19.01
2025
10:00
Uhr

Gottesdienst zur Grünen Woche

Mitwirkende:
Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt, Schöpfungsbeauftragte der EKD (Predigt)
Generalsuperintendent Kristóf Bálint, Sprengel Potsdam (Liturgie)
Johannes Funke, Mitglied des Brandenburger Landtags (Predigt)

Gerald Dohme, Stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (Fürbitten)
Claudia Nielsen oder N.N., Vertreterin Landfrauen (Fürbitten)
Bettina Locklair, Katholische Landvolkbewegung Deutschland (Fürbitten)
Franziska Ullrich, Heimvolkshochschule am Seddiner See (Fürbitten)
Adrian Campen und Franziska Kraus, Junglandwirtekurs Niedersachen & Junglandwirtekurs Bayern (Interview)
Sebastian Heindl, Orgel

Dialog-Predigt

(Funke)
„Nahrung sichern, Frieden stiften“ – unter diesem Motto feiern wir jetzt Gottesdienst anlässlich der Grünen Woche in Berlin. Nahrung sichern – Frieden stiften.
Nahrung hat also etwas mit Frieden zu tun und ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass mir dieses Motto sehr aus dem Herzen spricht. 
Ich möchte das gern mit einer kleinen Statistik begründen, auch wenn Statistik vielleicht nicht die übliche Sprache von einer Kanzel ist.  Wenn die Bauern in Deutschland eine Getreideernte einfahren, dann sind 45 Mio. Tonnen eine ordentliche Ernte.  45 Mio. Tonnen wiederum reichen gut aus, um uns, die 84 Mio. Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik, sicher und auskömmlich zu ernähren. 45 Mio. Tonnen ist aber auch ziemlich genau die Menge an Getreide, die die Ukraine und Russland zusammen - beide sind ja wichtige Agrarländer - vor dem Krieg auf den Weltmarkt exportiert haben. Wenn also Russland und die Ukraine wegen des Krieges kein Getreide mehr liefern können, dann fehlt ja - zumindest theoretisch - die Nahrung für über 80 Mio. Menschen irgendwo auf der Welt.  „Nahrung sichern und Frieden schaffen“ – das gehört also zusammen und spätestens jetzt wird klar, dass es mit dem Brotbrechen mit den Hungrigen, im Sinne von Jesaja, gar nicht so einfach is

(Kühnbaum-Schmidt)
Ja, Welternährung und Frieden hängen zusammen. Kriege säen regelrecht Hunger. Denn in Kriegen werden Felder und Transportwege zerstört, Ernten und Lagerstätten vernichtet. Menschen, die als Soldaten eingezogen werden,  fehlen nicht nur ihren Angehörigen, sondern auch bei der Herstellung von Nahrungsmitteln.  Krieg ist eine der Hauptursachen von Hungersnöten. Und selbst wenn ein Krieg beendet ist - oft bleibt der Hunger. Meine Eltern haben das in ihrer Kindheit in und nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt und mir oft von dieser sehr schweren Zeit erzählt. Was heißt das heute? Selbst wenn es gelänge, den Krieg in der Ukraine umgehend zu beenden, wäre der mit diesem Krieg zusammenhängende Hunger nicht sogleich gebannt. Die Weltgemeinschaft bleibt gefordert, die Versorgungslücke zu füllen, die durch den Angriffskrieg Russlands auf ukrainisches Territorium entstanden ist. Der Markt alleine wird es nicht richten.

(Funke)
Absolut richtig, tatsächlich darf der Welthandel nicht der alleinige Motor der Welternährung sein. Viel wichtiger ist es doch, dass die Menschen - von denen ja die meisten in ländlichen Räumen leben -  selbst im Stande sind, sich zu ernähren. Deswegen treffen sich ja auch Jahr für Jahr die Landwirschaftsministerinnen und -minister aus der ganzen Welt hier in Berlin zum Global Forum for Food an Agriculture - also zu einem Weltkongress der Landwirtschaft am Rande der Grünen Woche. Die Welt schaut also gerade in diesem Moment mal wieder auf diese Stadt.  Und ich bin überzeugt, dass Politik im Großen und im Kleinen viel bewegen und verbessern kann. Aber das Brot mit dem Hungrigen brechen wie es der Prophet Jesaja damals forderte, meint sicher noch mehr als globale Produktion und Handel und Wissenstransfer, meint etwas anderes, etwas ganz und gar Menschliches.

