18.05
2025
10:00
Uhr

Friedenskirche in Berlin-Charlottenburg

Ein Beitrag von Hendrik Kissel

Mitwirkende

Predigt: Pastor Hendrik Kissel
Sprecher:in Gebete:  Dagmar Eichhorn
Sprecher:in Texte
Interview: Robert Spitzner
Moderation: Lina Rothkegel
Musikal. Leitung: Burkhard F.Fabian
Trompete: Theo Altmann
Drum: Finn Seemann
E-Bass: Thomas Koch
Sax: Viktor Wolf
Sologesang: Elias Schockel
 

Predigt

Kantate heißt der heutige Sonntag: Singt! 
Und viel singen wir miteinander in diesem Gottesdienst. 
Singen gehört zum Glauben, 
    gehört zur Kirche. In Chören und Kindergarten, bei christlichen Festen 
    und beim Klagen 
Singen gehört dazu.

Aber was, wenn manche Stimmen nicht dabei sind. Wenn sie fehlen? 
Weil sie nie eingeladen waren?

Wenn die Musik, 
    die in Kirchen erklingt, nur bestimmten Klangkörpern und Geschichten Raum gibt?
Die erste Taufgeschichte eines Nichtjuden, 
    von der im Predigttext die Rede war, 
    sprengt alle Grenzen.
Sie erzählt von jemandem, 
    der damals gleich mehrfach an Rändern lebte
     – geografisch, geschlechtlich, religiös, kulturell.

Der erste Mensch außerhalb Israels, der getauft wird, ist ein Schwarzer Mann.
    Ein Afrikaner aus Äthiopien – dunkelhäutig, hochgebildet, spirituell auf der Suche.
    Die Bibel nennt ihn Kämmerer: ein Hofbeamter für Finanzen, ein Eunuch. 
Eine Trans-Person, würden wir heute vielleicht sagen.
    Vielleicht hat er seine körperliche Veränderung selbst gewählt.
    Vielleicht wurde sie ihm angetan.
    Vielleicht war er von Geburt an anders.
Egal – in jedem Fall
    ein Mensch, der vom Gewohnten abweicht.
        außerhalb der Norm:
            Nicht vollständig jüdisch. 
            Nicht vollständig männlich. 
            Nicht vollständig rein.
    Aber für Gott: vollständig.


Kein Zufall, glaube ich: 
    Mit ihm und gerade mit beginnt das Evangelium seinen Weg in die Welt hinaus –
        mit einem, der anders ist, 
        nicht in Jerusalem, nicht in Rom, nicht in Europa.

Der Afrikaner liest in der Schrift – laut, wie man es damals tat.
Er liest aus dem Propheten Jesaja. Und Philippus hört ihn.

Philippus fragt:            „Verstehst du, was du da liest?“
Der Kämmerer antwortet:    „Wie soll ich, wenn mir niemand hilft?“
So ehrlich. So menschlich. 
    Kennen wir –     sogar in der eigenen Sprache, 
                sogar in der Bibel, die wir zu kennen meinen. 
    Auch wir erleben das: 
                Wir sehen, lesen, hören – und verstehen nicht. 
                Jedenfalls vieles nicht. 
                Jedenfalls nicht allein und ohne Gegenüber. 
Dann braucht es Menschen, die sich zu uns setzen,
    zuhören, erklären, mitgehen.
        Ein Stück vom Weg, bis wir erkennen: 
                Gott selber ist da. Bis etwas passiert. Bis ich verstehe.

Philippus steigt auf den Wagen.
Zwei Menschen – verschieden an Herkunft, Kultur, Geschichte – lesen gemeinsam.
    Sie sprechen über die Schrift, 
        den leidenden Gottesknecht, 
        den verwundeten, erniedrigten, still leidenden Gottesknecht.
Vielleicht erkennt der Kämmerer sich selbst in diesem Bild.
    Und Philippus erzählt nicht akademisch 
        sondern in seinen eigenen Worten von Jesus, 
        von dem, was ihn selbst trägt und bewegt.
Erzählt von der christlichen Hoffnung, die in ihm lebt – persönlich und lebendig.
    Und was er erzählt, kommt an. Der andere versteht.

Dann kommen diese kraftvollen Worte, der Kämmerer fragt:
    „Was hindert mich, getauft zu werden?“
        Was hindert mich –     als einer, der anders ist?
        Was hindert mich –     als einer, der nicht der Norm entspricht?

„Nichts hindert dich.“ Antwortet Philippus. 
    Nichts hindert Dich:         You are welcome!
    Die Taufe des äthiopischen Kämmerers ist der erste öffentl. Akt radikaler Inklusion.

Es gibt keine Prüfung.     
    Es raucht kein Dogma. 
    Es folgt kein wenn und aber.
Und so steigen sie beide gemeinsam ins Wasser.

Philippus tauft den anderen und der zieht voller Freude weiter.
    Bevor das Evangelium Europa erreicht, 
        das erfahren wir hier,         hat es bereits Afrika erreicht.
                            Frühchristliche Inklusion beginnt genau hier –
                            mit einem, der in vielerlei Hinsicht „anders“ war –
und ohne Vorbehalt aufgenommen wird.

