Eine Hand mit einem weißen Handschuh berührt ein altes, eingerolltes Dokument auf einem Tisch. Das Dokument zeigt handschriftliche Notizen und ist von einer vergilbten, zerknitterten Oberfläche geprägt. Daneben liegen mehrere alte, teilweise beschädigte Rohre. Eine Hand mit einem weißen Handschuh berührt ein altes, eingerolltes Dokument auf einem Tisch. Das Dokument zeigt handschriftliche Notizen und ist von einer vergilbten, zerknitterten Oberfläche geprägt. Daneben liegen mehrere alte, teilweise beschädigte Rohre.
Eine Hand mit einem weißen Handschuh berührt ein altes, eingerolltes Dokument auf einem Tisch. Das Dokument zeigt handschriftliche Notizen und ist von einer vergilbten, zerknitterten Oberfläche geprägt. Daneben liegen mehrere alte, teilweise beschädigte Rohre.
09.06
2025
08:40
Uhr

Zeitkapseln in Bernau

Wenn die Vergangenheit spricht

Ein Beitrag von Johannes Rogge

Autor:
Ein Kirchturm in Brandenburg wird saniert. Handwerker klettern in schwindelerregende Höhen, wollen eigentlich das Bauwerk abdichten – und dann der Fund: Zeitkapseln im Turmknauf der Herz-Jesu-Kirche in Bernau. Was für ein Moment!

Drei Dosen sind es – seit über hundert Jahren verschlossen. Darin Briefe, Münzen, Namen von Menschen, die längst verstorben sind. Eine Nachricht, direkt aus der Vergangenheit. Genau das ist vor ein paar Wochen im brandenburgischen Bernau passiert. Die katholische Gemeinde hatte zur feierlichen Öffnung der Zeitkapseln eingeladen – und die Kirche war voll!

Michael Messerschmidt:
Das ist jedes Mal Aufregung. Ist überhaupt was drin? Weil es gibt auch Kirchen, wo nichts drin ist. Aber hier war was drin und wir waren dann echt erfreut. Wir haben sie dann gleich gesichert nach unten gebracht und gleich im Kirchenbüro abgegeben. Und das hat ja dann auch die Veranstaltung heute hier möglich gemacht.

Autor:
Michael Messerschmidt ist Klempner. Seine Firma arbeitet am Kirchturm der Herz-Jesu-Kirche. Beim Abnehmen der Turmspitze entdecken er und seine Kollegen die Kapseln – ein Fund, der nicht alle Tage passiert. Für Historiker und Archivare sind solche Funde ein besonderer Glücksfall. Stephan Theilig ist Pfarrarchivar in Bernau:

Stephan Theilig:
Was mich natürlich jetzt auch als Archivar und als Historiker so beeindruckt, ist, dass wir hier einen ganz direkten Kontakt haben zur Vergangenheit. Das heißt, niemand hat in diese Kapseln hineingefasst, hinein geblickt bis zu diesem besonderen Daten, wo sie verschlossen und dann in den Kirchturm eingebracht worden sind. Das ist also richtig ein eins zu eins Kontakt mit der Gemeindegeschichte. Und das ist schon teilweise ein sehr, sehr großer Gänsehautmoment; eigentlich sind es Mehrere.

Musik

Autor:
Gänsehautmomente – die gab es an diesem Abend einige. Insgesamt wurden drei Kapseln gefunden: Eine von 1907/08, also vom Bau der Kirche. Eine weitere dann von 1973 und eine Dritte, die allerdings aufgrund ihres Zustands nicht geöffnet werden konnte. Und was war drin? 

Da sind Dokumente aus der Gründungszeit der Kirche, von 1907, Grüße von Handwerkern, die damals beim Bau dabei waren. Und dann ein ganz besonderer Fund: Ein Brief aus dem Jahr 1975, geschrieben von Pfarrer Beier – heute 96 Jahre alt und noch immer am Leben.

Stephan Theilig:
Wir haben aber auch aus einer sehr dramatischen Zeit, eigentlich von den 1975 Jahren einen Brief von einem Pfarrer, der auch heute noch lebt, mit 96 Jahren gefunden. Also vor 50 Jahren geschrieben, heute wieder rausgeholt. Und er schreibt in sehr, sehr eindrücklichen Worten, was in dieser Zeit passiert ist nach dem Kirchbau. Was der Krieg gebracht hat, was die Teilungsgeschichte ist, aber auch, welche Dramatik diese Kirchgemeinde miterlebt hat. Auch zur Mahnung, aber auch mit einem Wort der Hoffnung. Und das ist natürlich sehr schön, wenn man so etwas sieht.