(Kühnbaum-Schmidt)
Jesaja lebte noch nicht in einer globalen, digital vernetzten Welt. Doch was Krieg, Vertreibung und Wiederaufbau nach einer Besatzungszeit bedeutet, das wusste er: Das babylonische Großreich war nach 40 Jahren zusammengebrochen. Die Nachfahren einst vertriebener Juden waren in die Heimat ihrer Eltern und Großeltern, Juda und Jerusalem, zurückgekehrt. Sie versuchten einen neuen Anfang. Aber wie sollte das gehen mit der Sehnsucht nach einem guten Leben inmitten von Trümmern und zerstörten Hoffnungen? Wie sollte ein neues, ein gutes Leben wieder in Gang kommen? Das beschäftigte die Menschen damals. Und Jesaja gibt diese Antwort. Der Rat des Propheten Jesaja war ungewöhnlich: Er entwirft keinen Masterplan für einen Wiederaufbau mit großen Ideen. Sondern er sieht schlicht und klar auf die, die regelrecht vor Augen stehen – auf die Schwächsten der Schwachen. Und sagt klar, was zu tun ist – und was jeder Einzelne tun kann: Brich dem Hungrigen dein Brot, gib den Obdachlosen eine sichere Bleibe, gib den Frierenden Kleidung. Und er erinnert damit bis heute daran: Wir Menschen sind immer wieder abhängig von der Güte, dem Wohlwollen, der Unterstützung und Liebe anderer Menschen. Nicht nur, wenn wir in Not sind, aber dann besonders. Und weil wir voneinander abhängig sind, sind wir auch füreinander verantwortlich. Als Menschen untereinander. Aber ebenso für das, was uns auf dieser Erde anvertraut ist: Natur, Mitgeschöpfe, Mitmenschen. Diese Verantwortung füreinander kleidet die Bibel in ein wunderschönes Bild: Lass den Hungrigen dein Herz finden. Also: Öffne dein Herz der Not eines anderen. Verschließ dich nicht vor deiner Verantwortung. Wende den Blick nicht ab. 

(Funke)
Unser Blick ist heute ein globaler. Die Welt als Ganze ist im Blick – was auch eine große Überforderung ist. Die Bilder vollkommener Zerstörung in Syrien oder im Gazastreifen stehen mir vor Augen. Wir feiern diesen Gottesdienst an einem Ort, der am Ende des zweiten Weltkrieges auch vollkommen zerstört war. Und trotzdem lebten und leben immer auch Menschen an diesen Orten. Das kann nur funktionieren, weil es Menschen gibt, die mit anderen Menschen teilen oder auch Brot brechen oder was auch immer miteinander austauschen. Ich denke, genau das meint Jesaja. 

Und keineswegs müssen wir dabei die Geschichte bemühen oder in ferne Länder schauen. Die Tafel, die Lebensmittel an Bedürftige verteilt, wird auch in unserem reichen Land immer wichtiger. Die Organisatoren der Grünen Woche und die Helfer der Tafel arbeiten inzwischen sehr eng zusammen – die Messe ist ja auch ein Ort, wo gerne gegessen und getrunken wird, was die Regionen zu bieten haben. Dass nicht einfach wegkommt, was übrigbleibt, sondern seinen Weg dahin findet, wo es gebraucht wird, das ist gut – und auch etwas von der Botschaft Jesajas im Jahr 2025: Brich mit dem Hungrigen dein Brot.

(Kühnbaum-Schmidt)
Und es gibt noch einen wichtigen Aspekt, auf den uns die Bibel hinweist. Sie beschreibt es so: „Wenn du den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“

Hilfe ist keine Einbahnstraße. Wenn wir uns anderen zuwenden, ihr Leben mit unserer Hilfe hell machen, wird damit auch unser Leben heller. Das Licht, das wir für andere entzünden, scheint auch in unser Leben. So zu handeln und zu leben, dabei hilft mir der Glaube. Weil er meinen Blick weitet. Weil er uns an dem orientiert, was Gott Gutes für uns Menschen will. Weil er dabei hilft, auf Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit zu setzen. Und so das Leben nicht preis- und unser Miteinander nicht aufzugeben.

Möglichkeiten dafür gibt es genug: Mit denen teilen – ganz konkret oder über Geldspenden – die zu wenig zum Leben haben. Sei es in unserer Nachbarschaft, sei es in anderen Regionen der Erde. Sich einsetzen für faire Preise und angemessene Arbeitsbedingungen – überall auf der Welt. Mit Lebensmitteln so umgehen, dass sie nicht sinnlos verschwendet werden und in schier unvorstellbaren Mengen im Abfall landen. Die Ressourcen unserer Erde schonen, nachhaltig leben und wirtschaften. Wer nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere in Not, für das Leben auf dieser Erde Verantwortung übernimmt, dem verspricht Gott: „Dein Licht wird hervorbrechen wie der Morgen… dein Licht wird in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.“

Das meint: wer um die eigene Angewiesenheit wie die eigene Verantwortung weiß, lebt und handelt in Gottes Segensraum. Wenn etwas nicht gut ist, sagen wir manchmal: „Da liegt kein Segen drauf“. Aber auf einem Leben, das nicht nur auf sich selbst sieht, sondern auch an andere denkt, darauf liegt Segen. Reicher Segen. Gottes Segen. Das ist doch ein wunderbares Bild und ein guter Vorsatz für dieses neue Jahr: Es soll sich weiten zu einem solchen Segensraum. Mit Platz für mehr Wertschätzung und wechselseitige Wahrnehmung. Ein Platz, wo Gutes geteilt und Menschen geholfen wird. Ein Ort des Friedens und der Gerechtigkeit. Jeder von uns kann dafür ein Stück Verantwortung übernehmen. Amen.

(Funke)
Um einen solchen Aufbruch und Neubeginn geht es im folgenden Lied: „Wo Menschen sich vergessen!“ Im Liederbuch Singt Jubilate die No. 176