29.12
2024
08:40
Uhr

Lichterfest und Jahreswechsel

Ein Gespräch mit der jüdischen Theologin Helene Braun

Barbara Manterfeld-Wormit

Wir treffen uns so zwischen den Jahren. Bei den meisten Leuten steht zu Hause noch der Weihnachtsbaum und gleichzeitig ist schon die Zeit der Jahresrückblicke für viele. Silvester steht vor der Tür. Was ist in diesem Jahr so Ihr persönliches Highlight gewesen? Gibt es irgendwas, was für Sie besonders wichtig gewesen ist in diesem Jahr?

Helene Braun

Bestimmt gab es viele sehr wunderbare Momente. Also von der Ausbildung her habe ich meinen Bachelorabschluss gemacht. Das ist natürlich besonders. Es ist ein bisschen untergegangen, wenn man so im Studium einfach immer weitergeht. Dann kann auch so ein Abschluss mal untergehen. Aber eigentlich ist es schon was Besonderes, den ersten richtigen Abschluss in der Tasche zu haben. Ich finde es ganz schwer, aufs Jahr zurückzublicken und irgendwas hervorzuheben.

Ich versuche tatsächlich, mir in jeder Woche Highlights zu setzen. Deswegen finden dann auch sehr viele statt und das würde ich auch weiterhin so machen.

Barbara Manterfeld-Wormit

Das ist sehr gut. Ich glaube, die meisten machen es andersrum. Ich fand es schön, dass sie auch gleich gesagt haben, auch da gab es ganz vieles. Den meisten fällt ganz viel ein, was in diesem Jahr eben auch erschreckend und bedrohlich und mühsam und blöd gewesen ist. Aber Stichwort Jahreswechsel das ist ja eigentlich, wenn man genauer hinschaut, auch gar nicht so richtig. Also für viele Leute ist jetzt bald Silvester. Für Sie als Jüdin ist es nicht so, Sie haben den Jahreswechsel, wenn man so will, schon eine ganze Weile hinter sich.

Helene Braun

Genau. Es gibt verschiedene Jahreswechsel. Ich finde es auch jedes Mal kompliziert und muss mich da immer wieder neu reinlesen. Wann das biblische Jahr endet und wann das Feiertags Jahr endet. Und den Jahreswechsel, den wir vor allem feiern oder der auch bekannt ist, ist ja eben Rosch Haschana. Was dieses Jahr so am Anfang von Oktober war, ist wahrscheinlich übersetzt.

Barbara Manterfeld-Wormit

Nichts weiter als das neue Januar.

Helene Braun

Kopf des Jahres, genau, Kopf des Jahres. Und dort wird Honig mit Apfel gegessen. Es wird auf ein süßes neues Jahr angestoßen und dann beginnt eine eine Zeit der ehrfurchtsvollen Tage und des Entschuldigend und des Erinnerns um das letzte Jahr und ganz viel sich auf seine eigenen schlechten Taten konzentrieren. Bei anderen um Verzeihung bitten, sich viel mit sich selbst beschäftigen und reflektieren. Und diese Tage werden dann mit Jom Kippur abgeschlossen, diesem Versöhnungstag Tag des höchsten Gerichts. Und dann geht es noch weiter mit dem Laubhüttenfest. Und das ist so der ganze Komplex der Hohen Feiertage, der eben mit Rosch Haschana beginnt. Und an diesem Tag ändert sich eben auch das Jahr in diesem Jahr von 5784 auf 85.

Barbara Manterfeld-Wormit

Okay, also wenn man so will ein Fest Kreis, eine lange Fest Zeit mit unterschiedlichen Schwerpunkten sozusagen in der Zeit. Aber wenn das neue Jahr schon angefangen hat, dann gibt es tatsächlich am Anfang diese Zeit der Einkehr, Besinnung.

Helene Braun

Genau das passiert als erstes. Also obwohl das Jahr sich an Rosch Haschana ändert und wir auch erst mal fröhlich sind. Mit Apfel und Honig geht es dann aber direkt weiter wieder mit. Wir ziehen uns zurück und wir denken über uns selber nach und wie es alles gewesen und gehen erst mal so sehr in uns. Und ja, auch über eine längere Zeit. Und dieser Jahreswechsel erstreckt sich ja fast hin bis zu zu Sukkot, zum Laubhüttenfest. Und wenn das dann abgeschlossen ist und dann ist auch noch die der Thora Lese Zyklus, also die fünf Bücher Mose, dieser Zyklus vom Jahr ist dann nämlich auch noch zu Ende und dann geht es auch noch mal so richtig los.

