Predigt: Pastor Hendrik Kissel
Sprecher:innen: Robert Spitzner, Raphael Hoffmann, Dagmar Eichhorn
Musikalische Leitung: Burkhard F. Fabian
Trompete: Johann Giesecke
Solo: Raphael Arnold
Predigt
Zwei Menschen lieben Jesus auf sehr unterschiedliche Weise.
Davon handelt der heutige Predigttext.
Martha ist in Aktion und sorgt für das Wohl aller,
während Maria zu Jesu Füßen sitzt und ihm zuhört.
Wer tut das Richtige? Wer lebt und glaubt richtiger?
Wer ist besser in der Nachfolge? Die Antwort lautet: Beide.
Denn beides gehört zum Christsein: Ruhe und Action – Hören und Handeln.
„Bete und arbeite“ – so fasst es die Benediktinerregel zusammen.
Klingt knapp und klar.
Doch wie finden wir das richtige Maß zwischen Tun und Hören?
Ich blicke zuerst auf Martha, die Handelnde.
Sie erfüllt nicht einfach nur eine Rolle, die die Gesellschaft damals ihr vorgab.
Nein, hier steht im Griechischen das große Wort „Diakonie“ - und das geht viel weiter.
Das beschreibt das, was im Gleichnis vor dieser Geschichte geschieht:
die Geschichte vom Barmherzigen Samariter.: Der handelt zwar spontan, ja.
Aber nicht nur das, er handelt danach vorausschauend. Nachhaltig.
Er übernimmt Verantwortung – auch finanziell:
Das ist Diakonie.
Der barmherzige Samariter ist DAS Vorbild für engagiertes Handeln, das Jesus uns gibt.
Klingt kurz und knapp – ist aber gar nicht einfach, das richtige Maß zu finden!
In unserem Umfeld, in unseren Kirchen und in den sozialen Projekten erleben wir oft,
dass sich Menschen in ihrer Hilfsbereitschaft angesichts
ihrer vielen Aufgaben zerreiben. Sie sorgen für andere, geben sich hin und dabei manchmal auch selber auf, gehen über ihre Grenzen und brennen aus.
Und - Gerade engagierte Menschen
werden gern immer wieder mehr und erst recht in Anspruch genommen.
Aber: Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was wäre, wenn es sie alle nicht gäbe!
Ohne ihren unermüdlichen Einsatz wäre für viele Menschen das Ev nicht erfahrbar.
Gerade in einer Gesellschaft,
in der Menschen nicht mehr wie früher
so gut wie automatisch und selbstverständlich in Gemeinden ankamen
weil Gemeinden einst Gemeinschaft für Kinder, Jugendliche
und später wieder ältere Menschen eröffneten,
weil es einzigartige Hilfestellungen in Lebenskrisen durch Kirchen gab oder weil die regelmäßigen Feste des Jahres und des Lebens
für Begegnung sorgten.
Diese Zeit ist vorbei und kehrt nicht zurück!
Wenn, dann noch bei Hochzeiten und Beerdigungen
Statt nun weiterhin in den Rückspiegel zu sehen
und irgendwann ganz vor den Baum gefahren zu sein
Besser ist es, sich wie Marta bewegen zu lassen:
Gerade wenn die Bedeutung der Kirchen abnimmt,
werden einzelne Menschen zu Chance und
Personen viel stärker wahrgenommen.
Wer wie sie gesehen und – mit ihrer Leidenschaft - erfahren wird,
kann seine Botschaft ins Gespräch bringen und seine Mission erfüllen.
Nur wer gefragt wird, kann deuten, kann klarstellen.
Kann zeigen, dass christliche Glaube nicht nur ein Gefühl von Hoffnung ist,
sondern eine ganz starke Kraft im Leben ist.
Ohne Diakonie wäre dies alles nicht erfahrbar. -
Und nun geht der Blick zur anderen Frau – zu Maria:
So wichtig Diakonie und Mission für das Christsein sind,
birgt beides neben der Gefahr des Ausbrennens eine weitere:
Dass wir uns selber zu stark über unser Tun definieren.
Dann gilt: „Du bist das, was du tust“ – u. dass ist ja nicht das Evangelium!
Lukas legt uns hier eine Fährte, der wir folgend könnten:
Denn ausgerechnet nach dem barmherzigen Samariter,
dem diakonischen Macher und Vorbild tätiger Nächstenliebe,
erzählt er von Maria, die uns die andere Seite des Glaubens
zeigt damit – mindestens genauso wichtig ist: das Hören,
das Geschehen-, das Sich-beschenken-Lassen und dabei das
Wesentliche des Augenblicks zu erfassen.
Maria und Martha - M und M: Beide sind sie Vorbilder der Nachfolge,
nur miteinander ergeben sie ein Ganzes.
Es geht nicht darum, sie gegeneinander auszuspielen.
Wir tragen sie beide in uns. Sicher mal mehr, mal weniger.
Mal phasenweise die eine,
best. Lebensabschnitten mal die andere.
Und es gibt Rollenerwartungen, die uns in die ein oder andere Richtung festlegen wollen.
