Daniel Vorpahl
Wir sind mitten im Sommer und für viele ist noch Ferien-, Urlaubs- und Reisezeit. Auch in der Kirche gilt die Mitte des Jahres als Pausenzeit, mit mehr Platz im Kalender. Da passt es ganz gut, dass der Sommer auch als beliebte Hochzeitssaison gilt. Denn neben der in Deutschland obligatorischen standesamtlichen Trauung ist für christliche Menschen die kirchliche Hochzeit von zentraler Bedeutung.
Kirchen sind also immer wieder auch Schauplatz festlicher Trauungen. Und feierliche Hochzeiten finden auch regelmäßig in der Alten Neuendorfer Kirche statt. Sie liegt, umrahmt von klassischen Wohnhäusern, im idyllisch begrünten Zentrum eines einstigen Dorfangers im Potsdamer Stadtteil Babelsberg. Das Besondere aber ist: die Alte Neuendorfer Kirche ist gar keine Kirche.
Bereits 1899 wurde sie entwidmet, das heißt sie verlor ihre Segnung und konnte fortan für andere Zwecke genutzt werden. An ihrer Stelle wurde ein größeres Kirchengebäude gebaut, von dem heute aber nur noch einige Umrisse im Boden des Neuendorfer Angers erkennbar sind. Nach dem Mauerfall wurde hingegen die Alte Neuendorfer Kirche durch einen Förderverein und mit Unterstützung lokaler Handwerksfirmen wiederaufgebaut.
2007 wandte sich dann das Standesamt Potsdam an den Förderverein, um die Alte Neuendorfer Kirche als Außenstelle für standesamtliche Trauungen zu nutzen. Wie es zu diesem ungewöhnlichen Schritt kam, darüber sprach ich mit der Veranstaltungskoordinatorin des Fördervereins der Alten Neuendorfer Kirche, Franziska Fürstenau.
Franziska Fürstenau
Ich denke, das Standesamt sucht Außenorte, einfach um mehr Gästen die Möglichkeit zu bieten, an einer Trauung teilzunehmen. Weil das einfach die Kapazitäten im Rathaus begrenzt sind und so viele Außenstellen auch nicht so viel Platz bieten. Und ich glaube, das hat sich einfach wirklich gefügt in dem Moment: Wir waren fertiggestellt, haben einen großen Raum geboten für bis zu 124 Personen und somit hat sich das einfach irgendwie angeboten. Also es hat ja letzten Endes für uns alle einen großen Vorteil, dass die Kirche einen schönen Nutzen erfahren hat danach. Und deswegen haben wir auch einen großen Zuspruch von Brautpaaren, die sagen, sie möchten halt nicht nur in einem Rathaus heiraten, sondern was Besonderes. Man hat nicht gleich die Straßenbahn vor der Tür, kann gleich mit dem Hochzeitskleid reinspringen, sondern hat wirklich dieses ganze Ensemble hier am Anger. Und ich glaube, danach sehnen sich einfach auch viele Brautpaare, nicht diesen Stress, diese Hektik, sondern man fühlt sich so ein bisschen idyllisch, wie auf’m Dorf.
Daniel Vorpahl
Obwohl für ein Kirchengebäude recht klein, bietet die Alte Neuendorfer Kirche, dank ihrer Empore unter der sternenbemalten Kuppel, Platz für mehr als 120 Menschen. Im Innenraum finden sich auch immer noch eine kleine Kanzel, eine Orgel und auf einem Seitentisch das ursprüngliche Kreuz der Kirche – Zeichen einer sakralen Vergangenheit, an der sich bei der heutigen säkularen Nutzung offenbar niemand stört. Zugleich finden aber an Weihnachten, Neujahr und zu weiteren Terminen im Jahr auch Gottesdienste in der ehemaligen Kirche statt.
Über diese Doppelnutzung sprach ich mit Andreas Kitschke, dem Vorsitzenden des Fördervereins der Alten Neuendorfer Kirche, der selbst die Restaurierung von Kirchen fachlich begleitet. Er würde gern noch einen Schritt weiter gehen und neben standesamtlichen auch kirchliche Trauungen ermöglichen.