Barbara Manterfeld-Wormit

Das klingt aber so, dass man sich auch sehr viel Zeit nehmen muss. Machen die Menschen das dann auch so in ihrem Alltag oder ist es ein bisschen so? Also die Adventszeit für Christen ist ja eigentlich auch eine Zeit der Buße und der Einkehr. De facto glaube ich, backen die meisten Plätzchen und gehen in schöne Konzerte und auf den Weihnachtsmarkt. Ist ja auch alles schön, aber so dieser ursprünglich Gedanke, der mit der Adventszeit verbunden war, der ist doch so ein bisschen in unserer Zeit verloren gegangen. Ist das bei Ihnen anders? 

Helene Braun 
Also ich nehme schon wahr, dass gerade zu den hohen Feiertagen viele, die sonst vielleicht auch nicht so oft in die Synagoge gehen, eben kommen. Und gerade auch dieser Versöhnungstag für viele sehr wichtig ist. Da ist es ja auch ein Tag zum Fasten und man zieht sich weiß an und ist eben sehr mit sich selbst beschäftigt. Und es gibt viele sehr intensive Gebete, erstreckt sich über den ganzen Tag und auch diese Zeit davor. Das hängt vielleicht auch mit sozialen Medien zusammen, aber Reflexion ist ja auch ein bisschen was, was wieder mehr Trend geworden ist. Also diese Zeit, egal wie religiös oder wie viel man jetzt mit Glauben und Gott zu tun hat, dass diese Zeit dann doch etwas sehr Besonderes ist und die dann auch genutzt wird. Was das dann im Einzelnen bedeutet Für die einen ist es dann ein tägliches, intensiveres Beten und für die anderen ist es vielleicht noch mal problematische Dinge in Freundinnen schaften zu besprechen, sich vielleicht auch von der einen oder anderen Person zu verabschieden oder auch Dinge in der Familie aufzuarbeiten. Das ist ja auch egal. Aber ich nehme viel wahr, dass bei allen irgendetwas passiert.

Barbara Manterfeld-Wormit

Also als Sie es erzählt haben, ganz spontan, fiel mir auch sofort so zwei, drei Leute ein, wo ich dachte, ja, wäre vielleicht mal dran. Ich finde das eigentlich sehr schön und auch wichtigen Gedanken, das auch so ein bisschen zu verankern in der in der eigenen Glaubens Tradition. Jetzt haben wir über das neue Jahr das jüdische neue Jahr gesprochen. Sie feiern jetzt, aber heute, an diesem Tag wiederum ein ganz anderes Fest, nämlich das Chanukka Fest.

Helene Braun 
Ja, Chanukka fällt in diesem Jahr sehr spät ins weltliche Jahr, nämlich auf Ende Dezember, und geht bis in den Januar hinein. Das ist sehr besonders passiert, nur so alle sieben Jahre. Glaube ich ungefähr. Das hängt mit den Monaten zusammen, weil wir haben ja im Judentum so einen Mondkalender. Klingt komplizierter als es ist. Und so fällt Chanukka genau auf diese zwischen den Jahren Zeit. Das ist schön. Vielleicht für viele, vor allem für Kinder, weil sie eben auch ein Fest haben, was dann parallel zu Weihnachten stattfindet, was gefeiert werden kann, wo es ja durchaus auch Geschenke gibt. Und zum anderen hat es aber auch viele Vorteile, wenn Chanukka Anfang Dezember ist, weil dann kann man so ein bisschen diesen Stress, der um einen herum passiert, von sich wegschieben, weil man hatte sein Fest schon und jetzt geht es einfach weiter mit Dezember und dann geht es wieder los mit Januar. Genau, aber Chanukka, ein ein kleineres Fest, kein Fest was aus der aus der Thora kommt. Also kein kein Torah Feiertag, aber ein Fest was gut in die dunkle Jahreszeit auf jeden Fall passt, weil es ja eben auch Licht bringt in unser Zuhause und in die Welt. Und die Chanukka dieser acht Leuchter, soll eben auch eigentlich vor die Haustür gestellt werden. Oder eben, wenn man oben wohnt, ins Fenster hinein, sodass das Licht in die in die Welt getragen wird, was symbolisch ja sehr stark ist, auch in heutigen Zeiten für jüdische Menschen. Auch wenn viele sich vielleicht auch eher entscheiden, die Chanukka drinnen irgendwie hinzustellen. Aber eigentlich vom Gedanken her ja ganz schön, dass die Chanukka auf der Fensterbank stehen und von außen sichtbar sind. Hier wohnen jüdische Menschen und tragen gerade ihr Licht in die dunkle Jahreszeit.

