16.03
2025
10:00
Uhr

St. Petrikapelle, Brandenburg an der Havel

Wir senden live einen evangelischen Gottesdienst aus der St. Petrikapelle in Brandenburg an der Havel. Die Predigt hält Pfarrerin Uta Stiller. Die musikalische Leitung hat Kirchenmusikdirektor Marcell Fladerer-Armbrecht. Es singt die Brandenburg Kantorei unter der Leitung von Suhyun Lim.

 

Predigt 

Reminiszere 2025, (Joh 3, 16-19)

Liebe Gemeinde hier in der St. Petrikapelle, zuhause oder unterwegs,

In den Worten des Evangeliums, die wir heute gehört haben, ist viel von Finsternis die Rede. Finsternis, die wir Menschen mehr lieben als das Licht. Das gehört zu der Passionszeit, in der wir uns befinden. Áuch die biblischen Texte sind da dunkel, ernst und rätselhaft an vielen Stellen – auch bedrückend. Die Passionszeit Jesu ist schließlich eine Zeit des Leidens, der Sorgen und Ängste. Sie ist Zeit der Vorbereitung auf die größte Dunkelheit: den Tod. Karfreitag muss Jesus ihn erleiden. Aber wie sehen wir heute auf die Passionszeit? Ist die Welt wirklich so? Neigen wir zur Finsternis? Ich finde eigentlich nicht, dass ich die Finsternis mehr liebe als das Licht. Aber ich empfinde es auch so: Es sind dunkle Zeiten gerade.  
Und dann ist da auch die Rede von der Liebe Gottes, der Liebe, die uns trotzdem gilt. Eine Liebe, die nicht auf Gegenliebe wartet, sondern kommt und tröstet und bei uns bleibt. Die nicht verurteilt, sondern heilt und rettet. Darum geht es in einem Gespräch über Licht und Finsternis. Glaube und Suche. Wer sagt das? Und zu wem?

Zwei Männer sind zusammen in einem Zimmer, draußen ist es dunkel, sie reden.

Der eine, schon älter, ist heimlich zu dem anderen gekommen. Er ist beunruhigt, er ist getrieben von etwas, das ihn sehr bedrängt. Es ist die dringende, fast verzweifelte Frage nach dem Sinn des Lebens, die ihn umtreibt. Eine Suche nach dem, was wirklich heilt und hilft. Er hat gehört und gesehen, dass der andere, den er jetzt mitten in der Nacht aufgesucht hat, helfen und heilen kann, mit einer Kraft, so groß, dass sie einfach nur von Gott selbst kommen kann, so fühlt er es. Deshalb ist er jetzt hier.
Denn was von diesem anderen ausgeht, das widerspricht dem, was Nikodemus bisher gelernt hat. So heißt der, der nun bei Jesus sitzt und mit ihm spricht über alles, was ihn so sehr bewegt. Nikodemus ist einer der Leiter der jüdischen Gemeinde, einer von denen, die fest an das gute Gesetz Gottes glauben. Er ist sich sicher: Wenn wir die Gebote halten, alle, und zwar ernsthaft, dann wird Gott uns retten. Dann kommt der Messias. Das ist Nikodemus‘ Überzeugung. Dann werden wir im Gericht bestehen.

Der andere Mann im Raum ist Jesus. Dieser Mann, der selber in die Wüsten geht, um Gott ganz nahe zu sein. Der Menschen tröstet und heilt, der so anschaulich von Gott spricht. Er erzählt von Licht und Gnade und Vergebung. Von Liebe und Sorglosigkeit. Von Vertrauen und echter, empathischer Gemeinschaft. Was Jesus sagt, klingt wie eine Einladung in eine andere Welt. Wie ein Ruf in ein wunderbares Leben, nach dem er sich sehnt. Nikodemus ist ein Suchender. Hier kommt er an. Ein Gefühl stellt sich ein, wie Jesus es in einfachen Worten beschreibt, wenn er zu den Menschen draussen auf der Straße redet: Hunger und Durst werden gestillt. Nicht nur der Hunger nach Brot, sondern auch der nach Gerechtigkeit. Nicht nur der Durst nach Wasser, nein, nach lebendigem Wasser. Jesus spricht in diesen Bildern davon, dass Gott die Welt liebt, obwohl sie sich ihm verschließt. Er redet vom Licht, obwohl die Finsternis da ist. Er redet von Liebe, obwohl er uns Menschen kennt mit unserem Hang zur Finsternis. Und so wie wir sind will er uns. Will uns nicht richten, sondern retten.