Andreas Kitschke
Diese Idee, dass man einen sakralen Raum anbietet, hat natürlich prompt auch zu Widersprüchen aus der Kirchengemeinde geführt, der ich selber angehöre – was ich also auch nicht ganz verständlich fand. Denn genau diese Kombination, dass man eine kirchliche Trauung nach einer standesamtlichen im selben Raum feiern kann, ist seit Jahrzehnten in Petzow möglich. Hier ist das nicht möglich. Ich weiß nicht die Gründe, also – es wird gesagt, es sind also Leute, die eigentlich kirchenfern sind, aber die nun so ein sakrales Umfeld gerne hätten. Und ich sage umgekehrt: vielleicht haben sie ja eine gewisse Sehnsucht nach so einem Raum und vielleicht überlegen sie sich ja auch denn auch mal wieder in die Kirche zu gehen. So rum könnte man es ja auch sehen. Das wäre jedenfalls mein Ansatz bei dieser Sache.
MUSIK The Bathers: If Love Could Last Forever
Daniel Vorpahl
Zwischen 100 und 120 standesamtliche Hochzeiten finden jährlich in der Alten Neuendorfer Kirche in Potsdam-Babelsberg statt. Hinzu kommen ungefähr 15 freie Trauungen pro Jahr. Was bewegt insbesondere Menschen, die selbst keine Bindung an die Kirche haben, an einem solchen Ort zu heiraten? Darüber sprach ich mit Franziska Fürstenau vom Förderverein der Alten Neuendorfer Kirche, die in Kooperation mit dem Potsdamer Standesamt Paare bei der Planung und Organisation ihrer Hochzeit begleitet. Für sie ist es insbesondere das Ambiente dieses Ortes, das dessen Reiz als Hochzeitslocation ausmacht.
Franziska Fürstenau
Man muss ja auch ganz klar sagen, dass wir eine helle, freundliche Kirche sind, was ja viele Paare bevorzugen. Es gibt ja wirklich gruselige, dunkle Standesämter, die einfach nicht einladend sind. Und es ist, wie gesagt, zum einen das ganze Ensemble hier auf dem Anger, dieses Dörfliche, was viele befürworten: wir sind hell, wir sind freundlich, wir bieten wirklich viele Plätze. Und vielleicht hat der ein oder andere auch das Ansinnen: ich gehöre nicht der Kirche an, ich kann aber zumindest den Rahmen schaffen, in dem ich hier meine standesamtliche Trauung vollziehe.
Daniel Vorpahl
Auf der Website des Potsdamer Standesamtes heißt es, der „elegante Kirchenbau“ wirke „heute wieder als Schmuckstück auf dem Anger“. Betont wird auch dort, dass das Gebäude nicht wieder als Kirche geweiht wurde und nur deshalb für eine standesamtliche Eheschließung geeignet sei. Macht also, neben Platzkapazitäten und dem abgeschieden wirkenden Außengelände, allein die Ästhetik der Kirchenarchitektur den besonderen Reiz des achteckigen Backsteinbaus als Hochzeitslocation aus? Mindestens im Innenraum, einschließlich Orgel und Kreuz, bleibt die sakrale Vergangenheit der Alten Neuendorfer Kirche schließlich präsent. Um das Verhältnis von kirchlicher Ästhetik und standesamtlicher Trauung besser einschätzen zu können, sprach ich mit meiner Frau: Jenny Vorpahl. Als Religionswissenschaftlerin hat sie zu kirchlichen und standesamtlichen Eheschließungen promoviert und sieht doch eher eine Ausnahme darin, ein Kirchengebäude als Ort standesamtlicher Trauungen zu nutzen.
Jenny Vorpahl
Das ist schon so das äußerste Spektrum an sakralisierten standesamtlichen Trauungen, was man finden kann. Also zumindest was so das Setting angeht. Aber es ist an sich nichts Ungewöhnliches, dass es Außenstellen gibt, die in historischen Gebäuden verortet sind. Und damit verbunden ist dann so eine bestimmte Geschichtsträchtigkeit, dass das bedeutsame Orte sind, die eben auch der Bedeutung des Anlasses irgendwie gerecht werden sollen und der Tradition des Heiratens. So in die Richtung kann man diesen Trend so deuten. Aber trotzdem ist das wie mit der Neuendorfer Kirchen schon eher ungewöhnlich.
