Es ist Sommer. Wer kann, sucht in Berlin Erholung im Schrebergarten. In dem eigenen Stückchen Natur inmitten von Betonwüsten. Schrebergärten. Sehr viele Jahre waren sie der Inbegriff von Spießigkeit. Mittlerweile sind sie im Trend.
Ich muss oft die Ringbahnbrücke am Messegelände passieren. Dabei ist mir die Kleingartenanlage unter der Brücke aufgefallen. Sie hat nur wenige Parzellen.
Ich habe mich immer gefragt, wie es möglich ist, an so einem Ort ein Gefühl von Natur zu empfinden. Wie es ist, auf einem Gartenstuhl zu sitzen und Kaffee zu trinken, während man auf Betonpfeiler schaut und über einem der Strom an Autos mit all den Geräuschen und Gerüchen nicht abreißt.
Wer sind die Menschen, die diese Fleckchen Erde pflegen?
Wie schaffen sie es, auszublenden, was das Naturerlebnis stört?
Ich bin mir sicher, dass sie alle sagen würden: Das ist mein Ort in Berlin.
Besser: war. Sie mussten jetzt alle diesen Ort verlassen.
Bis zum Ende der Abrissarbeiten der Ringbahnbrücke dürfen sie ihn nicht mehr nutzen.
Ihre grüne Oase befindet sich in der Sperrzone, die 50 Meter rund um die Baustelle gezogen wurde.
Was machen Blumen, Obstbäume und Gemüsebeete jetzt ohne die pflegende Hand der „Laubenpieper“?
Und wie geht es den Menschen selbst, frage ich mich, wo das Werkeln im eigenen Schrebergarten laut Studien so gut für das Wohlbefinden ist und vor allem gesund hält.
Sie gehen mir nicht mehr aus dem Sinn, die verlassenen Parzellen, und ich stelle Nachforschungen an:
Ich erfahre, dass die Kleingartenanlage an der maroden Ringbahnbrücke „Bahn-Landwirtschaft“ heißt. Was für ein treffender und zugleich widersprüchlicher Name, denke ich.
Die Liebe zu diesem Stück Natur inmitten unserer Stadt war offensichtlich größer als die Angst vor einer zunehmend bröckelnden Brücke.
Ich wünsche allen „Laubenpiepern“, die jetzt weichen mussten, Kraft, mit dem vorübergehenden Verlust ihres Ortes in Berlin umzugehen.
Und den Verantwortlichen für die Sanierung der Brücke wünsche ich Besonnenheit in ihrem Tun. Und hin und wieder einen Gedanken an die Menschen, die hier ihren Ort aufgeben mussten und hoffentlich in nicht allzu ferner Zeit zurückkehren dürfen.
„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“
Die Bibel – 2. Timotheusbrief Kapitel 1