Eine Gruppe von Menschen steht auf einer Bühne, einige halten Medaillen in den Händen. Der Mensch vorne in der Mitte hält ein großes Schild mit der Zahl „1“. Alle scheinen sich zu freuen und feiern zusammen. Es sind regenfeste Kleidung und ein Feuer auf der Bühne sichtbar.
20.07
2025
10:00
Uhr

Gottesdienst aus der Friedenskirche der Stephanusstiftung, Berlin

Fahre hinaus, wo es tief ist – in diesem Satz steckt ein ganzes Leben. Die Fischer am See Genezareth sind müde und erschöpft, sie können nicht mehr. Die Nacht war lang, die Arbeit schwer – und sinnlos obendrein. Trotzdem taten Simon und seine Gefährten dem Wanderprediger einen Gefallen, als er sie darum bat. Solche Prediger kamen öfter vorbei. Sie redeten von einem neuen Leben, manche von Revolution, andere von innerem Frieden. Einige konnten sogar Krankheiten heilen. Doch dieser hier war anders. Was er sagte, sprach sie unmittelbar an. Vielleicht hatten sie sich selbst den größeren Gefallen getan, als sie Jesus in ihr Boot aufnahmen und ein Stück vom Land ruderten.

Nachdem Jesus seine Predigt beendet hatte, wandte er sich ihnen zu – den Arbeitsmüden, den Sinnerschöpften. „Fahre hinaus, wo es tief ist.“ Wie muss dieser Satz bei Simon angekommen sein? Wieder dorthin, wo das Wasser tief ist, wo plötzliche Winde gefährlich werden können? Hinaus an den Ort der Sinnlosigkeit, der Angst? In der Psychologie würden wir vielleicht von Retraumatisierung sprechen – als würden wir einer Arbeitnehmerin, die im Beruf einen psychischen Zusammenbruch erlitten hat, raten, an ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren.

Aber dabei bleibt es nicht. Simon antwortet – nicht mit Ja oder Nein. Er findet Worte für sein Trauma, spricht aus, was ihn und die anderen belastet: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ Das ist der erste wichtige Schritt. Im Lied von Jürgen Henkys heißt es in der Schlusszeile: „Er will uns alles geben: die Wahrheit und das Leben.“ Simon sagt die Wahrheit über sein Leben. Er vertraut sich Jesus an – dem Menschen, der sich Zeit nimmt, der zuhört. Und dann geht Simon einen Schritt weiter: „Aber“, sagt er – „aber“. In diesem „Aber“ liegt seine ganze Hoffnung, seine Sehnsucht nach dem wahren Leben. „Aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen.“

In diesem Moment öffnet Simon die Schleusen seiner Zweifel, wirft sich ins Vertrauen hinein – in ein Leben, das er bis dahin nicht kannte, in dem ihm Wunder über Wunder begegnen werden. Das erste dieser Wunder geschieht sofort: Die Netze sind übervoll. Fische bedeuten Nahrung, Leben. Arbeit, die Sinn macht und Erfüllung bringt. Das Trauma des Sinnlosen ist überwunden. Leben ist da – in Hülle und Fülle und wunderbar. Aus dem Trauma wird ein Traum, der wahr ist. Simon erkennt in Jesus nicht nur den Zuhörer, den um Vertrauen Werbenden – er erkennt Gott. Gott, der den Menschen nahe ist. Gott, der mit ihnen dort ist, wo es tief ist.

„Über dem Tosen gewaltiger Wasser, furchtbarer als die Brandung des Meeres, herrlich in der Höhe ist Gott“ – das ist der Leitsatz aus der Gründungszeit der Stephanus-Stiftung, die 1878 als Bethabara-Stiftung begann. Bis heute ist dieser Satz unser Status – für die, die WhatsApp benutzen, oder unser Reel bei Instagram. Noch einmal anders, in der Übersetzung von Martin Luther: „Die Wasserwogen im Meer sind groß und brausen mächtig, der Herr aber ist größer in der Höhe.“

Was hat das mit sozialer Arbeit zu tun? Und mit Diakonie? Wenn die Wellen hochschlagen, wenn die Täler in der Tiefe noch tiefer werden, dann gibt es Rettung. Dann kann ein Wunder geschehen – eines wie das von Simon und den Fischern, oder eines der Heilung, der Bewahrung aus lebensfeindlicher Umgebung.

Wer das Gelände der Stephanus-Stiftung in Weißensee betritt, dem fallen zwei Wasserwogen auf – mehrere Meter hoch, aus Stahl geformt, sie umschließen zwei Glocken. Zwischen diesen mächtigen Wogen erhebt sich ein Kreuz. In diesem Kunstwerk, das der Berliner Bildhauer Achim Kühn 1975 für die Stiftung geschaffen hat, begegnen sich diese beiden Motive – wie in der Geschichte von Jesus und Simon: die Tiefen der Krisen, die tosenden Wasser der Sorge – und das Vertrauen, dass Gott es gut mit uns meint. Gottvertrauen. Rettende Größe. Befreiende Höhe.

Wir wissen nicht genau, warum Ernst Berendt – so hieß unser Gründer – dieses Motto ausgesucht hat. Aber wir wissen: Er hat sich um junge Frauen gekümmert, die in den Wasserwogen des Lebens fast ertrunken wären. Frauen, die im Gefängnis waren und wieder ins Leben zurückfanden. Er wollte ihnen etwas geben, was sie nicht hatten – Vertrauen in ihr Leben und Freude an der Welt. Er wollte, dass ihre Träume wahr werden, dass sie beide Seiten des Lebens kennenlernen – nicht nur die Verliererseite. Berendt wollte, dass sie ihre Kinder sicher zur Welt bringen können. Deshalb war das nächste, was er baute, eine Entbindungsklinik – das Gebäude steht bis heute auf unserem Gelände.

Soziale Arbeit ist heute professioneller geworden, sie muss auch wirtschaftlich sein. Aber ohne die Leidenschaft der Erzieherinnen, der Heilerziehungspfleger, der Betreuerinnen, der Mitarbeitenden in unseren Werkstätten, der Pflegekräfte und der Lehrerinnen geht es nicht. Und ohne Ehrenamtliche geht es ebenfalls nicht – Menschen, die das tun, was Jesus gegenüber Simon Petrus vorgelebt hat: zuhören, verstehen und Vertrauen geben.

In der Stephanus-Stiftung vertrauen wir darauf, dass jeder Mensch seinen Traum vom selbstbestimmten Leben so weit wie möglich verwirklichen kann. Täglich unterstützen wir mehr als zehntausend Menschen in Berlin und Brandenburg dabei, ihren Traum vom Leben wahr werden zu lassen.

„Die Wasserwogen im Meer sind groß und brausen mächtig – der Herr aber ist noch größer in der Höhe.“ Und wenn Ihnen im Alltag, liebe Hörerinnen und Hörer, die Wasserwogen bis zum Hals stehen, dann denken Sie daran: Keine Welle ist größer als das Vertrauen, das uns im Leben trägt. Und wenn Sie Unterstützung wünschen – Ihre Diakonie ist für Sie da. Amen.

Herzlich laden wir Sie nun ein, mit uns das Sommerlied schlechthin zu singen: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“, im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 503 – wir singen die Strophen 1, 8 und 13.

Predigt: Dr. Ellen Ueberschär
Orgel: Kirchenmusikdirektor Herrmann Grünert
Klavier: Martin Reiche
Schola: Mitarbeiterinnen der Stephanusstiftung
Ltg.: Barbara Manterfeld-Wormit, Rundfunkbeauftragte EKBO