Heute ist Christi Himmelfahrt. Da verschwindet Jesus in den Wolken, und seine Jünger bleiben zurück. Wo ist er hin? Sie wissen noch, wie er hingerichtet wurde. Sie haben versucht zu begreifen, dass sein Grab am dritten Tag leer war. Und dann kommt er plötzlich wieder. Er isst mit ihnen, redet, hört ihnen zu. Und jetzt ist er wieder weg.
Vielleicht ist der christliche Glaube genau das: die Bewältigung vom Verschwinden.
Und Himmelfahrt heute das Fest der Auflösung von örtlichen und zeitlichen Strukturen.
Seit 10 Jahren erinnert mich ein Ort in Berlin auch an etwas, das verschwunden ist: das Moses-Mendelssohn-Denkmal an der Kreuzung Karl-Liebknechtstraße / Spandauer Straße mitten in Berlin. Der Bildhauer Micha Ullman hat es geschaffen. Das Denkmal ist so unauffällig, weil es dem Erdboden gleichgemacht ist. So wie das Haus, an das es erinnert. Im 18. Jahrhundert war es hier vier Stockwerke hoch erbaut worden.
Der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn, weltberühmt für seinen Glauben an die Vernunft, an Bildung, Aufklärung und Toleranz hat hier mit seiner Frau und sechs Kindern gewohnt.
Das Haus war mal so etwas wie die Wiege des interkulturellen und interreligiösen Dialogs in Berlin.
Im Zweiten Weltkrieg wurde es zerstört und später abgerissen. Und nun erinnern die Elemente der Fassade hier am Boden an das Wohnhaus von Moses Mendelssohn und an ihn selbst. Zwölf Fenster, eine Tür und eine Gedenktafel - Eins zu Eins am Ursprungsort auf dem Asphalt. Ein Schattenbild. Bei Regen reflektieren die zwölf dunklen Steinfenster das Licht und die Umgebung. Die Menschen, die Wolken, die Häuser, den Turm der Marienkirche und den Fernsehturm. Der höchste Punkt Berlins wird hier zum tiefsten Punkt.
„In diesem Haus lebte und wirkte Unsterbliches“ steht auf der Gedenktafel über der Tür.
Und ich hoffe jedes Mal, wenn ich davorstehe, dass er tatsächlich unsterblich sein möge; der Geist Mendelssohns, der für Toleranz und Aufklärung stand.
Der Ort erzeugt Hoffnung. Weil Mächtiges plötzlich ganz klein erscheint. Die Umkehrung der Dinge ist möglich. Es soll im Himmel wie auf Erden sein und auf Erden wie im Himmel.
Einen gesegneten Himmelfahrtstag Ihnen allen!
„Ich will Frieden geben in eurem Lande, dass ihr schlaft und niemand aufschrecke.“
3. Buch Mose Kapitel 26