Zum Diener der Weißen wurde er nicht berufen - wie viele Missionare christlicher Kirchen in der Kolonialzeit leider das Schwarzsein biblisch erklären wollten. Nein: Der Äthiopier muss seine völlig autonome Entscheidung und Erfahrung mit dem Auferstandenen zuhause in der Heimat geteilt haben, sonst wäre in Äthiopien keine christliche Kirche damals entstanden.

Wie oft hat Kirche im Laufe der Geschichte anders gehandelt.
Nicht gefragt: „Was hindert’s?“ – sondern selbst gehindert.
Schwarze Menschen.
Queere Menschen.
Menschen mit Behinderung.
Menschen, die nicht der Norm entsprachen.
Menschen anderen Glaubens – selbst wenn er so nahe mit unserem christlichen verbunden war, wie es der jüdische ist.

Wie oft hat Kirche Menschen 
nicht aus dem Wagen geholt – sondern vom Tempelvorhof oder von der Mitarbeit in der Kir-che ferngehalten. 
Nicht geantwortet wie Philippus damals: Kein Problem – nichts hindert – bist willkommen!

Aber diese Geschichte steht in der Bibel –
lange bevor es „Kirche“ im institutionellen Sinn gab.
Sie ist Ursprung. Sie bleibt Auftrag.

Jesus selbst hat an den alten Geist der Propheten angeknüpft:
an die Botschaft, dass Gott lieber einen Menschen annimmt, der ihn von Herzen sucht,
als sich an äußerliche Regeln zu klammern.
Schon im Ersten Testament lesen wir:
Gott will Herzen, nicht Hüllen.

Der Prophet Jesaja sagt (Jes 56):
„Der Fremde, der sich dem Herrn angeschlossen hat, soll nicht sagen:
'Sicher wird der Herr mich ausschließen…'
Der Verschnittene soll nicht sagen: 'Ich bin nur ein dürrer Baum.'
Denn so spricht der Herr:
Den Verschnittenen, die meine Sabbate halten,
die gerne tun, was mir gefällt,
und an meinem Bund festhalten,
ihnen errichte ich in meinem Haus ein Denkmal,
einen Namen, der mehr wert ist als Söhne und Töchter:
Einen ewigen Namen.“
Soweit die Worte des Propheten. Man kann sie so zusammenfassen: Wer Gott sucht, den soll nichts hindern. 
Die Frage: „Was hindert mich?“ an meinem Weg mit Gott, heute wird sie beantwortet: Nichts soll dich hindern. 
Von Ostern her ist diese Frage beantwortet: 
Der leidende Gottesknecht, der von den Toten auferstanden ist, hat das letzte Hindernis Überwunden.

Das ist der Beginn eines neuen Liedes. 
Eines Liedes der Glaubensgewissheit, eine sichere Hoffnung könnten wir auch sagen. .

Heute hören wir sie neu. Lassen sie uns zusprechen:
Nichts hindert dich:
Keine Regel. Kein Stand. Kein Geschlecht.
Kein Herkunftsort. Keine Unvollkommenheit.
Kein „Du musst erst …“ Keine fehlende Erfahrung. 
Stattdessen:
das Hoffen auf Gott, der von den Toten auferstanden ist.
das Vertrauen, dass Jesus der Sohn Gottes ist.

Vielleicht ist es am Ende Philippus, der in dieser Begegnung das Meiste lernt:
Berührt vom Glauben und der Offenheit dieses Mannes.
Geführt vom Geist Gottes über eigene Grenzen hinaus.
Aber was heißt das heute?
Was bedeutet das für uns als Kirche, als Glaubende, im Umgang mit Menschen, die anders sind, sich anders erleben?
Gerade gestern haben wir uns als Gemeinde mit der Frage Transsexualität beschäftigt. 
Was passiert, wenn Menschen nicht der gängigen Norm entsprechen, 
sich nicht klar zuordnen lassen, wie wir es gewohnt sind. 
Wie gehen wir als Christinnen und Christen damit um?

Am Beispiel des berührenden Films „Privileg“ haben wir erst einmal zugehört.
Mitgefühlt und miteinander gesprochen.
Über den Glauben, über die Konflikte,
die entstehen, wenn eine Operation das innere Geschlecht angleichen soll.
Die Taufe des äthiopischen Kämmerers ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Gott kei-ne Barrieren kennt. Wie der Kämmerer, der damals als „anders“ galt – so gibt es auch heute viele Menschen, die sich in der Gesellschaft und manchmal sogar in der Kirche „anders“ füh-len, die gehindert werden an der Gemeinschaft statt dass wir diese Antwort leben: 
Was hindert Dich an der Gemeinschaft in Gott: nichts!!!!

Der äthiopische Beamte ging nach dieser Begegnung, nach seiner Taufe weiter – voller Freude.
Vielleicht summte er ein Lied dabei. Vielleicht platzte es aus ihm heraus.
Ein Lied, ein kraftvolles Bekenntnis:
Auch wir singen nun – wir singen einem Gott ein Lied, der nicht prüft, sondern ins Leben ruft.
Der nicht aussortiert, sondern segnet.
Der nicht ausschließt, sondern zusammenbringt. Die Bibel ist voll von diesen Geschichten. 
„Was hindert’s?“ – das ist die Frage heute.
Und spüren, wie der Geist Gottes uns sagt: 
Nichts hindert dich an der Gemeinschaft mit mir. 
Öffne sie. 
Wenn Gott niemanden hindert – wer wären wir, es zu tun?

Amen