Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,
die Woche war bestimmt vom Jahrestag des Massakers an den Menschen in Israel und dem Gedenken an dessen Opfer und Geiseln – auch hier in unserer Stadt. Erinnerung braucht Zeugen, die vom Unfassbaren erzählen. Nicht nur an den Jahrestagen, gerade auch jetzt, nach dem großen Gedenken.
Einer, der in diesen Tagen hier in Berlin von dem Schicksal der Geiseln berichtet hat, ist der Israeli Alon Gat. Er kommt aus dem Kibbuz Beeri am Rande von Gaza, seine Mutter ist am Tag des Angriffs von den Hamas-Terroristen vor seinen Augen erschossen worden, seine Schwester und seine Frau wurden als Geiseln genommen. Letztere ist im November unter denen gewesen, die im Austausch freigekommen sind, seine Schwester ist vor einigen Wochen von den Terroristen brutal hingerichtet worden.
Ihr Bruder hat jetzt dabei mitgewirkt, dass auf dem Bebelplatz neben der Staatsoper und vor der Hedwigskathedrale ein „Platz der Hamas-Geiseln“ eingerichtet worden ist: Ein stilisierter Raum, der einem der Wohnräume in den überfallenen Kibbuzim nachgebildet ist, dazu Bilder von den Verschleppten, all das gehört zu dieser Kunstinstallation, mit der das Erinnern wach gehalten wird – das alles ganz nahe dem Mahnmal, das an die Bücherverbrennung der Nazis erinnert.
Erinnern ist das zentrale Moment jüdischer und christlicher Kultur. Nicht als Bewegung eines Verschwindens in die Vergangenheit, sondern als Momentum der Vergegenwärtigung, als präsent Machen dessen, was jetzt ist. Das ist in diesem Fall ein Erinnern voller Schmerz und ein Spüren von Unerträglichem. Ohne das geht es nicht. Erinnern ist in der jüdischen und christlichen Tradition aber zugleich auch der Anfang des Hoffens. Eben weil das Leid nicht vergessen wird, bleibt auch in Erinnerung, dass Gott versprochen hat, sich wieder zu zeigen. Wieder und wieder ist Gottes Nähe in der Glaubensgeschichte verheißen – gerade in der tiefsten Verzweiflung. So ein Satz kann angesichts des Schreckens schnell als billiger Trost erscheinen. Das ist er aber ganz und gar nicht. Dieser Gott ist gerade in unauflöslichem Schmerz dabei, das ist seine Zusage. Er kennt sogar das Totenreich, in seinem Gedächtnis bleibt darum immer auch das Leben und der Weg dorthin.
Was das bedeutet, hat Alon Gat, der Überlebende des Massakers, bei der Gedenkveranstaltung hier in Berlin in klare, zutiefst berührende Worte gefasst. Er hat gesagt: I am lost. Ich bin verloren. Und: I have hope. Ich habe Hoffnung. Beides gehört in Gottes Namen zusammen. Erinnern hält die Hoffnung wach. Ohne sie gibt es kein Leben. Und ohne Gemeinschaft keinen Trost. Vielleicht können Sie einmal am Platz vor der Staatsoper vorbei schauen? Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.