05.01
2025
08:40
Uhr

Was ist eigentlich Gesundheit?

Eine Reise durch Geschichte, Kulturen und medizinische Perspektiven

Ein Beitrag von Elena Griepentrog

Autorin: Ein gesundes neues Jahr! Vielleicht schenken Sie ja auch derzeit Freunden und Bekannten diesen Wunsch. Vielleicht haben Sie sich sogar selbst vorgenommen, dieses Jahr – nun wirklich – etwas gesünder zu leben? Aber was genau heißt das eigentlich: gesund leben, gesund sein? Gute Frage! Und sie wurde im Laufe der Geschichte und in verschiedenen Kulturen ganz unterschiedlich beantwortet. Sehr schön – und irgendwie auch überraschend – die derzeitige Definition von Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation: 

Sprecher: „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.“ 

Autorin: Upps, das ist ja ein ganz schöner Anspruch. Ein Zustand völligen Wohlbefindens, körperlich, geistig und sogar sozial. Also, wenn ich mich menschlich nicht aufgehoben fühle und nicht gut mit meinen Mitmenschen zusammenlebe, bin ich nicht gesund! Diese umfassende Definition von Gesundheit ist allerdings noch lange nicht Standard, zumindest in der westlichen Welt. Noch immer dominiert hier die biomedizinische Sicht: Krankheit als eine ungute Veränderung der körperlichen Abläufe, die nachweisbar sein müssen. Der Sozialmediziner Benno Brinkhaus, bei einer Tagung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften:

O-Ton Brinkhaus: Das biomedizinische Konstrukt hat die Grundannahme, dass jeder Krankheit eine Veränderung zu Grunde liegt, und zwar eines organischen Substrates und das kann unterschiedliche Ursachen haben, genetisch bedingt, das kann durch Viren, Bakterien sein, durch chemische oder physikalische Einflüsse. Aber die Biomedizin sagt, wir müssen irgendwo etwas feststellen. Und das mit physikalischen oder chemischen Untersuchungsverfahren

Autorin: Die Therapie ist dann Operation, Physiotherapie oder Medikamente. Prinzip: Ursache und Wirkung, wie in der Mechanik.

O-Ton Brinkhaus: Wir alle wissen, wie erfolgreich dieses Modell war und ist, insbesondere, was Infektionskrankheiten angeht, da vor allem natürlich bakterielle Erkrankungen, und zum Beispiel Akutmedizin. Aber wir wissen genauso auch, dass wir eben auch bei vielen Patienten einfach nicht richtig rankommen.

Autorin: Wenn der Mensch wie eine Maschine betrachtet wird, ist Krankheit eben nur ein Betriebsschaden. Aber inzwischen weiß man immer mehr: dass Körper, Geist und Seele eben doch sehr viel enger zusammenhängen als früher angenommen. Da gibt es zum Beispiel psychosomatische Krankheiten. Oder auch das Gegenteil, somatopsychische, eine körperliche Einschränkung führt zu psychischen Problemen. Man weiß auch, dass Menschen oft schneller wieder gesund werden, wenn es ihnen seelisch gut geht. Und nicht zu vergessen: Bei vielen chronischen Krankheiten wird mechanisch nichts gefunden – vielleicht, weil die Messinstrumente es noch nicht hergeben. Nicht selten fühlt sich dann keiner mehr zuständig, der Kranke wird schlicht allein gelassen mit seiner Not. Viele nutzen deshalb gern die Alternativ-Medizin: Naturheilkunde, Akupunktur, Homöopathie oder auch Kunsttherapie, Körpertherapie, Seelsorge. Spezialisten der Integrativen Medizin wiederum versuchen heute, beide Richtungen sinnvoll zu kombinieren. 

Musik

Autorin: Umfassendere Hilfe für kranke und verletzte Menschen, da soll es also langsam in der Medizin hingehen. Gerade dann, wenn klassische Schulmedizin einfach nicht weiterhilft. Der Theologe Christoph Markschies sieht derzeit noch eine zweite auffallende Tendenz in der heutigen westlichen Medizin.

