26.10
2025
08:40
Uhr

Zwischenlandung für die Seele

Im Gespräch mit dem Flughafenseelsorger Br. Norbert Verse

Ein Beitrag von Johannes Rogge

Autor: Herzlich Willkommen hier im Studio, Br. Norbert Verse. Schön, dass Sie da sind. Guten Morgen.

Br. Norbert Verse: Ja, vielen Dank für die Einladung.

Autor: Bruder Norbert, wenn ich am Flughafen Berlin-Brandenburg, am BER unterwegs bin, sehe ich zwischen den vielen Koffern und Rücksäcken, auch viele Menschen mit bunten Westen. Viel knall Orange und Neon-gelb – aber ab und zu auch lila. Und dann weiß ich: Das sind dann entweder Sie oder Ihre Kolleginnen und Kollegen der Flughafenseelsorge. Sie sind ein vielbeschäftigter Mann – arbeiten in der Notfallseelsorge und als Flughafenseelsorger am BER. Heute möchte ich mit Ihnen über die Arbeit am Flughafen sprechen. Gerade jetzt während der Herbstferien, wo gefühlt halb Berlin und Brandenburg nochmal ins Warme fliegt, ist am BER ja Hochbetrieb. Merken Sie das auch in Ihrer Arbeit? Haben Sie in solchen Ferienzeiten mehr zu tun?

Br. Norbert Verse: Ja, auf jeden Fall. Das kriegen wir jetzt schon mit, dass die Passagierzahlen steigen. Es sind auch mehr Familien unterwegs, das kriegen wir mit. Aber es sind auch mehr Gäste am Flughafen, die entweder Familienangehörige zum Flughafen bringen, verabschieden oder auch dann wieder abholen. Das ist schon deutlich zu merken.

Autor: Sie sind Flughafenseelsorger. Was kann man sich denn unter dieser Arbeit vorstellen? Was genau machen Sie eigentlich am BER? 

Br. Norbert Verse: Das werden wir oft gefragt, kann ich sagen. Also wir sind am Flughafen unterwegs. Wir haben zwar auch einen Schalter, wo wir uns anmelden, wo wir ankommen, uns für den Dienst vorbereiten, aber wir sind auf dem Flughafen unterwegs, auf beiden Seiten, auf der Landseite, auf der Luftseite. Meine evangelische Kollegin sagt immer, wir betreiben so die gehende Pastoral. Wir sind mit und unter den Menschen unterwegs. Wir lassen uns ansprechen, aber wir haben auch einen wachen Blick und schauen was für Menschen sind am Flughafen unterwegs. Ist da jemand, der vielleicht ein bisschen Unterstützung brauchen könnte? Wir sprechen an und wir lassen uns ansprechen. 

Autor: Sie sind hauptamtlich am Flughafen tätig, haben auch eine evangelische Kollegin, die das gemeinsam mit Ihnen macht, weil die Flughafenseelsorge ökumenisch betrieben wird. Sie haben aber auch, Sie machen das nicht ganz alleine. Sie haben ein Team an Ehrenamtlichen. Was sind das für Menschen, die sich in der Flughafenseelsorge engagieren? Und wie viele sind das? 

Br. Norbert Verse: Also derzeit haben wir circa 22 Kolleginnen und Kollegen, die mitarbeiten. Wir haben jetzt gerade starten einen neuen Kurs. Da werden wir wahrscheinlich sieben bis acht neue Interessierte haben, die mitmachen wollen. Die einen haben eine hohe Affinität einfach zum Flughafen oder zum Flugbetrieb, andere haben schon ehrenamtliche Aufgaben in der Gemeinde oder in anderen Diensten im Seelsorgebereich sozusagen hinter sich gebracht und sagen: Ich suche noch mal eine andere, eine neue Herausforderung, auch mit Mitmenschen unterwegs zu sein. Und die melden sich dann und sagen: Wie kann ich mir das ... Genau wie Sie eben gefragt haben: Wie kann ich mir denn Flughafen Seelsorge vorstellen? Könnte das etwas für mich sein?

Autor: Okay, die Menschen, die sich da jetzt engagieren und Sie, Sie haben gerade gesagt, Sie sind so die gehende Pastoral. Also Sie sind im Flughafen unterwegs, aber Sie haben ja auch feste Angebote, pastorale Art am Flughafen, oder? 

