Jeden Morgen fahre ich mit dem Fahrrad über die Schillingbrücke am Ostbahnhof. Ich rolle auf sie zu, verlangsame das Tempo und spüre Vorfreude in mir aufsteigen. Oben angekommen genieße ich den weiten Blick über die Spree. Ich schaue nach rechts bis zum Fernsehturm und roten Rathaus in der Ferne. Ich schaue nach links und sehe die Oberbaumbrücke mit ihrer schönen Ziegelstein-Balustrade und den Türmen. Auf beiden Seiten die Spree, auf der morgens manchmal die Sonne glitzert. Das ist der Moment, in dem ich mich immer wieder neu in diese Stadt verliebe.
Auf der Brücke bleiben die Menschen oft einen Moment stehen – so wie ich, sie lehnen sich ans Geländer und lassen den Blick schweifen. Einmal tief durchatmen. Die Weite genießen. Hier oben ist es so friedlich. Auf dieser Brücke fühle ich mich dem Himmel ein Stück näher – so schwebend über dem Wasser
Die Schillingbrücke verbindet nicht nur die Stadtteile Friedrichshain, Mitte und Kreuzberg miteinander. Sie verbindet auch die Geschichten und Schicksale der Menschen, die hier einmal gelebt haben mit denen, die heute die Brücke passieren wie ich.
Nach dem Mauerbau 1961 wurde die Schillingbrücke für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Statt Friede kalter Krieg und statt Freiheit Stacheldraht. Mit einer breiten Sperrzone und patrouillierenden Wachen auf der Brücke sollten Fluchtversuche verhindert werden. Die meisten, die dennoch versuchten, auf der anderen Seite die Freiheit zu erreichen, starben bei ihrem Fluchtversuch. Erst 1990 wurde die Brücke wieder geöffnet und in Stand gesetzt.
Heute ist sie wieder ein Ort der Verbindung und Begegnung. Ein Ort, an dem Freiheit und all die vielen Möglichkeiten, die Menschen sich von dieser Stadt erhoffen, spürbar sind. An einer Stelle in der Bibel wird Jesus „Pontifex“ genannt. Das bedeutet wörtlich „Brückenbauer“. Einer, der Himmel und Erde verbinden kann. Und einer, der Frieden stiftet zwischen uns Menschen. Wenn das Licht besonders warm ist, bleibe ich manchmal auf der Brücke stehen, ich schiebe mein Rad auf den Bürgersteig, genieße den besonderen Blick auf Berlin und lasse einfach los!
„Denn deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.“
Die Bibel, Psalm 57:11