Autor:
Geschichte wird lebendig, wenn sie persönlich wird. Das erlebte auch Amelie Weimann an diesem Abend. Die junge Frau aus der Gemeinde machte eine besondere Entdeckung:

Amelie Weimann:
Den Brief fand ich auch sehr spannend, weil da stand mein Opa auch mit drauf vom Namen. Max Weimann. Es war erstmal schön, den Namen zu hören, weil er ist verstorben, als ich sechs war. Aber ja, es war einfach sehr spannend.

Musik

Autor:
Der eigene Großvater – plötzlich Teil der Kirchengeschichte. Festgehalten und dokumentiert in einer Zeitkapsel, gefunden in der obersten Spitze des 66m hohen Kirchturms. Solche Momente verbinden die Generationen der katholischen Gemeinde Bernaus untereinander. 

1902 wurde das Grundstück damals für den Kirchenneubau erworben, zwei Jahre später war bereits Grundsteinlegung. Die einzige Bedingung für den Kirchbau damals: Das Kreuz auf der Turmspitzer sollte höher sein, als das der benachbarten Sankt-Marien-Kirche. Und deshalb ist der Kirchturm auch heute noch prägend für das Bernauer Stadtbild und ein Grund, den Turm unbedingt zu erhalten und zu sanieren. Pfarrer Bernhard Kohnke erklärt:

Pfarrer Bernhard Kohnke: 
Bernau ist natürlich ganz besonders deutlich, weil es in der Nähe vom Bahnhof steht. Und wenn man hier nach Bernau kommt, mit der S Bahn zum Beispiel oder mit dem Regionalzug, dann sieht man als erstes von der Stadt unsere Kirche. [...] Das ist unsere Aufgabe und dafür arbeiten wir auch, dass die ganz bleibt als Zeichen. Und deswegen sind wir hier ganz froh darüber, dass wir die Kirche haben und dass also auch die Erneuerung des Daches funktioniert.

Autor:
Die Sanierung des Kirchturms – ein Mammutprojekt. Die Kosten liegen fast im siebenstelligen Bereich. Das Erzbistum Berlin hilft, die Stadt gibt Zuschüsse, aber die Gemeinde muss auch selbst Geld aufbringen. Da sind Spenden wichtig. Und die Zeitkapseln? Die spielen dabei eine besondere Rolle, erklärt Archivar Stephan Theilig:

Stephan Theilig:
Wir werden diese Sachen erstmal zu uns ins Archiv bringen. Die Sachen, die restauratorisch behandelt werden müssen, müssen natürlich sich ganz genau angeguckt werden und wir werden sie mehrfach auch noch mal ausstellen, auf jeden Fall. Geplant ist auch, dass wir Faksimiles davon anfertigen, die man beispielsweise für die Turmspenden, also für die Spenden zur Erneuerung des Turms auch nutzen kann. Warum nicht? Das hatte schon der Gründer dieser Gemeinde gemacht, oder der Kirche der Erbauer der Kirche, Karl Ulitzka. Er war ein begeisterter und begnadeter Spendensammler. Vielleicht können wir es ihm ja ein bisschen gleichtun.

Musik

Autor:
Zeitkapseln im Kirchturm der Herz-Jesu-Kirche in Bernau. Direkte Boten aus der Vergangenheit. Auch für Kenner ist es immer wieder ein besonderer Moment, wenn solche Zeitkapseln geöffnet werden. Und es ist guter Brauch, dass neue Boten hinterlegt werden – diesmal aus unserer Zeit. Und was kommt rein in die neuen Zeitkapseln? Die Ideen sind an diesem Abend vielfältig:

Elke Weimann:
Auf alle Fälle immer noch Münzen. Ganz klassisch sicherlich auch eine Tageszeitung, aber vielleicht auch ein bisschen was Moderneres. Weiß ich nicht, ob man irgendwas Technisches vielleicht auch mit rein machen würde. Je nachdem, was reinpasst.

