Von Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit
Sprecherin: Viktoria Hellwig
Autorin:
Ich bin in der Liliencronstrasse zuhause, im Schriftstellerviertel im Südwesten von Berlin - Liliencronstrasse mit c. - wie der Dichter, über den ich bis dahin wenig wußte.
Detlev von Liliencron war ein erfolgreicher Poet zu seiner Zeit. Ein erster Gedichtband erschien 1883: die Sprache leicht und sorglos. So muss er selber wohl gewesen sein: ein bisschen zu sorglos und unbekümmert. Einer, der im Hier und Jetzt lebt. Mit Geld konnte er nicht umgehen, war ständig pleite, bis seine Frau es nicht mehr aushielt und ihn verließ. Ein chaotischer Dichter, mir irgendwie sympathisch. Ich fing an, seine Gedichte zu lesen. Dieses trägt den Titel: Dorfkirche im Sommer und endet so:
Amen. Segen. Türen weit – Orgelton und letzter Psalter. Durch die Sommerherrlichkeit schwirren Schwalben, flattern Falter…
Musik 1 Hania Rani Esja
Autorin auf Musik:
Amen. Segen. Türen weit – vier Worte nur: Sie beschreiben gut, wie ich mir meine Kirche heute wünsche: als einen Ort, wo ich Kraft schöpfen kann – und dann raus ins Leben
Musik s.o. frei stehend
Autorin:
Pfingsten kommt im wahrsten Sinne des Wortes Leben in die Bude. Auch in die Kirche mitten in meinem Kiez. Es wird Konfirmation gefeiert. Die Glocken läutet unentwegt. Aus allen Richtungen strömen festlich gekleidete Menschen herbei, Alte, Junge, Kinder, Eltern, Großeltern, Fotografen. Und schließlich die Hauptpersonen: zwanzig Jugendliche – Jungen und Mädchen, die heute öffentlich Ja zum christlichen Glauben und Ja zu ihrer Kirche sagen. In einer Zeit, in der viele dieser Kirche den Rücken kehren. Die Orgel klingt bis nach draußen, neue Lieder mischen sich mit alten. Zuversicht und Aufbruch liegen in der Luft. Ach, denke ich alle Jahre wieder zu Pfingsten, wo Kirche ihren Geburtstag feiert – ach, ist das schön! Wenn doch alle Tage Pfingsten wäre: So viele unterschiedliche Menschen fröhlich und friedlich beieinander. Türen, die offen stehen. Menschen feiern ihre Gemeinschaft. Glaube verbindet. Gottes Geist sorgt für Verständigung.
Sprecherin:
Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
(Apostelgeschichte 2, 1-4. Die Bibel in der Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart 2006)
Musik 2 John Rutter Mass oft he Children Kyrie
Autorin:
Immer mehr Menschen in Deutschland fühlen sich gesellschaftlich entwurzelt. Zu diesem Ergebnis eine aktuelle Studie des Rheingoldinstituts Köln, die vor wenigen Tagen, am 26. Mai der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Sie konstatiert einen zunehmenden Rückzug ins Private. Der Vertrauensverlust in Politik und Medien nimmt zu, genau wie die Tendenz zur Abschottung. Das gesellschaftliche Klima wird aggressiver. Alles keine guten Nachrichten. Doch parallel dazu wächst die Sehnsucht nach echter Gemeinschaft. Sie ist der Schlüssel für mehr Vertrauen und Zuversicht.
In der biblischen Tradition sorgt Gottes Geist für diese Gemeinschaft. Pfingsten feiert diesen Geist, der 50 Tage nach Ostern die Jüngerinnen und Jünger Jesu ergreift und ihnen nach Christi Himmelfahrt neuen Lebensmut schenkt. Dieser Geist überwindet Grenzen, er öffnet Türen, geht durch Wände, schafft Verbindung. Die hebräische Bibel nennt diese Energie Ruach – göttliche Geistkraft. Sie ist die himmlische Antwort auf menschliche Sehnsucht nach Klarheit in der Vielfalt, nach Verständigung unter den Völkern, nach Eintracht unter uns Menschen. Davon handelt auch dieser hebräische Psalm. Wir hören den 133. Psalm in der Übersetzung Martin Luthers und danach in der Sprache der Musik. In einer zweisprachigen Vertonung aus dem Genfer Psalter – auf Französisch und Deutsch. Es singt das Vocalconsort Berlin unter der Leitung von Klaus-Martin Bresgott:
Musik 3 Vocalconsort Berlin, Calvin - Genfer Psalter. Psalm 133
Sprecherin:
Siehe, wie fein und lieblich ist`s,
wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!
Es ist wie das feine Salböl auf dem Haupte Aarons, das herabfließt in seinen Bart, das herabfließt zum Saum seines Kleides,
wie der Tau, der vom Hermon herabfällt auf die Berge Zions!
Denn dort verheißt der HERR den Segen und Leben bis in Ewigkeit.
