Manfred Thiede:
„Der Luftangriff war am 15. Februar, dass wir da ausgebombt wurden. Ich weiß nicht wieviel Zeit vorher, der Luftschutzkeller verstärkt, sonst wären wir vielleicht auch noch mit flöten gewesen, im Luftschutzkeller: Säulen reingebaut, noch eine Zwischendecke, die Schalungsbretter waren noch drinnen, die sind dann runtergekommen. War greller Sonnenschein und dann hat es aber gebrannt, weil sie diesen Phosphor abgeschmissen haben. Wo wir rausgekrochen sind aus dem Luftschutzkeller, da kamen uns die Großeltern entgegen.“
Rocco Thiede:
Es gehört zu den prägendsten Ereignissen unserer Familiengeschichte: der Bombenangriff auf Cottbus vor achtzig Jahren am 15. Februar 1945. Mein Vater Manfred Thiede hat ihn im Alter von fünf Jahren erlebt – mit ihm dabei seine jüngere Schwester Elke Knott und ihre Mutter, meine Oma Lotte, alle drei in Cottbus geboren. Mehr als 400 amerikanische Flugzeuge legten in kürzester Zeit große Teile der Stadt in Schutt und Asche. Meine Großmutter ist seit vielen Jahren tot. Aber mein Vater und seine Schwester waren bereit, mit mir über die Ereignisse von damals zu sprechen.
Beide erlebten den verheerenden Angriff in der Spremberger Vorstadt. Etwa 1.000 Cottbuser und viele Flüchtlinge aus Schlesien kamen dabei ums Leben, rund 2.500 Menschen wurden verletzt und mehr als 13.000 Einwohner waren nach dem Angriff obdachlos. Zu den Menschen, die kein Dach mehr über dem Kopf hatten, gehörte auch meine Familie. Ihr Haus in der Räschener-Straße 29 wurde komplett zerstört. Lange gab es dort nur eine Freifläche. Heute steht dort ein Neubau. Oma, Vater und Tante überlebten mit viel Glück im Luftschutzkeller. Was blieb, war ein Koffer mit wenigen Habseligkeiten, darunter ein Fotoalbum mit Brandflecken, gerettet aus der Asche des zerstörten Hauses, das mein Vater und meine Tante mir nun zeigen. Viel mehr blieb von ihrem Hausstand nicht übrig:
Manfred Thiede:
Was Oma Lotte aus den Trümmern geholt hat…
Da war ein Volltreffer und sieben Tote…
Das ist jetzt hier vor unserem Eingang, wo wir ausgebombt sind. Aber da kommen noch andere Bilder.
Rocco Thiede:
Einige der Häuser in der Räschnerstraße stehen heute noch, andere gegenüber dem Carl-Thiem-Klinikum in Cottbus haben die Bomben zerstört, berichtet meine Tante, die Schwester meines Vaters:
Elke Knott:
Alle mit Backstein zwei gibt es noch zur Leipziger zu. Das Eckhaus war Fritzsche und Sobkowiak und da war noch eines wo Otto drin wohnte und die Lehrerin Berg. Das nächste ist dann schon Scheffler, dazwischen sind die Eisenbahnerhäuser, Roselle das was ausgebombt war, neben Scheffler, links das Haus war kaputt.
Das ist aber alles in unserem Garten hier, bei den Großeltern, Finsterwalder Straße. Hier ist das kleine Törchen. Das Schaukelpferd, ja weiß ich nicht, ob ich mich daran entsinnen kann.
Das Schaukelpferd: zieht sich auch ein bisschen durch unser Leben, davon hat Oma manchmal noch gesprochen.
Rocco Thiede:
Meine Tante Elke war fast vier Jahre alt, als die Bomben fielen. Auch das Schaukelpferd ist damals verbrannt. In diesen Tagen erinnert Cottbus an den verheerenden Bombenangriff auf die Stadt vor 80 Jahren: am 15. Februar 1945. Viele Familien verloren dabei Angehörige. Es war die grausame Fortsetzung eines schrecklichen Krieges, der unzählige Opfer forderte. Im Fotoalbum unserer Familie, dass aus den Trümmern der Bombennacht gerettet wurde, gibt es auch eine Todesanzeige mit einem Eisernen Kreuz samt Hackenkreuz. Es ist der Onkel meines Vaters:
Manfred Thiede:
Das ist hier der Bruder. Von unserer Mutter, der gefallen ist. „Wir erhielten die sehr schmerzliche Nachricht, dass unser geliebter und unvergessener Sohn, mein lieber Bruder, Schwager, Onkel und Neffe, der Obersoldat Alfred Koalick im Alter von 33 Jahren in einem Lazarett seiner schweren Verletzung erlegen ist.“ Er wurde am 30. Januar auf einem Ehrenfriedhof beigesetzt in Norwegen.