Br. Norbert Verse: Genau. Also, was wir fest installiert haben, ist am ersten Montag im Monat mittags um 12:00 eine Kurzandacht im Raum der Stille, in dem Teil der christlichen Kapelle. Dort ist dann immer jemand von uns da, der ein Kurzangebot hat, mit Musik, mit einem Text zum Nachdenken und einem Segen. Das ist ein festes Angebot. Wenn es so ist, dass Reisende den Wunsch haben, nach einer Begleitung in der Kapelle, nach einem Reisesegen, nach einem guten Wort für unterwegs. Die melden sich meistens vorher an. Die Angebote findet man auch auf der Internetseite - auch gerade hier im Erzbistum. Diese Angebote gibt es. Aber auch die Reisegruppen, die speziell einen Reisesegen wünschen. Die melden sich aber in der Regel vorher an, damit wir uns auch speziell auf die Gruppe vorbereiten können. Wo geht es hin? Und dann auch in der Textauswahl, vielleicht in der Musikauswahl auf die Gruppen, auf die Menschen besser eingehen können.

Musik: Clueso, Flugmodus

Autor: Heute Morgen bei mir zu Gast ist Bruder Norbert Verse. Er ist unter anderem Flughafenseelsorger am BER. Bruder Norbert, Ihr Motto der Flughafenseelsorge ist ja „Zwischenlandung für die Seele“. Was genau brauchen denn eigentlich Menschen von Ihnen am Flughafen? Oder andersrum gefragt: Warum braucht es Seelsorge am Flughafen? 

Br. Norbert Verse: Warum es sie braucht, ist schwierig. Aber was die Menschen brauchen, ist vielleicht in dem Trubel auch der Reise, dss Unterwegs-Seins, vielleicht einen kleinen Anker, der Zeit hat. Und das ist eines der großen Pfunde, die wir mitbringen. Wir haben Zeit am Flughafen, wir können mitgehen, wir haben Zeit zuzuhören. Wir haben auch Zeit, vielleicht genau hinzugucken, was jemandem vielleicht auf der Seele liegt und dann jemandem auch etwas mitzugeben. Ein kleines Segenskärtchen, einen Gruß. Das geht auch heute auch digital. Da gibt es ganz viele Formen und ein Stück, den Menschen auf einem Weg zu begleiten. Das können wir mitgeben und bringen ein bisschen Ruhe in diesen Alltag. Das ist auch das was, was die Kapelle gibt oder der Raum der Stille. Deshalb heißt er so. Er gibt ein bisschen Ruhe in das, was ich jetzt gerade vorhabe.

Autor: Das kann ich mir vorstellen. Am Flughafen - zumindest geht es mir so - ist man so dauergestresst, weil man natürlich weiß, ich muss noch da hin. Und gerade so dieses Gefühl, erstmal durch die Sicherheit durch und dann haben wir’s geschafft. Das heißt Ihr Pfund ist Zeit. Und können Sie mal schildern, was sind so klassische Situationen, zu denen Sie vielleicht gerufen werden, wo Sie Ihr Pfund am meisten ausspielen können. Was kann man sich da vorstellen? Ich denke da vielleicht an eine Familie, die sich vielleicht nicht wiederfindet und ein Kind weggelaufen ist im Trubel oder Ich weiß es nicht. Was können Sie da sagen?