 

Barbara Manterfeld-Wormit

Bei mir zu Gast. Heute zwischen den Jahren ist Helene Braun, Helene Braun studiert jüdische Theologie in Potsdam und hat als Berufsziel Rabbinerin. Und wir sprechen heute über Chanukka, was gerade gefeiert wird von Jüdinnen und Juden in unserem Land, in unserer Stadt, das Lichterfest. Wir sprechen aber natürlich auch ein bisschen über das, was in diesem Jahr war und im nächsten sein möge. Frau Braun dieses Jahr war ja und ist leider weiterhin geprägt auch von vielen kriegerischen Auseinandersetzungen. Auch im Nahen Osten hat sich ihr Leben in diesem Jahr und auch das von den Menschen, mit denen sie unterwegs sind, ihre Freundinnen, Freunde, Familie verändert durch diese Ereignisse.

Helene Braun 
Es hat sich viel verändert. Es sind viele neue Fragen der Sicherheit aufgekommen. Es ist glaube ich bei vielen Judentum die Sichtbarkeit des jüdisch seins wieder mehr in den Hintergrund gerückt. Auch ich bin wieder viel, viel vorsichtiger, erzähle viel seltener, wer ich bin und was ich mache und trage auch keinen, keinen Schmuck mehr. Bin eigentlich auch so für die Außenwelt nicht mehr wahrnehmbar oder identifizierbar als jüdische Person. Das ist sehr traurig und es ist auch ja zu großen Teilen einfach sehr furchtbar, dass das unsere Lebensrealität ist, noch mal mehr aufzupassen, wo wir hingehen. Wenn wir von der Synagoge weggehen, wenn wir irgendwas veranstalten. Die Sicherheitsmaßnahmen, die aufgefahren werden, das gibt einem alles kein schönes Gefühl. Ich bin umso froher, dass es wieder mehr auch Veranstaltungen gibt, zu denen dann auch jüdische Menschen kommen, weil sie diese Räume auch wieder brauchen und es so die Suche nach dem gemeinschaftlichen Irgendetwas zusammen machen. Und unsere jüdisch keit eint uns. Ja und es wird weitergehen. Ich bin mir da ganz sicher. Ich nehme das auch so wahr, dass wir, dass wir weiter kämpfen, was auch immer das für jede einzelne Person zu bedeuten hat.

Barbara Manterfeld-Wormit

Gleichzeitig braucht es ja auch ein Bewusstsein in der Gesellschaft. Also man kann ja schlecht sagen, die Menschen, die sich eben unsicher fühlen in diesem Land, müssen selber dafür sorgen, dass es besser wird und sich im Zweifelsfall schützen lassen. Was würden Sie sich denn ganz konkret wünschen?

Helene Braun 
Ja, ich wünsche mir immer Zivilcourage. Das ist ja das Naheliegendste. Also vor allem auf offener Straße oder in Bahn Bussen, dass wenn ich als Person wahrnehme, dass etwas passiert, was nicht in Ordnung ist, dass ich einschreiten oder andere darauf aufmerksam mache oder eben auch die Polizei rufe. Das ist ja der erste Schritt. Natürlich nicht sich selber in Gefahr bringen, aber andere darauf aufmerksam machen. Und das andere große Thema ist ja dann die sozialen Medien oder das Internet, wo das viel, viel schwieriger ist. Aber auch da kann man immer nur wieder anstoßen. Das gibt es, Videos gibt es, Interviews müssen, die Kommentarspalten müssen moderiert werden, es muss irgendwie geschaut werden, was wird hier kommentiert, wem werden hier welche Nachrichten geschickt? Aber im Einzelnen denke ich auch weiterhin Dialog Formate sind sehr, sehr wichtig im Austausch zu bleiben, Brücken zu bauen, sich zu vernetzen. Denn das ist, was wir brauchen als jüdische Menschen, viele Menschen, die hinter uns stehen und sich eben einsetzen. Und wenn sie irgendwas hören, eben auch erkennbar zu machen, dass das nicht in Ordnung ist.

Barbara Manterfeld-Wormit

Und gleichzeitig braucht es Information. Also die Leute müssen, so ist meine Wahrnehmung, dass viele einfach auch ein ganz, ganz wenig Ahnung haben.

Helene Braun
Über.

Barbara Manterfeld-Wormit

Jüdische Feste zum Beispiel. Und deswegen ist es toll, dass Sie heute bei uns zu Gast sind. Was ist Ihr größter Wunsch fürs neue Jahr?

Helene Braun 
Größter Wunsch also ich glaube, das Jahr 2025 wird ein ganz besonderes ist. Da stehen viele Ereignisse an und vielleicht gehe ich wirklich mit großen Schritten meinem Studienende entgegen. Das ist natürlich sehr aufregend, aber ja, ich versuche, mich nicht zu stressen und ich bleibe weiterhin bei meinen Highlights, die ich mir jede Woche setze, damit es einfach immer schöne kleine wie große Dinge gibt, die in dem kommenden Jahr auch passieren. Und dann? Dann ist es schön.