(Psalm 133. Die Bibel in der Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart 2006)
Autorin:
Gottes Geist ist ein Geist der Verständigung. Und ein Geist, der ungeahnte Kräfte verleiht: Glück, Erfolg, Mut, Macht und Charisma. Man kann ihn nicht einfordern. Man kann ihn nicht besitzen, diesen Geist. Man kann ihn nicht für sich beanspruchen. Der Geist Gottes kommt, wann er will und zu wem er will. Gott – so erzählt es das Alte Testament - sucht sich seine Geistträger unter den Menschen aus. Er erwählt. Und zwar nicht direkt. Es bedarf dafür eines Propheten. Wie ein Medium wirkt dieser und stellt damit sicher, dass keiner zu Unrecht für sich in Anspruch nimmt, von Gott erwählt zu sein. Bis heute maßen Herrschende sich dieses an. Die biblische Botschaft lautet anders: Man hat diesen Geist nicht einfach, man bekommt ihn. Menschen aus dem Volk erwählt sich Gott und macht sie groß, um zu verbinden, die Gesellschaft zu einen, sein Volk zu verbinden – so wie König Saul, den ersten König über Israel, von dem es im ersten Buch Samuel heißt:
Sprecherin:
Es war ein Mann von Benjamin mit Namen Kisch… der hatte einen Sohn mit Namen Saul; der war ein junger, schöner Mann und es war niemand unter den Israeliten so schön wie er, eines Hauptes länger als alles Volk.
( 1.Samuel 9, 1f. Die Bibel in der Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart 2006)
Autorin:
Saul ist ein schöner Mann. Ein starker Mann. Doch erst Gottes Geist macht ihn zum König. Mit diesem Geist steht und fällt alles. Israels Königtum steckt noch in den Kinderschuhen, doch die Inthronisierung Sauls liest sich bereits wie ein gewaltiges royales Ereignis. Der Prophet Samuel erhält den Auftrag, Saul zu salben. Dem künftigen Herrscher kündigt er an, was bei dieser Zeremonie geschehen wird. Es klingt wie eine Art Hofprotokoll:
Sprecherin:
Wenn du in die Stadt kommst, wird dir eine Schar von Propheten begegnen, die von der Höhe herabkommen, und vor ihnen Harfe und Pauke und Flöte und Zither und sie werden in Verzückung sein. Und der Geist des HERRN wird über dich kommen, dass du mit ihnen in Verzückung gerätst; da wirst du umgewandelt und ein anderer Mensch werden. Wenn bei dir nun diese Zeichen eintreffen, so tu, was dir vor die Hände kommt; denn Gott ist mit dir.
(1.Samuel 10, 5-7. Die Bibel in der Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart 2006)
Musik 4 Great Hymns of Westminster Abbey Track 2 Praise, my soul, the king of heaven
Autorin:
Gott segnet den König. Doch nur solange dieser König Gott nahe ist in allem, was er tut. Legte man diesen alttestamentlichen Maßstab an die Herrschenden unserer Tage, wie schlecht wäre es um viele von ihnen bestellt. Der Gott Israels kümmert sich nicht um menschliche Herrschafts- und Besitzansprüche: Wer gottlos regiert, verliert: die Krone, das Reich und – wie im Falle König Sauls – sogar das eigene Leben. Da verließ ihn der Geist Gottes, heißt es kurz und knapp im alttestamentlichen Buch Samuel. Dieser Geist bedeutet Leben. Sein Fehlen das Schwinden der Lebenskraft und letztlich den Tod. Gottes Kraft geht auf David über. Mit ihr weichen Schönheit, Freundlichkeit und Größe dieses ersten Königs über Israel. Saul wird misstrauisch und eifersüchtig. Er versinkt in Depressionen. Der Geschichte seines Aufstiegs folgt die Erzählung von seinem Niedergang: Ein Mensch zerfällt.
Um ein Haar wäre das auch den Jüngern Jesu geschehen. Aus heutiger Sicht könnte man sagen, dass sie binnen kurzer Zeit gleich zwei Traumata bearbeiten mussten: Tod und Kreuzigung Jesu und Christi Himmelfahrt. Gleich zwei Abschiede von ihrem Anführer und Gefährten. Auf sich allein gestellt drohen sie unterzugehen. Statt den Glauben mutig in die Welt zu tragen, ziehen sie sich zurück: planlos, ziellos und ängstlich.
„Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein,“ verheißt der Auferstandene seinen Jüngern darum zum Abschied. Pfingsten ist es dann soweit.
Musik 5 Great Hymns of Westminster Abbey Track 20: Praise, my soul, the king of heaven
Autorin:
Zu Pfingsten bleibt es nicht länger still um die Botschaft Jesu. Der christliche Glaube macht von sich reden: weltweit - in allen Sprachen dieser Erde. Mit Paulus, dem Völkerapostel, reist das Evangelium auf einen weiteren Kontinent: nach Europa. Gemeinden entstehen quer über den Globus. Die Botschaft des Auferstandenen macht Menschen mutig und stark wie einst König Saul, froh und anmutig wie Gottes Ruach – die himmlische Geistkraft – bereit zur Verständigung selbst im größten Chaos dieser Tage. Man kann diesen Geist nicht sehen, man muss ihn spüren und erleben. Er ergreift einen. Wenn das passiert, dann entfaltet er ungeahnte Kräfte – wie in diesem Glaubensbekenntnis zum Heiligen Geist des katholischen Theologen Karl Rahner. Es sind Kräfte und Tugenden, die wir heute vielleicht mehr denn je brauchen, um wieder mehr zueinander zu finden:
Sprecherin auf Musik 6: Olafur Arnalds Saman
Ich glaube an den Heiligen Geist.