Nikodemus weiß, was Jesus predigt. Er kennt seine Botschaft – und ist tief beunruhigt. Weil er instinktiv weiß: Wer tut, was Jesus tut, wer so redet und handelt wie er, der muss seine Kraft von Gott haben. Wer so von Licht und Rettung spricht, mit dem muss Gott selber sein. Darum macht er sich auf den Weg in der Nacht.

Nikodemus muss sich sehr nach dieser Rettung sehnen. So sehr, dass er heimlich, im Dunklen, im Finstern, zu Jesus geht und ihn fragt: Rettung, wie kann das sein, neu geboren werden, das klingt schön, aber wie soll das gehen. Ich bin doch zu alt für einen Neuanfang. Das ist die lange Vorgeschichte zu unserem Predigttext. Und jetzt kommt die Antwort Jesu auf Nikodemus‘ Suche und Zweifel.

Jesus antwortet mit der Heilsgeschichte: In wenigen Sätzen erzählt er alles: die ganze Passion bis hin zu Karfreitag und Oster. Er sagt zu Nikodemus: Gott liebt diese Welt so sehr, dass er seinen eigenen Sohn gab. Dass er selbst Mensch geworden ist. Das ist die Rettung zum Leben: Dass er dem Tod die letzte Macht nimmt, indem er ihn selbst erleidet. Und doch lebt. Das ist Gott, der dich heilen und trösten kann. Der ewiges Leben nicht nur verspricht, sondern der selbst vorangeht, mitten hinein in dieses verheißene Leben. Du, Nikodemus, brauchst das nur anzunehmen. Du musst nur glauben. Dein Leben so führen wie ein Mensch, der Gott das glaubt. Denn das ist es, was du sollst, was deine Bestimmung, der Sinn deines Lebens ist: das sichere Gefühl: Ich bin nicht verloren – egal wieviel Finsternis ich um mich herum spüre. Das Licht wahrnehmen und die Liebe erfahren und daraus leben. Das bedeutet das ewige Leben haben.

Das ist die Predigt, mit der Jesus antwortet: Eine Kurzpredigt – Passion, Karfreitag und Ostern in einem. Ganz einfach – und doch ganz schön schwer zu fassen. Wie Nikodemus das aufnimmt, erfahren wir nicht. Die Bibel erzählt nicht, wie das Gespräch zwischen den beiden weitergeht. Was ist mit mir? Wie ist es, wenn Jesus so zu mir spräche: Du musst nur glauben. Dein Leben aus diesem Glauben herausführen, dass Du nicht verloren bist – in dieser Welt nicht, egal wie herausfordernd sie ist. Und am Ende dieses Lebens nicht. Kann ich das so annehmen und nachsprechen: Ich bin nicht verloren in dieser Welt. Ich bin geliebt. Ich lebe aus dem Licht – trotz Finsternis!  

Orgelmusik; Thema: Du bist mein Zufluchtsort

Es gibt Gespräche, die haben es in sich. Da geht es um alles. Von einem solchen Gespräch handelt die Begegnung zwischen Jesus und Nikodemus. Nikodemus wird das Gespräch nie vergessen haben. Es geht um die ganz großen Themen: Sünde und Glaube, Liebe und Suche, Finsternis und Licht.
Von einem solchen Gespräch will ich erzählen. Ich war dabei vor vielen Jahren und es hat mich tief beeindruckt. Mehr noch: es hat mich geprägt.