Amelie Weimann:
Auf jeden Fall wieder Geld. Und vielleicht auch so ein Zettel mit Bildern. Was die, was wir hier heutzutage für Elektronik haben und ja, was wie wir es fanden, als wir die Zeitkapsel vorher gefunden haben, die von jetzt und auch wieder so ein Brief mit den Namen, die mitgeholfen haben.

Autor:
Auch die Handwerker wollen sich verewigen. So wie ihre Vorgänger vor über hundert Jahren. Gerüstbauer Sascha Schmidt:

Sascha Schmidt:
Also ich von meiner Seite aus würde gerne dann auch einen Plan, so wie wir, was wir hier gebaut haben. Und von unserem Gerüst. Unsere Zeichnungen, die wir da erstellt haben, würde ich gerne mit reinpacken wollen. Und auch die Mitarbeiter, die von meiner Firma mit vor Ort waren, auch mit dokumentieren und mit einbringen lassen. Dass die an dieser Restauration der Kirche, des Kirchendaches auch mit dabei waren und das Gerüst errichtet und die Arbeiten hier ausgeführt haben.

Musik

Autor:
Was werden Menschen in hundert Jahren über uns denken? Eine Frage, die viele an diesem Abend beschäftigt. Amelie Weimann, die junge Frau, deren Großvater in den alten Dokumenten erwähnt wurde, hat eine klare Vorstellung:

Amelie Weimann:
Also vielleicht gibt es da ja auch schon fliegende Autos. Man weiß ja nie. Vielleicht denken die auch Was für uns heutzutage hochmodern ist, ist für die Schnee von gestern. Und die fragen sich vielleicht auch wie haben die damals nicht überlebt ohne so viel Technik und so, obwohl es für uns ja sehr viel ist. Und ja, die werden es bestimmt auch so spannend finden wie wir.

Autor:
Die Sorge des Archivars Stephan Theilig ist eine andere. In Zeiten der Digitalisierung – was bleibt von uns übrig?

Stephan Theilig: 
Was denken Leute in 100 Jahren über unsere Zeit heute? Das kann ich Ihnen nur aus zwei Perspektiven beantworten, also eine ist als Historiker. Ich glaube, wir werden nicht ganz so viel darüber nachdenken. Wir haben so viele Sachen digitalisiert, dass wir kaum noch etwas schriftlich haben. Ich weiß nicht, wer noch großartig was erzählen will. Und auch Disketten, Datenträger, digitale Bilder sind sehr sehr schwer lange haltbar zu machen. Also ich kann die Frage nicht beantworten. Ich weiß aber, wenn wir auf Pergament schreiben, auf Papier, auf Textilien, dann kann man das auch nach 100 oder auch nach 500 oder nach 1000 Jahren lesen. Von daher, keine Ahnung.

Musik

Autor:
Zeitkapseln – sie sind mehr als nur alte Dokumente in einer Dose. Sie verbinden Menschen über Generationen hinweg. Sie erinnern uns daran: Vor uns waren andere da, die gehofft, gebaut und geglaubt haben. Und nach uns werden andere kommen. Pfarrer Bernhard Kohnke bringt es auf den Punkt:

Pfarrer Bernhard Kohnke:
Ja, ich denke, es ist ganz wichtig, dass Kirchengemeinden sich auch bewusst machen müssen: Wir haben Geschichte. Vor uns waren welche da, die hier die Gemeinde gegründet und getragen haben. Und das ist das, was uns aufgetragen ist, weiterzutragen. Ganz schlicht und einfach. Das ist unsere Aufgabe und der müssen wir uns stellen. Und wie gesagt, nicht auf alte Zeiten schauen, was ging da, sondern was geht jetzt? Das ist die Frage. Und wie können wir jetzt hier christliche Gemeinde sein, die ja schließlich die Aufgabe hat, Menschen die Möglichkeit zu geben, Gott zu erkennen und etwas über ihn zu erfahren?

Autor:
Die Herz-Jesu-Kirche in Bernau – sie steht. Seit über hundert Jahren. Sie hat zwei Weltkriege überstanden, die deutsche Teilung, die Wende. Und sie wird weiterstehen. Als Zeichen des Glaubens, als Ort der Gemeinschaft, als Heimat für die Menschen.

Die Zeitkapseln werden wieder verschlossen, mit neuen Nachrichten für die Zukunft. Und eines Tages – in fünfzig, vielleicht in hundert Jahren – werden wieder Menschen staunen über das, was wir ihnen hinterlassen haben.

Musik