29.12
2024
08:50
Uhr

Das Münzdirektorenhaus der Alten Münze

Alle, die da fallen

Ein Beitrag von Katrin Visse

Gegenüber der Senatskanzlei und dem Kundenzentrum der Berliner Wasserwerke steht ein etwas heruntergekommener Bau: das Münzdirektorenhaus der Alten Münze. Außen, auf Höhe der zweiten Etage, sieht man vier Steinplatten. Darauf: 5 Figuren.
So, wie sie da hängen, sieht es aus, als ob sie gerade fallen.

Einer mit Jeans und Hoodie.  Einer oder eine fällt über Kopf. Einer fällt noch im Sprung. Von einem sieht man nur die nackten Beine –sie sind ein bisschen dicklich wie die eines kleinen Kindes oder eines Engels.

Fallende Menschen: Die aus einem Hochhaus fallen. Im Krieg fallen. 
Die Steinplatten sind der Rest einer Ausstellung aus 2013. Die hat der Künstler Thomas Lucker gemacht, und sie trug den Titel: „All that fall.“ Also „alle, die da fallen“.
Es ist auch eine Anspielung auf Psalm 145, Vers 14. Er lautet: „Der Herr hält alle, die da fallen.“

Nur: unter den Platten steht der Herr nicht um die Fallenden aufzufangen, natürlich nicht. Sie fallen ins Leere.  
Aber doch: Seit 11 Jahren fallen sie schon da am Münzdirektorenhaus; ihr Fallen verwittert schon langsam. 
Jetzt, wo ich die Fallenden kenne, winke ich ihnen manchmal beim Vorbeifahren zu wie alten Bekannten und rufe: „Na, wie fällt sichs heute denn so?“
Ich frage mich, wie sich das wohl anfühlt, zu fallen? Wie völlige Freiheit? Leichtigkeit?

Wie alle Sterblichen kann ich über das Fallen selbst nichts sagen: Millisekunden - zu kurz, um etwas zu fühlen. Nur an manches Danach kann ich mich erinnern:
Also nach dem ersten Sprung vom Fünfer im Freibad, damals. Auftauchen aus dem Wasser: stolz. Nochmal!

Oder als die Kinder mich in die Achterbahn geschleppt haben: Free Fall! Voller Adrenalin war ich dann. Und auch neu verwundert darüber, am Leben zu sein.
Aus der Perspektive der Ewigkeit ist unser Leben wie ein Fall. Eine Millisekunde. Auch das, was in Stein gemeißelt ist, vergeht:

„Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir / (und mein Leben ist wie nichts vor dir).“ (Die Bibel, Psalm 39, Vers 6)