Br. Norbert Verse: Also könnte durchaus sein. Grundsätzlich muss man sich ja vorstellen, der Flughafen allein mit seinen ganzen Mitarbeitenden, mit den Passagieren ankommend und abfliegend, mit den Menschen, die einfach an den Flughafen kommen, ist ja eine relativ große Kleinstadt. Das heißt, alles, was es in einer Ortschaft gibt, in einer Stadt gibt, passiert auch am Flughafen. Es gibt Unfälle. Man verliert sich. Es gibt Verletzungen, es gibt auch den Tod am Flughafen. Und da werden wir zum Beispiel vom Einsatzbüro Terminal auch gebeten: Könnt ihr unterstützen? Könnt ihr die Familie begleiten? Könnt ihr mitgehen? Könnt ihr mit aushalten? Ihr habt die Zeit, zum Beispiel Trauer und Verlust auszuhalten. Ich kann Ihnen ein Beispiel nennen aus dem vergangenen Jahr: Ein junger Mann, der hier in Berlin zum Studium war, hat von zu Hause, hat einen längeren Flug vor sich gehabt, die Nachricht bekommen, dass zu Hause sein kleines Kind verstorben ist. Und er ist zum Flughafen gekommen, um nach Hause zu fliegen. Und natürlich, der war traurig, der war aufgelöst, der hat viel geweint und fällt damit am Flughafen auf. Und die Mitarbeitenden am Flughafen sind auf ihn aufmerksam geworden, haben gesagt: Wie können wir helfen, wie können wir unterstützen? Und haben uns dann gebeten, diese Zeit mit ihm auszuhalten, ihn zu begleiten und mitzugehen. Das ist eine Entlastung für die Mitarbeitenden am Flughafen. Das ist nicht originär deren Aufgabe und sagen: Wir kümmern uns, wir geben das in eure Hände. Ich bin dann mitgegangen. Wir konnten zum Beispiel dafür sorgen, dass er nicht durch die lange Sicherheitsschlange durchmusste. Sie haben ihn an der Seite abgefertigt und geschaut, dass er die Sicherheitskontrolle passieren konnte. Ich habe vor dem Einstieg ins Flugzeug mit den Damen am Schalter gesprochen, darauf hingewiesen, der junge Mann hat gerade eine schwierige Situation und ja gut, wir gucken. Ihr könnt zuerst einsteigen. Du kannst sie mit ans Flugzeug begleiten. Ich habe ihn dem Personal an Bord übergeben, damit er nicht an jeder Station sagen muss: Was ist denn los? Sie sehen so mitgenommen aus. Sie sehen so traurig aus. Sie haben so viel geweint. Das war ja zu erkennen. Und das hat ihn entlastet. Er musste nicht jedes Mal seine Geschichte erzählen. Aber wir konnten uns unterhalten und alle, die für den Flugbetrieb zuständig waren, waren aber informiert und hatten auch dann ein wachsames Auge auf ihn und haben gesagt: Wir gucken und wir sind an seiner Seite.

Autor: Das sind ja dann zum Teil doch schon schwierigere Fälle, wo sie gerufen werden, schwere Schicksalsschläge. Braucht es da auch eine professionelle Begleitung der Ehrenamtlichen? Ich meine, Sie sind ja auch in der Notfallseelsorge aktiv, da ist das sozusagen ihr täglich Brot, dass sie in Situationen gerufen werden, wo es immer um Leben und Tod geht. Also nehmen dann auch die Ehrenamtlichen was mit nach Hause oder haben sie einen Modus gefunden, wie auch Dinge verarbeitet werden können? 

Br. Norbert Verse: Es muss jeder für sich selber finden, wie er das macht. Aber natürlich gibt es Angebote. Es gibt natürlich immer die Möglichkeit, Pfarrerin Röhm oder mich anzurufen zu bestimmten Ereignissen. Wir haben regelmäßig unsere Teamabende und ganze Team Tage. Wir haben Supervisionsgruppen, wo auch Dinge besprochen werden können. Aber jeder muss natürlich so seins finden. Wie kann ich mich aus einer Situation verabschieden? Wie kann ich das verarbeiten und wo gebe ich da spreche ich -da spreche ich als Seelsorger - wo gebe ich das dann auch wieder ein Stück in Gottes Hände und sage: Das ist das, was ich heute tun konnte. Das ist das, was du mir mitgegeben hast. Das Weitere, wenn wir uns jetzt trennen müssen, zum Beispiel bei dem jungen Mann am Flugzeug, dann wünsche ich ihm alles Gute, Gottes Segen, viel Kraft und Unterstützung, wenn er zu Hause auch bei der Familie wieder ankommt. Und, lieber Gott, das Weitere musst du hinzufügen.