Rocco Thiede:
Beim Blättern in den alten Fotos kommen viele Erinnerungen an die Zeit von damals wieder hoch - auch an den Bombenangriff im Februar – kurz vor Kriegsende. Sowohl mein Vater als auch seine Schwester können sich trotz ihres jungen Alters noch sehr genau an diesen Tag erinnern. Es war ein kalter Februartag, die Sonne schien, der Himmel war blau – doch dann passierte die Katastrophe. Als Fünfjähriger sah mein Vater hier erstmals einen toten Menschen, er hatte es nicht mehr rechtzeitig in den Luftschutzbunker geschafft. Es folgten noch andere traumatische Erlebnisse:
Manfred Thiede:
Da war ein ausgebranntes Haus. Da habe ich oben am Ofen eine Leiche stehen sehen. Das weiß ich heute noch…
Ich war ja schon 5 Jahre. Ich habe ja schon was mitgekriegt. Da haben sie Luftschutzgräben ausgehoben. Einige die haben gesagt, da sind wir sicherer. Die sind dort rein und da sind sie auch flöten gegangen.
Rocco Thiede:
Auch Vaters Schwester, Tante Elke, kann sich erinnern:
Elke Knott :
Ich sehe jetzt noch diesen Staub von dem Mauerwerk, was abgefallen ist, und von der Detonation überhaupt. Und ein Baby von viertel Jahr, die Hannelore Ulber, das Kind hat nur geschrien. Daran erinnere ich mich auch. Und ich war ja noch nicht mal vier Jahre alt, also ein Monat fehlte an vier Jahre. Und wie wir aus diesem Schacht Luftschutzkeller, da war noch was vorgebaut.
Manfred Thiede:
Ein Splitterschutz nannte sich das. …Wir konnten ja nur noch aus der Lucke raus. Der Zugang zum Haus war ja verschüttet.
Elke Knott :
Schnee war es und strahlend blauer Himmel. Und die Sirenen haben geheult. An das schreiende Kind, diesen Staub und kaum Luft kriegen …daran kann ich mich erinnern.
Rocco Thiede:
Ich habe die Stelle, wo das Haus stand, in dem mein Vater und meine Tante das Bombardement zusammen mit ihrer Mutter überlebten besucht. Heute sind beide über achtzig. Am Ort des Geschehens kam die Erinnerung zurück: Namen von Freunden und Nachbarn tauchten auf, das ganze Lebensumfeld ihrer Kindheit war wieder präsent. Vermutlich gehören beide zu den letzten Überlebenden ihrer Straße. Beiden wohnen und leben bis heute gerne in Cottbus.
Das Haus meiner Urgroßeltern an der Ecke zur Finsterwalder Straße hat das Bombardement überstanden. Aus folgendem Grund, erzählt mein Vater:
Manfred Thiede:
Aber der Opa hat die Scheiben von dem Geschäft waren ja kaputt, durch die Druckwellen, da hat der die Brandbomben rausgeschmissen, sonst wäre das alles abgefackelt, wäre das alles weg. Gegenüber das Haus ist total ausgebrannt. Dann noch schräg gegenüber, da hat es den Briefkasten reingehauen, eine Bombe“.
Rocco Thiede:
Was der komplette Verlust des Zuhauses für die Familie bedeutet hat, lässt sich kaum vorstellen. Doch irgendwie ging es weiter. Für die Kinder begann eine Odyssee:
Elke Knott:
Dann sind wir nach Klein Döbern, nein Klein Gaglow zu Diktus und haben dort übernachtet. Und dann haben die uns dort was organisiert ein Pferdefuhrwerk. Wir sind bis Priestewitz mit dem Dinge gefahren. Da fuhr ein Zug. „Wir sind mit einem Koffer geflüchtet nach Thüringen. Und dort hat der Ami uns noch Omas Uhr weggenommen.
Rocco Thiede:
Familie Diktus waren Kleinbauern und Bekannte meines Uropas Max Koalick. Sie nahmen meine Oma und ihre Kinder kurzfristig auf.
Elke Knott:
Ich kann mich nur an die eine Nacht erinnern, wo wir zu dritt im Bett lagen …Oma und wir beide und ich immer geschrien habe: „Mama, die schießen ja immer noch“.
Rocco Thiede:
Von Priestewitz im sächsischen Kreis Meißen ging es weiter nach Masserberg / Goldisthal, wo die Familie aus dem zerstörten Cottbus für einige Monate unterkam. Nicht zuletzt sind auch diese Erlebnisse der Heimat- und Obdachlosigkeit prägender Teil ihrer Lebensgeschichte geworden.