O-Ton Markschies: Wir stehen heute scheinbar, scheint mir, an einem interessanten Scheideweg. Der große Fortschritt der Medizintechnik stellt ein bisschen die Frage danach, wie weit wollen wir eigentlich den Menschen entwickeln. Also, wie weit wollen wir ihm was sein Alter angeht, ermöglichen, weiter zu leben. Wie weit wollen wir ihm dabei helfen, Körperteile auszutauschen. Also, Medizin verändert sich immer weiter aus einer Wissenschaft, die hilft, nicht-funktionierende Dinge zu korrigieren, mein Knie funktioniert nicht mehr, es muss ausgetauscht werden, ich hab mir ein Bein gebrochen, hin zu: Wir optimieren den Christoph Markschies. Wir können ihn noch ein bisschen schneller, lustiger und was weiß ich alles machen. Und da stellt sich natürlich die Frage, können wir das wollen? 

Autorin: Von der Hilfe zum Überleben über die Korrektur von Fehlfunktionen wie einer kaputten Hüfte bis hin zum reinen Optimieren, zum Beispiel von Nase oder Brüsten. Ist das noch Gesundheit?

In früheren Zeiten gab es noch ganz andere Definitionen von Gesundheit. Oft spielt auch die Religion eine Rolle. Zum Beispiel im antiken Judentum, sagt der Medizinhistoriker Robert Jütte:

O-Ton Jütte: Krankheit wird also als Folge meist des unergründlichen Zorn Gottes oder als Strafe Jahwes angesehen. Wer gesund bleiben will, tut also gut daran, Gottes Gebote einzuhalten, wie es im zweiten Buch Moses zum Beispiel genannt wird. 

Autorin: In der Antike ist also oft ein Geistlicher der richtige Ansprechpartner, wenn man krank ist. Heute gehen natürlich auch die allermeisten Juden und Jüdinnen zum Arzt, und nicht mehr zum Rabbiner. Denn die jüdisch-christliche Bibel atmet, sie ist ja kein Gesetzbuch. Sondern ein Lebensbuch der Menschheit. Und die Menschheit entwickelt sich immer weiter. Es gibt aber auch Weisheiten in der jüdischen Bibel, die wussten die Menschen schon damals, vor mehreren Tausend Jahren. Knackig zusammengefasst:

O-Ton Jütte: Es ist besser arm zu sein und dabei frisch und gesund, als reich und nicht gesund. Gesund und frisch zu sein ist besser, als alles Gold und ein gesunder Körper ist besser als großes Gut. Kein Reichtum ist zu vergleichen mit einem gesunden Körper und kein Gut gleicht der Freude des Herzens. 

Musik

Autorin: Jesus von Nazaret war Jude und bleibt bis zum Ende seines kurzen Lebens Jude, antiker Jude. So sieht auch er wie seine Zeitgenossen Krankheit und Behinderung auch als Störung zwischen dem Menschen und seinem Gott. Vielleicht könnte man heute sagen: Der Mensch ist nicht im Gleichgewicht. Und so heilt Jesus die vielen kranken Menschen, damals gibt es noch kaum Ärzte. Der Wanderheiler und -prediger Jesus von Nazareth bekommt schon früh sogar den Ehrentitel „Christus Medicus“, Christus der Arzt. Wichtig ist: Jesus heilt die Menschen an Leib und Seele. Ihm geht es um die Zukunft des Menschen, der gerade vor ihm sitzt, um den Blick nach vorn, er richtet ihn wieder auf. Nach Jesus Tod geht diese besondere Fähigkeit zu heilen auf seine engsten Anhänger über. Sie haben sogar einen regelrechten Auftrag dazu von Jesus bekommen: Geht hin und heilt die Menschen!

Gleichzeitig leben sowohl Juden wie auch die ersten Christen damals im großen römischen Reich. Und so kennen sie eben auch die griechisch-römischen Rituale. Der Theologe Christoph Markschies:

O-Ton Markschies: Die Christen treten an ganz vielen Stellen ein in die klassischen pagane, nicht-christlichen Formen der Antike. Es gibt zum Beispiel Schlafheiligtümer, also so wie man sich in Epidaurus beim Asklepios hinlegt, schläft und einige gesund werden, schlafen in Athen zum Beispiel die Christen. 

Autorin: Im Tempel suchen die kranken Christen Orientierung im Leben, buchstäblich im Schlaf. Und Heilung von körperlichen und seelischen Krankheiten.