Wenn nun ausgerechnet der gerechtigkeitsliebende Evangelist Lukas
diese Geschichte gerade hier, gerade so erzählt,
will er vielleicht gerade den Aktiven sagen:
Pass auf dich auf, sieh zu, dass dein Aktivismus Dich nicht erschöpft.
Definiere Dich nicht darüber. Du bist geliebt auch ohne all das.
Er sagt das, weil es manchmal Mut braucht, innezuhalten, wie Maria zu sein,
Er sagt das vielleicht auch, weil die frühen Christengemeinden gemerkt haben
diakonische Herausforderungen endlos sind und bleiben.
Auch in unserer globalisierten Welt sind die Möglichkeiten,
sich zu engagieren, unendlich –
und genau wie die Hilfe, die gebraucht wird direkt vor der Haustür
– gerade in einer Großstadt wie Berlin.
Deshalb dürfen, nein müssen es Christen auch lernen, offen für beides zu bleiben,
auch auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten.
Denn das Evangelium sagt ja nicht: „Ihr seid, was ihr tut“,
sondern: „Ihr seid Kinder Gottes.“
Genau das begreift Maria in diesem Moment:
wie ein Kind setzt sie sich ganz nahe zu Jesus
und hört ihm einfach nur zu beim Erzählen.
Das Wort Gottes fordert uns mit diesen beiden Frauen heraus.
Genau in dem Moment, als es wirklich viel zu tun gibt,
an dieser Stelle erreicht die Geschichte ihren Höhepunkt.
Genau hier platziert Lukas die Pointe, kommt Jesus mit seiner liebevollen Kritik:
Verpass das Wichtigste nicht, sagt er
– das, worauf es jetzt in diesem Moment ankommt,
den Kairos, den Moment, wo Gott zu Dir redet.
Mit Maria, die ruhig sitzen bleibt, lockt er uns,
nicht in unseren bewährten Glaubens und Handlungsmustern stecken zu bleiben, sondern für diesen besonderen Moment offen zu bleiben
– darum zu beten - ihn zu erkennen.
Der Augenblick zwischen Gott und mir.
Wir sind oft so sehr im Handeln gefangen, dass wir gar nicht mehr still werden können.
Und wir leben in einer Zeit, in der nahezu alles perfekt sein muss.
Das will Martha auch:
Alles soll in diesem Augenblick stimmen. Alles muss perfekt sein.
Und ist es dadurch gerade nicht: Ja, sie dient dem Herrn
doch sie vergisst dabei sich und
sie vergisst, sich selbst beschenken zu lassen.
Es gibt noch eine Besonderheit im griechischen Text der Bibel:
Was Maria und Jesus da tun, ist keine unterhaltsame Plauderei
– weil der liebe Besuch nach langer Zeit auf einen Kaffee vorbeigekommen ist.
Es ist ein besonderes Wort für hochkonzentriertes zuhören wie bei einem Lehrvortrag,
es ist theologische Bildung. Also sozusagen Studieren bei Jesus.
Solche Möglichkeiten des Glaubensstudiums müssen gesucht und geplant werden.
Zeit frei.schaufeln sagt man dazu!
Einmal in der Woche,
sonntags zum Beispiel. Gottesdienste können eine solche Funktion übernehmen.
Da ist Gott gegenwärtig, da redet Jesus zu uns, und nicht nur einer hört zu.
Er lehrt in der Glaubensgemeinschaft.
Jesus ruft uns zu beidem: zum Arbeiten und Helfen und zur Ruhe,
zur Besinnung und zum Verweilen - in seiner Gegenwart.
Wer dann da ist und empfängt, kann später auch geben.
Wer sich Zeit für das Gebet und das Lauschen auf Gottes Wort nimmt,
kann aus der Fülle heraus handeln.
Es ist also eine Art Anleitung zum Maßhalten diese Geschichte:
Wer immer nur in Aktion ist, und sei es noch so gemeint,
verpasst Gott und verliert sich selbst.
Und wer immer nur auf der Suche nach Gott ist,
verliert schnell seinen Nächsten aus dem Blick
– und dadurch auch Gott.
Ich kann mich weder auf das eine noch auf das andere zurückziehen.
Leben in der nachfolge geht nur so: paarweise – als Maria und Martha – M & M. Vielleicht schreiben wir uns das ja als Marker in den Terminkalender.
Eine Erinnerung an Ora et Labora. Zeit für beides.
Es ist diese eine Liebe zu Gott, und sie hat viele Gesichter.
So wie ein und dieselbe Medaille 2 Seiten hat.
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ – das ist wahr.
Doch ebenso wahr ist:
Gutes zu tun, ist schöner, wenn es aus der gesunden Haltung heraus geschieht.
Glaube besteht nicht nur aus Kontemplation,
sondern auch aus der Tat.
Wer sich auf die Nachfolge einlässt, dem Gottesdienst seines Lebens,
wird unweigerlich zu beidem gelockt:
zur Diakonie und
zum verbindlichen Miteinander von Christinnen und Christen.
Beides geht nicht allein.
Es braucht immer den anderen. Immer die Gemeinschaft.
Maria, Martha und Jesus.
Schenke uns Gott das richtige Maß und Gleichgewicht.
Amen.