26.12
2024
08:50
Uhr

Auferstehungsfriedhof Weißensee

Pfarrer Alexander Höner

Ein Beitrag von Alexander Höner

Ich liebe den Zweiten Weihnachtstag. Er ist so schön unaufgeregt. Früher als Kind blieb ich den ganzen Tag über im Schlafanzug. Ich mummelte mich ein in mein Zimmer, spielte mit meinen Geschenken und aß Vanillekipferl. Mmmm, herrlich! Vielleicht mache ich das heute einfach wieder. Aber einmal will ich auf jeden Fall auch raus gehen. An einen besonderen Ort – vielleicht eher untypisch zu Weihnachten. Mir ist dort nämlich dieses Jahr wirklich was Verrücktes passiert:
Mit unserer Hündin Anouk gehe ich häufig über den schönen Auferstehungsfriedhof in Weißensee. Wir kommen da manchmal an einem Grabstein vorbei, auf dem steht: „Ehepaar Drewniak“. Was für ein Zufall. Meine Oma hieß als Mädchen auch Drewniak. Aber ich hatte keine Verwandtschaft in Berlin.
Eines Tages im Sommer schneidet ein älterer Mann die Buchsbaumhecke auf dem Grab. „Ich hab‘ ja nichts zu verlieren“, denke ich: „Ähm, hallo, entschuldigen Sie bitte, dass ich sie einfach so anspreche. Meine Großmutter hieß auch Drewniak.“ – „Aha“, brummt der Mann. „Woher kam die denn?“ will er wissen. „Aus Krojanke“. Dem Mann entgleiten die Gesichtszüge und fast auch die Heckenschere. „Das gibt’s nicht – die Familie von meiner Frau auch“. Wir tauschen unsere Kontaktdaten.
Später telefoniere ich mit seiner über neunzig jährigen Schwägerin und die erinnert sich: „Ja, Tante Hedwig lebte auf dem Hof am Ende der Straße und kümmerte sich um ihre kranke Mutter. Da war auch so’n kleiner Junge.“ – „Das war mein Vater.“ sprudelt es aus mir heraus. Ich kriege Gänsehaut.
Und deshalb will ich heute unbedingt da hin. Meine neu entdeckten Verwandten besuchen. Klingt vielleicht komisch, aber ich werde einen kleinen geschmückten Zweig aus unserem Weihnachtsbaum schneiden und ihn rüber bringen zum Ehepaar Drewniak. Unbekannterweise und trotzdem verwandt.
Unser Weihnachtsbaum wird dann eine Lücke haben und die erinnert an all diejenigen, die früher mit dabei waren und jetzt fehlen. Und als Seelsorger weiß ich: Es geht ganz vielen Menschen in dieser Stadt so. Viele spüren die Lücke zu Weihnachten besonders doll. Hier mein Trost: So lange wir vermissen, lieben wir noch. Stimmt wirklich. Und deswegen ist Weihnachten nicht nur das Fest der Liebe, sondern auch das Fest des Vermissens. Gerade das verbindet uns.

„Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe.“
Die Bibel, Lukasevangelium, Kapitel 2.