Auch im Mittelalter haben sich die Christen Jesus und seine Heilungen zum Vorbild genommen. Schon früh errichteten sie Krankenhäuser für alle Bedürftigen, bis heute gibt es sehr viele kirchlich getragene Krankenhäuser. Im katholischen Raum riefen viele Gläubige damals Heilige an, wenn sie krank waren. Denn wir glauben als Christen, dass unsere Toten nicht verschwunden sind, sondern nur in einer anderen Dimension von Leben. In der Ewigkeit. Und dass sie erlöst sind. Und dass sie uns von dort auch beschützen können. Die evangelischen Kirchen haben die Heiligen mit der Reformation sogar regelrecht abgeschafft, ebenso alles, was man mit dem Verstand nicht erfassen konnte. Und doch: Die normalen Menschen wussten oft recht gut, was ihnen helfen konnte. 

O-Ton Markschies: Südlich von Leipzig gibt es eine heute etwas heruntergekommene Quelle, bei der über lange Zeit Sprudelwasser abgefüllt wurde. Und das könnte man als das evangelische Lourdes bezeichnen. Vor allem im 17. Jahrhundert waren riesige Pilgerfahrten, und da sind evangelische Christenmenschen in Kutschen hingefahren und haben dieses Heilwasser getrunken, weil sie der Auffassung waren, Gott hat da eine Quelle aufbrechen lassen, der Wunderbrunnen von Sittel.

Autorin: Heute weiß man, auch in der Medizin: Schon der pure Glaube daran, dass etwas hilft, kann tatsächlich gesund machen. 

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Autorin: Unsere Gesundheit und wir. Klar, wir haben vieles selbst in der Hand. Die Klassiker natürlich: Viel Bewegung! Möglichst gesunde Ernährung! Nicht rauchen, nicht übermäßig trinken! Und so weiter, Sie kennen das. Für Fortgeschrittene: Wir können für körperliche Berührung in unserem Leben sorgen. Liebevolles Berühren, liebevolles Berührtwerden stärkt das Immunsystem. Wie auch schöne Erlebnisse in Gemeinschaft, bei denen wir auftanken können. Auch meine Mitmenschen nicht krank zu machen, sondern vorsichtig mit ihnen umgehen. Und für Künstler und Könner: Wir können uns selbst lieben oder es zumindest lernen, auf eine gute Balance zwischen Belastung und Entlastung achten, zwischen Geben und Nehmen. Hoffnung als Lebenseinstellung. Und sinnvolle Aufgaben, am besten einen höheren Sinn im Leben. 

Und doch: Wir können Gesundheit nicht machen. Manchmal ist Krankheit eben einfach Pech. Und: Gesundheit und Krankheit sind auch keine Gegenpole, sondern fließende Übergänge. Irgendetwas hat ja jeder und jede. Das Leben ist verletzlich. Wenn es mal schief geht, ist es wunderbar, wenn andere Menschen für uns da sind, ob Familie, Freunde oder Profis. Deshalb gibt es in immer mehr Krankenhäusern neben der medizinischen Behandlung, neben der Begleitung von kirchlichen Seelsorgern und Seesorgerinnen immer mehr auch das so genannte „Spiritual Care“, eine religionsunabhängige spirituelle Begleitung. Und das nicht nur, wenn es hart auf hart kommt, sagt der Theologe Christoph Markschies. 

O-Ton Markschies: Die Bedeutung der spirituellen Dimension, die spielt nicht nur beim Sterben eine Rolle. Die spielt eigentlich im gesamten Prozess eines Menschen, der mit Medizin zu tun hat, eine Rolle, weil es auch längst statistische Werte dafür gibt, dass, wenn man sich auch um die Seele, etwas, was den Menschen neben seinen körperlichen Funktionen zum Menschen macht und wo er sich als Individuum wahrnimmt, wenn man das zum Thema einer medizinischen Behandlung macht, werden die Behandlungserfolge größer. 7,30 Man hat den Eindruck, da erkennt auch Medizin, dass sie Angebote machen muss, so kann man vielleicht sagen, um Gesundheit wieder herzustellen, zu bewahren oder den Umgang mit bestimmten Defiziten von Gesundheit zu erleichtern und das ist eigentlich auch eine sehr schöne und spannende Entwicklung.

Autorin: In diesem Sinne: Ein gesegnetes, ein gesundes neues Jahr!

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