Manchmal begegnen mir Menschen, die wirken, als wären sie aus der Zeit gefallen. Sie verweigern sich dem sogenannten Mainstream, folgen ihren ganz eigenen Gesetzen.
Ebenso gibt es Gebäude, die aus der Zeit gefallen scheinen.
Eines ist in Berlin Mitte zu finden und fällt schon ins Auge, wenn man vom Bode-Museum in Richtung Oranienburger Straße läuft. Ein roter, recht schmuckloser Backsteinbau, eingerahmt von seinen benachbarten Häusern. Als hätte hier jemand Tetris gespielt und dieses Haus mit großer Präzision eingefügt.
Der große Berliner Dichter Kurt Tucholsky hat einmal gesagt:
„Nichts ist schöner und nichts erfordert mehr Charakter als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ Und fast scheint es, als ob er damit dieses Haus gemeint und selber darum gebeten hätte, seinetwegen der Namensgeber der Straße sein zu dürfen.
Häuser wie dieses ordnen uns die Welt. Weil der Blick daran hängen bleibt. Dieses Haus ist ein Statement. Es folgt einer Eigenlogik, gibt der Straße, der Stadt ihr eigenes Gesicht, ihre eigene Identität. Wenn ich davorstehe, fühle ich mich auch getröstet.
Denn in seinem Miteinander von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kann ich mich auch unterbringen mit meinem Leben, das ein Gestern und Heute und hoffentlich auch ein Morgen hat.
Das rote Backsteinhaus in der Tucholskystraße ist in einem guten Sinn ein Gegenort.
Es verweigert sich fortschreitender Ökonomisierung und ist in seiner Nutzlosigkeit um so wertvoller und bereichernder.
Solche Gegenorte sind in der Regel gefährdete Orte. Vor allem in Großstädten. Sie werden schnell als unnütz angesehen, als zweitrangig. Ich weiß das auch von diesem Haus. Es heißt Johanneum und wurde vor fast 160 Jahren gestiftet, um Studierenden bezahlbaren Wohnraum in der Nähe der Universität bieten zu können. Es ist ein Raum für junge Menschen und das seit 1869, als die Stiftung Johanneum für ein gemeinnütziges Studierendenwohnheim gegründet wurde.
Ein solches „Filetstück“ mitten in der teuren Berliner Mitte, das nach eigenen Gesetzen handelt. Wie kann das sein!
Wie gut, dass es schon in seinem äußeren Erscheinungsbild Statement ist.
Ich bin anders, scheint es zu sagen, und das ist auch gut so.
Die Stiftung selbst beschreibt diesen Ort als einen Raum für Austausch, an dem demokratische Werte gelebt und eingeübt werden.
Wie schön ist es, wenn außen und innen deckungsgleich sind, denke ich jedes Mal.
Und erbitte im Stillen, dass dieses Haus nicht eines Tages unter die Räder unserer harten kommerzialisierten Wirklichkeit kommt.
Oder mit den Worten von Kurt Tucholsky: „Entwirf deinen Reiseplan im Großen - und lass‘ im Einzelnen dich von der bunten Stunde treiben. Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie dir an!“
Und manchmal kann die Welt sich auch in einem Haus aus roten Backsteinen zeigen.