In der Jungen Gemeinde damals hatten wir einen Jugendpfarrer, Klaus. Wir haben einander geduzt, wir haben zusammen Gottesdienst gefeiert und sind auf Freizeiten gefahren. Klaus war locker – wir mochten ihn – doch in Glaubensfragen war er streng und sehr deutlich. Einmal sprachen wir über Sünde. Nicht gerade ein Wort, mit dem junge Menschen etwas anfangen können.

Sünde. Was ist das überhaupt. Wir haben lange diskutiert – kann man das Wort nicht abschaffen – oder ersetzen? Würde man das heute nicht anders nennen, geht es nicht einfach um Regeln. Ist das nicht ein bisschen übertrieben, alle Menschen als Sünder zu bezeichnen.

Klaus hörte sich das alles an. Dann hat er geantwortet. Er kannte sich aus in der Bibel – viel besser als wir.. In Erinnerung ist mir dieser eine Satz geblieben. Er prägt meinen Glauben bis heute:

Sünde ist Getrenntsein von Gott.

Das haben wir verstanden. Dieses Gefühl war uns nicht fremd.

Und Klaus redete weiter – und ich habe gemerkt, wie wichtig ihm das war, was er jetzt sagte: Sünde da, wo Menschen Gewalt ausüben.
Wo sie herrschen, ausnutzen, verschwenden.
Wo Menschen Zäune und Mauern errichten aus unlauteren Motiven.
Sünde ist da, wo wir anderen schaden.
Und es ist auch Sünde, wenn wir Gutes als selbstverständlich annehmen.
Wenn wir ohne Dankbarkeit sind.
Zerstreuung suchen.
Dabei könnten wir doch versuchen, das Beten zu lernen.
Es ist Sünde, wenn ich ohne Not unter meinen Möglichkeiten bleibe.
Wenn ich mich verlasse auf das, was ich schon weiß. 
Einen Neuanfang für unmöglich halte.

Es ist Sünde, anderen Menschen nicht zuzutrauen, dass auch ihnen Gottes Liebe gilt.
Es ist Sünde, mir selber nicht zuzutrauen, dass Gott mich liebt.

Ich denke noch daran, wie wir damals im Schneidersitz auf Bodenkissen hockten und zuhörten – ganz gebannt.

Sünde ist Getrenntsein von Gott.

Sünde ist nicht nur einfach etwas, das ich tun oder lassen kann, sondern Teil unseres menschlichen Seins. Das Wort hat eine gemeinsame Herkunft mit dem Wort Sein, und auch mit Sinn. Es hat mit einem Zustand zu tun. Sünde, Sein, Sinn, Verfehlung.
Ein Ziel verfehlen. Sich selbst verfehlen.

Sünde ist demnach ein Zustand des Seins. Viel mehr also als eine sträfliche Handlung. Weil wir Menschen sind, sind wir Sünder.

Unsere Bestimmung aber ist, von Gott nicht getrennt zu sein.

Und das glaube ich ganz fest – sagte Klaus und jeder spürte – jetzt kommt das Wichtuígste: Gott hat uns eigentlich gut geschaffen, und das, was uns in unserem Menschsein von jeher von ihm trennt, das will er vergeben. Das soll unser Leben nicht bestimmen.

Das ist so wie eine ewig ausgestreckte Hand, die uns herauszieht.

Dieser Satz von Klaus begleitet mich bis heute: Sünde ist Getrenntsein von Gott. Wenn das so ist, bedeutet Glaube, sich auf Liebe als Lebenshaltung einzulassen. 
Glaubensgespräche. Jesus und Nikodemus. Klaus, der Jugendpfarrer von damals und wir als Jugendliche. Sätze, die mitgehen in einem Leben. Sätze, die wie ein Licht sind auf der Suche:
Gott liebt diese Welt. Sünde ist Getrenntsein von Gott. 
Er will, dass wir das Ewige Leben haben. Das – ist unsere Bestimmung. Ich vergesse sie nicht, diese Sätze: Ich bin nicht verloren in dieser Welt. Ich bin geliebt. Und ich lebe aus dieser Liebe. 
Amen.