Um von ihrer Habe einiges zu retten, versteckten meine Oma und ihre Eltern Dinge im Garten ihres Hauses in der Finsterwalder Straße: Silberbesteck, ein Porzellan-Service und Münzen. Uropa Max hatte dort einen Kolonialwarenladen. Das Haus steht heute noch. Ins Haus meines Urgroßvaters in der Finsterwalder Straße zogen nach Kriegsende Sowjetsoldaten rein, keine schöne Erinnerung:
Manfred Thiede und Elke Knott:
Aber da haben sie auch die Türen verfeuert alles, die Jalousien haben sie alles verfeuert, die Russen – die hatten da eine Schlachterei drin.
Rocco Thiede:
Die Bilder von damals sind heute wieder lebendig. Bilder von zerbombten Häusern in der Ukraine oder in Nahost stehen uns vor Augen. Umso überraschender das abschließende Urteil meiner Tante über die Kriegs- und Nachkriegszeit, die sie in Deutschland erlebte:
Elke Knott:
Unsere Kindheit war schön. Muss ich wirklich sagen. Wir waren Kinder. Wir haben auf der Straße mit dem Kreisel gespielt. Wir kannten nichts anderes. Als dann das Fernsehen und der Westen im Fernsehen kam, da wurde alles komischer.
MUSIK: „We Shall over come“ von Joan Baez John Lennon “Give Peace a chance”
Rocco Thiede:
In Cottbus erinnern Gedenkveranstaltungen an den Bombenangriff im Februar 1945 auf die Stadt. Mein Vater und seine Schwester nehmen regelmäßig daran teil. Eine davon findet in der Martin-Luther-Kirche statt, wo sie als Kinder getauft und konfirmiert und kirchlich getraut wurden.
Christoph Polster war bis 2015 Pfarrer an der Cottbuser Oberkirche St. Nikolai. Jetzt ist er im Ruhestand und engagiert sich als Seelsorger bei der Beratung von ehemaligen Häftlingen im Menschenrechtszentrum Cottbus. Die Erinnerung an die Ereignisse damals bleibt wichtig, findet er – um der Gegenwart und unserer Zukunft willen:
Christoph Polster:
Auch die Lutherkirche, die in diesen Tagen stand und auch wieder steht, war davon schwer betroffen. So ist die Gemeinde der Lutherkirche an diesem Datum interessiert, um sie nicht denen zu überlassen, die in geschichtsverkennender Weise und in antiamerikanischer Interpretation der Geschichte zum Teil neonazistische Ideologien mit sich herumtragen, die Leute verrückt machen. Da gibt es eine ganze Reihe an Initiativen, die daran interessiert sind, sowohl im Gedenken an die vielen Toten und Verletzten und an die Schäden, die mit dem Ereignis verbunden sind. Und natürlich auch darauf aufmerksam machen, dass Krieg auch schon immer mit Worten beginnt.
Rocco Thiede:
Der Historiker und ehemalige Direktor des Stadtarchivs und des Cottbuser Stadtmuseums Steffen Krestin ordnet das Drama um die Bombardierung von Cottbus so ein:
Steffen Krestin:
Das wir diesen wirklich schlimmen Bombenangriff auf die Stadt mit seinen Folgen in einen Zusammenhang stellen. Das es genauso schlimm ist, dass hier Menschen zu Tode gekommen sind, aber die Ursache ist im Angriffskrieg Deutschlands zu suchen bzw. auch in der Politik, die in Deutschland seit 33 verfolgt worden ist mit Verfolgung, Ermordung, mit Ausradieren von Biografien von Menschen mit Zerstören das diese Kette zu diesen unglücklichen Ereignissen, die ja viele Städte Deutschlands betreffen, geführt haben.
Rocco Thiede:
Und Christoph Polster stellt noch eine weitere Verbindung her: Für ihn gehört das Gedenken an die Ereignisse vom Kriegsende in Cottbus ganz unmittelbar mit unserer Gegenwart und unserer Zukunft zusammen:
Christoph Polster:
Das Datum der Bombardierung unserer Stadt ist ein wichtiger Impuls, der uns zur Aufarbeitung der beiden deutschen Diktaturen motivieren muss. Es beginnt mit Worten und es endet mit Gewalt. Natürlich kann man diese beiden Diktaturen in keiner Weise miteinander vergleichen. Es ist aktuell eine Riesen-Aufgabe für uns, wenn wir sehen und hören wie viele Jugendliche heute rechtspopulistische Vereinigungen gewählt haben. Wir müssen uns darüber fragen, wie können wir sie erreichen, um deutlich zu machen, dass sie hier auf einer Spur sind, die ins Verderben führt.
MUSIK: „We Shall over come“ von Joan Baez / John Lennon “Give Peace a chance”