteilsfähigkeit, Gewissensfähigkeit; Erziehung zur Gesellung und echter Geselligkeit; Überwindung all der unzähligen Vermassungserscheinungen; Erziehung zur Transzendenz genauso wie zur Immanenz; Bildung zur Sache, zum Menschen, zu Gott hin. Dies alles hängt nämlich ineinander, und das eine geht ohne das andere nicht.
Autor:
Die Wiedergewinnung der Ansprechbarkeit des Menschen durch Gott und für Gott war für Delp eng verbunden mit der Wiederherstellung des Menschen allgemein: seiner geistigen Wachheit, seiner Lebendigkeit, seiner Verantwortungsfähigkeit und Lebenskundigkeit. Delp selbst erlebte in den sechs Monaten seiner Haft eine innere Wandlung, ging mit seinen Fehlern und Schwächen ins Gericht, vertiefte und erneuerte seinen Glauben. Mit seinem Zellennachbarn Helmut James Graf von Moltke - dem führenden Kopf des „Kreisauer Kreises“ - pflegte er in dieser Zeit eine enge persönliche und geistliche Gemeinschaft - über Bibellektüre, Gebet und geistliche Übungen, unterstützt durch den evangelischen Gefängnispfarrer Harald Poelchau und den katholischen Peter Buchholz. Das bestärkte sie und bereitete sie auf den Gang zum Galgen in Plötzensee vor. Alfred Delp erfuhr so mehr und mehr, was er, noch in Freiheit, über den adventlichen Menschen gesagt hatte. In seiner Predigt zum ersten Adventssonntag 1943 mahnte er:
Zitat: Aus Alfred Delps: Erster Sonntag im Advent (28. 11. 1943)
Du mußt dich ausstrecken, aber du wirst nicht wesentlich über dich hinauskommen, wenn nicht das Andere dir entgegenkommt. Der Mensch ist nur dann wirklich Mensch, wenn er über sich hinaus-kommt. Wir müssen, weil wir unterwegs sind, alle Seligkeit und Unseligkeit des Wartens aushalten. Der Charakter des Lebens ist das Weitergehen und Ausschauen und Aushalten, bis das wache Menschenherz und das uns begegnende Gottesherz zusammenkommen, in der echten inneren Begegnung und in der echten Heimkehr.
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