Daniel Vorpahl
Die Zahl kirchlicher Trauungen geht seit Jahren kontinuierlich zurück. Standesamtliche Hochzeiten in einem betont festlich-zeremoniellen Rahmen sind hingegen anhaltend beliebt, zum Teil eben auch in der Kulisse der Alten Neuendorfer Kirche. Als Religionswissenschaftlerin ordnet Jenny Vorpahl dieses Phänomen folgendermaßen ein:
Jenny Vorpahl
Also es ist so, dass Kirchen sich bisher nicht davon zu erholen scheinen, dass diese kirchlichen Trauungen abnehmen. Das werden eigentlich kontinuierlich weniger. Und trotzdem bleibt die Nachfrage nach einer rechtsgültigen Zivilehe relativ stabil. Und das ist ein Fakt, den auch Standesämter beobachtet haben und da in so eine Kompensationsfunktion eingetreten sind, also sagen: für Leute, die nicht religiös gebunden sind. Die wollen aber, dass diesem Tag trotzdem Bedeutung beigemessen wird, auch durch einen bestimmten Rahmen. Und wollen, dass das als Einschnitt irgendwie fühlbar ist und wollen, dass ihre Leute da dabei sind und das teilen. Also dieser Öffentlichkeitscharakter ist auch der entscheidende Punkt, neben dem Konsens, was es unterscheidet von einer nichtehelichen Paarbeziehung: dass du das eben vor der Gesellschaft, dem Staat öffentlich kundtust. Also es geht ein Stück weit aus der Privatheit hinaus – es ist zwar eine begrenzte Öffentlichkeit, aber immerhin. Und dem tragen sie auch Rechnung, dadurch, dass sie dann Orte schaffen, wo mehr Platz ist.
MUSIK Tori Amos: Harps of Gold
Daniel Vorpahl
Standesamtliche Trauungen finden zunehmend an besonderen Orten statt, wie der Alten Neuendorfer Kirche. Orte, die außeralltäglich sind und dazu beitragen, die Hochzeit als Ritual hervorzuheben. Insbesondere dann, wenn Paare schon längst zusammenleben und sich ihr Alltag durch die Eheschließung gar nicht gravierend ändert.
Eine kirchliche Trauung ist jedoch keine ästhetische Entscheidung. Sie bietet der Ehe eine übergeordnete Sinnstiftung sowie die Anbindung an eine kirchliche Gemeinschaft. Die Kirche ist dabei mehr als der besondere Ort, an dem geheiratet wurde.
Die Alte Neuendorfer Kirche soll dementgegen jedoch nicht nur zweckorientierte Kulisse sein. Ihr Förderverein versteht sie als offenen Gemeinschaftsort und nutzt das Geld, welches durch Hochzeiten eingenommen wird, um am selben Ort Konzerte, Chorauftritte oder auch Yogakurse zu ermöglichen. Andreas Kitschke, Vorsitzender des Fördervereins, versteht diesen Gemeindeaspekt der Alten Neuendorfer Kirche auch ein Stück weit aus der Geschichte des Ortes.
Andreas Kitschke
Also ich denke, Kirchen sind ja so oder so öffentliche Gebäude. Das wird ja gerade ziemlich aktuell diskutiert: Was macht man mit Kirchen, die nicht mehr gebraucht werden? Und ich denk, in solchen Räumen – es ist eben wirklich etwas Besonderes und man hat im Hintergrund eine bestimmte Geschichte, die da dran hängt. Ich finde es nur wichtig, dass man solche Räume auch mit neuem Leben erfüllt. Und wenn eben nun die Kirchenmitgliedschaften zurückgehen, dann muss man sich ohnehin überlegen: was macht man mit diesen Gebäuden? Und das ist hier ein sehr lebendiger Raum, es ist fast jeden Abend irgendeine Veranstaltung hier von verschiedenen Vereinen. Ich würde ihn als offen beschreiben, für viele Ideen. Und dadurch, dass das durch bürgerschaftliches Engagement, durch viele Leute, die Spenden gegeben haben – hier gibt’s zum Beispiel einen Sternenhimmel – die Kirchendecke ist ja wieder eingewölbt worden und man konnte Sterne erwerben, symbolisch, und damit den Bau finanzieren. Und da gibt’s also durchaus junge Leute, die reinkommen und sagen: „Guck mal, da oben, das ist der Stern von Oma.“ Die ist längst gestorben, aber man hat ein Erinnerungsmahl für sie. Und ich denke, dass hier eben so viele Bürger sich engagiert haben, dadurch ist es eben auch ihr Gebäude.
MUSIK Bill Coleman: Church of Second Chances