13.04
2025
08:40
Uhr

Der Mittelpunkt Berlins

Veränderungen an den Rändern verändern auch das, was wir als Mitte bezeichnen.

Ein Beitrag von Christoph Kießig

Welche Bilder haben Sie im Kopf, wenn Sie an Berlin Mitte denken? Menschengedränge, U-Bahn, dichter Verkehr, Shopping, Obdachlose, Bürohochhäuser, Kneipen oder die Spree und das geleckte Regierungsviertel. 

Ich stehe allein am Rande eines schäbigen Grünstreifens, der mit all dem nicht viel zu tun hat.

Ein paar Platanen aus der Gründerzeit zwischen hässlichen Hochhäusern aus den 70er80er Jahren. Ich bin in Berlins Mitte, nein nicht in Berlin Mitte. Hier, wo ich stehe, in Kreuzberg, ist der geografische Mittelpunkt der Stadt Berlin. Eine kleine Tafel, die man suchen muss, weist darauf hin und zeigt die Koordinaten.

Stimmt das noch? Die historische Mitte der Stadt liegt unweit des Schlosses an der Spree, die politische Mitte heute um den Bundestag am Rande des Tiergartens. Zur Zeit der Mauer war dort Niemandsland und es gab in der geteilten Stadt zwei Mittelpunkte - heute City Ost und City West. 

Die Mitte ist kein fester konstanter Fixpunkt, sondern bestimmt sich von den Außengrenzen her. Veränderungen an den Rändern verändern auch das, was wir als Mitte bezeichnen. Wie erleben das gerade massiv in unserer Gesellschaft: Was ist rechts und was Links? Wer ist oben und was machen die vielen unten? Geht das immer mehr auseinander. Können wir zwischen den unterschiedlichen Ideen und Standpunkten noch vermitteln - also eine Mitte finden. 

Die Mitte ist kein historischer Ort, keine Touristenattraktion, kein Denkmal. Sie ist der lebendige Ort, an dem wir uns finden und an dem wir zusammenfinden können. Aufeinander zugehen aus den vielen unterschiedlichen Richtungen, aus denen wir kommen. Platz schaffen für ein Miteinander trotz aller Unterschiedlichkeit.

Ich setze mich auf die einzige Parkbank weit und breit, die Sonne kommt gerade hinter den Wolken hervor und neben mich setzt sich ein Schulkind, das scheinbar darauf wartet, abgeholt zu werden: „Ist hier noch frei?“, fragt das Mädchen und ich denke, vielleicht ist das die Antwort - für heute - und sage von Herzen: „Ja.“

In dieser Zeit kamen die Jünger zu Jesus und fragten ihn: »Wer ist wohl der Wichtigste in Gottes Reich?« Da rief Jesus ein Kind herbei und stellte es in ihre Mitte.