Ich glaube,
dass er meine Vorurteile abbauen kann.
Ich glaube,
dass er meine Gewohnheiten ändern kann.
Ich glaube,
dass er meine Gleichgültigkeit ändern kann.
Ich glaube,
dass er mir Fantasie zur Liebe geben kann.
Ich glaube,
dass er mir Warnung vor dem Bösen geben kann.
Ich glaube,
dass er mir Mut für das Gute geben kann.
Ich glaube,
dass er meine Traurigkeit besiegen kann.
Ich glaube,
dass er mir Liebe zu Gottes Wort geben kann.
Ich glaube,
dass er mir Minderwertigkeitsgefühle nehmen kann.
Ich glaube,
dass er mir Kraft in meinem Leiden geben kann.
Ich glaube,
dass er mir Mitmenschen an die Seite geben kann.
Ich glaube,
dass er mein Wesen durchdringen kann.1
Autorin:
Pfingsten ist ein fröhliches Fest. Es geht um Mut. Es geht um Zuversicht. Es geht um Gemeinschaft – auch unter Menschen, die einander fremd geworden sind. Nicht umsonst geriet König Saul in Verzückung, als dieser göttliche Geist damals über ihn kam und ihn zum König über Israel machte. Nicht umsonst dachten die Menschen damals beim Pfingstwunder, die Jünger Jesu wären „voll des süßen Weines.“ Locker und entspannt, erlöst, befreit.
Musik 7 Coral:gut! Die schönsten Lieder des Gesangbuchs Track 13 „Komm, Herr, segne uns“
Autorin:
Pfingsten ist nicht nur der Geburtstag der Kirche. Es ist ein starkes Zeichen für Gemeinschaft. Die Verbundenheitsstudie des Rheingoldinstituts kommt am Ende zu dem Schluss, dass die Sehnsucht nach echter Gemeinschaft Orte braucht: Familie, Freunde, emotionale Verbindungen und Engagement in Vereinen, Nachbarschaft und Ehrenamt. Kirche ist so ein Raum – mit offenen Türen, nicht nur für die Gläubigen. Es ist gut, dass es sie gibt, dass Kirche mitten im Dorf ist und bleibt – oder eben direkt auf dem Platz vor meiner Wohnungstür. Wenn die Glocken heute überall läuten, dann rufen Sie nicht nur Gläubige zum Gottesdienst, sondern sie rufen zuallererst uns in die Gemeinschaft, zu der wir als Menschen und Gottes Geschöpfe gerufen sind.
Pfingsten feiern Christen die Ausgießung des Heiligen Geistes, der Menschen verbindet. Geburtstag der Kirche. Ich glaube an diesen Geist, der uns zusammenführen kann. Und grüße Sie herzlich mit einem Geburtstagslied für meine Kirche:
Auf Musik 8 Ólafur Arnalds Respite
(Pfingstpsalm)
Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen,
die schon solang sind auf dieser Erde und so weit:
Du bist überall und so verschieden
Dir will ich singen und mache keinen Unterschied
zwischen evangelisch oder katholisch, freikirchlich oder orthodox
Ich denke an Dich als die EINE Kirche,
die damals in Jerusalem ihren Anfang nahm
Du warst Dir Deiner jüdischen Wurzeln bewusst und achtetest sie
Du warst klein und bescheiden und offen für andere
Du warst Gast in den Häusern, hattest nur wenig
aber Du warst glücklich und voller Sehnsucht
Du hattest die Worte Jesu im Ohr
als wäre er gestern noch dagewesen
Ich denke an deine Anfänge und an die Spuren,
die sich in so vielen Kirchengebäuden finden lassen.
Orte der Stille und des Staunens, der Größe und Erhabenheit,
Orte der Schlichtheit und der Geborgenheit
Du bewahrst mein Leben von der Taufe bis zur Bahre
nimmst Last von meinen Schultern.
verortest mich im hier und jetzt und zeigst mir
dass immer schon Menschen vor mir waren,
die hier geglaubt und geliebt, geweint und gehofft und gebetet haben.
Bei dir erfahre ich, dass ich nicht der Maßstab bin
und meine Welt nicht das Maß aller Dinge ist
Du bist nicht perfekt, doch du hältst die Erinnerung wach
an diesen Jesus von Nazareth, der die Welt anders gedacht hat
mit mehr Liebe und Großzügigkeit
Du bist der Ort, an dem Leben begrüßt und gefeiert wird
wo Menschen nicht ohne Hoffnung bleiben
Ich bin froh, dass du da bist, und wünsche Dir:
Bleibe nicht wie du bist
Bewahre, was Du hast von ihm
und verschenke seinen Segen weiter
an alle, die ihn brauchen - auch an mich