Musik: Clueso, Flugmodus

Autor: Heute Morgen bei mir zu Gast ist Bruder Norbert Ferse. Er arbeitet als Flughafenseelsorger am BER. Bruder Norbert, ich kann mir vorstellen, dass Sie bei den kleinen Begegnungen, wenn Sie zwischendrin einfach helfen und in Anführungszeichen nützlich sind, dass Sie da wahrscheinlich wenig Feedback, also vielleicht ein Danke, aber jetzt kein großes Feedback bekommen. Wie ist es ansonsten mit Rückmeldungen? Stehen Sie zum Teil noch mit den Familien in Kontakt, denen Sie geholfen haben? Oder ist es wirklich so „Zwischenlandungen für die Seele“: Sie sind in dem Moment da. Begleiten ein Stück des Weges. Aber dann geht der Weg natürlich auch weiter und in vielen Fällen dann ohne Sie. Wie ist das? 
 

Br. Norbert Verse: Bei Reisenden, bei Gästen am Flughafen ist es eher so wie auch in der PSNV, in der Notfallseelsorge und Krisenintervention. Das ist in dem Moment, das ist in diesem Zeitfenster. Und wenn das abgeschlossen ist, ist es zwar für die Menschen nicht abgeschlossen, aber für uns am Flughafen ist es abgeschlossen. Da kommt weniger. Das ist natürlich mehr, wenn ich mit den Mitarbeitenden am Flughafen zu tun habe, weil wir uns immer wieder begegnen. Und wir haben gerade im Bereich des ehrenamtlichen Teams viele, die zum Beispiel ihre Runde entsprechend anlegen, wenn sie in den Dienst kommen, weil sie sagen: Ich möchte den und den Punkt ablaufen. Da habe ich in der vergangenen Woche oder vor zwei Wochen einen Kontakt gehabt. Da möchte ich noch mal gerade das Signal geben: Du kannst mir noch mal was sagen! Oder ich frag nach: Wie ist es denn ausgegangen? 

Autor: Sie sind Ordensbruder, arbeiten als Seelsorger am Flughafen. Was ist es, was Sie an Ihrer Arbeit, wenn Sie es sagen können, erfüllt? 

Br. Norbert Verse: Das ist schon die Begegnung mit den Menschen. Das muss man wirklich sagen. Es gibt ja neben dem, was wir so erzählt haben, es ist noch ein bisschen weit, aber es kommt der Advent und so weiter. Ich mag zum Beispiel den Nikolaustag. Hier über das Erzbistum gibt es die Möglichkeit, wirklich Nikoläuse zu bestellen, Schokolade zu haben. Und ich habe immer zum Nikolaustag - das ist mein Tag, da sage ich: Da bin ich am Flughafen! Und ich habe die letzten Jahre - die Zahl hat sich gesteigert - um die 100 Nikoläuse dabei und bin am Nikolaustag am Flughafen unterwegs. Und es ist vollkommen egal, wem man da trifft, auf wem man zugeht, mit wem man spricht. [Da heißt es:] Stimmt ja, heute ist ja schon wieder Nikolaus! Und das ist egal von welcher Fluggesellschaft, wo die Passagiere hinreisen, ob das Erwachsene sind, ob das Kinder sind. Diese Momente, wo die Leute zwischen der Hektik - Sie haben es eben selber auch gesagt am Flughafen - so eine kurze Pause haben und man merkt dieses Innehalten. So ein kurzes Stoppen. Und das ist in allen Begegnungen am Flughafen, das ist wirklich das, was man mitnimmt, dass die Leute, auch wenn sie es gar nicht sagen, aber man das so merkt… Danke, dass ihr da wart oder dass du da warst oder dass die Zeit da war usw. Und das ist das, was man dann mitnimmt und auch beim nächsten Mal wieder sagt: So, ich freue mich heute wieder auf den Tag am Flughafen. Viele spannende Menschen, die man sieht, den man begegnet aus der Ferne und manchmal in der Nähe.

Autor: Vielen Dank für diese wirklich spannenden Einblicke in Ihren Alltag am Flughafen. Ich nehme mit, Sie haben Zeit, das ist Ihr Pfund und im Zweifel haben Sie sogar Nikoläuse und Schokolade dabei und sind damit eine ganz wunderbare Unterbrechung an so einem hektischen Ort. Und wenn Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, eine lila Weste am Flughafen BER sehen, dann wissen Sie jetzt, das sind die Kolleginnen und Kollegen der Flughafenseelsorge, die Sie wirklich jederzeit ansprechen können. In diesem Sinne: Vielen Dank, Bruder Norbert, für das Gespräch und Ihnen einen schönen Sonntag.