Novembertage sind oft grau und ungemütlich. Menschen verschwinden hinter Mantelkrägen und Regenschirmen. Es ist die Zeit im Jahr, die uns innen und außen auf den Friedhof schickt. Auch heute an Allerseelen, wo an die Verstorbenen gedacht wird.
An solchen Tagen brauche ich Seelenaufheller. So hat das meine Großmutter genannt, während sie augenzwinkernd die Porzellandose mit Süßigkeiten auffüllte.
Ein Seelenaufheller ist für mich die Brotmeisterei am Bahnhof Savignyplatz.
Nicht zuerst wegen der Leckereien hier.
Sondern wegen einer echten und höchst lebendigen Berliner Seele, an die ich heute denken möchte. Ich musste mich erst an sie gewöhnen. Ein bisschen zu laut fand ich sie, etwas schrill in der Stimme vielleicht. Sie wuselt hinter dem Tresen hin und her, gibt laut Anweisungen an das Personal, während sie Bestellungen abarbeitet und sich schon dem Nächsten in der Schlange zuwendet. Irgendwann habe ich angefangen, mein „to go“ in einen Moment des Bleibens zu verwandeln. Weil in ihrem Handeln etwas lag, das mich neugierig machte. Ich begann zu fühlen, was sie bewirkt. Sie führt mich zurück in ein Berlin mit Herz und Schnauze und irgendwie auch Stolz auf diese Stadt, die sich immer schon verweigerte, wie andere zu sein.
Wie auch immer ihr die Menschen begegnen, sie bleibt keck, fröhlich, offenbar unverwüstlich. Ich spüre, dass Menschen ihretwegen kommen. Sie stellt passende Fragen, tauscht Witze und Nachrichten aus. Und ein bisschen erinnert sie mich auch an das Berlin, das hinter der frechen Zunge, ein liebevoll offenes Herz hat.
Es gibt eben viele höchst lebendige Seelenaufheller in unserer Stadt. Oft muss man zweimal hinsehen und -hören, bevor man sie erkennt. Dieser Wunsch ist es, der mich auch so oft in meiner Arbeit mit Polizistinnen und Polizisten begleitet: „Wenn doch auch mehr Menschen einen zweiten Blick auf sie hätten“, denke ich dann.
Auf ihre Arbeit, die nicht nur an Novembertagen häufig mit Dunkelheit zu tun hat.
Für sie wäre so ein Seelenaufheller, der im Vorbeigehen einfach mal „Danke“ sagt oder lächelt so heilsam wie ein Heißgetränk oder eben die Seele mit dem großen Herz in der Bäckerei am Savignyplatz.
Gott spricht: Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken.
Die Bibel, Buch Hesekiel