23.11
2024
08:50
Uhr

Seelsorge für die Gesellschaft

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer, 

der morgige Sonntag, Toten- oder Ewigkeitssonntag widmet sich dem Erinnern an die nahen und nächsten Verstorbenen, macht ihre Namen laut. Die Mutter, die ihrem Schlaganfall erlegen ist. Der Freund, den der Krebs weggenommen hat. Die Schwester, die ein Virus erst lange geschwächt und dann nicht mehr losgelassen hat. Der junge Kollege, dessen Infarkt überraschend kam. Aber auch: die Großmutter, die lebenssatt war. Und auch: der Bruder, der morgens aus dem Haus ging und nach dem Unfall nicht wieder kam. Es macht uns Menschen aus, dass wir unsere Toten begraben, ihrer gedenken, sie vermissen, um sie trauern. Das ist wohl der Ausgangspunkt aller Kultur und auch der Religion: Das Gedenken an die Toten, die Hoffnung, dass sie aufgehoben sind, dass sie in Gottes Armen sind, in Liebe, in Wärme, im Licht. 

Der Totensonntag ist allerdings – das wäre sonst ein Missverständnis – kein unpolitischer, kein rein innerlicher Tag. In jedem individuellen Tod spiegelt sich auch diese Gesellschaft, erkennen wir uns selbst. Der Mobilitätswahn, der seinen Tribut fordert.  Unser Lebenswandel, unsere Ernährung, Zucker im Übermaß, was uns nicht selten krank machen kann. Unsere Rastlosigkeit bis zum Umfallen. Individuelles Sterben und kollektives Leben gehen Hand und in Hand – das zu sagen, soll nicht den Einzelnen belasten, sondern im Gegenteil, entlasten. Denn: Du bist eben gerade nicht schuld an deiner Krankheit. Wer das sagt, macht andere erst recht krank. Aber: es gibt eine kollektive Relation, eine Verbindung von Leben und Sterben in jeder Gesellschaft. Wir tragen alle miteinander Verantwortung für die Art, wie wir leben. Wie wir sterben. Und wie wir trauern. 

Der Ewigkeitssonntag ist in unseren Kirchen mit seinem Verlesen der Namen der Verstorbenen darum auch ein Tag der öffentlichen Seelsorge. Der Tag, an dem wir uns um die Seele der Einzelnen, der Angehörigen, sorgen. Und um die Seele unserer Gesellschaft. Um unsere Fähigkeit zu trauern, etwas zutiefst Menschliches. Seelsorge ist der Kernauftrag der Kirche. Sie ist individuelle Fürsorge. Und elementare gesellschaftliche Sorge. 

Wo wohnt die Seele – die Frage klingt naiv, aber ist als Bild vielleicht hilfreich. Heinrich von Kleist hat mal gesagt, die Seele kann verrutschen im Körper, etwa in die Wirbel oder gar in den Ellbogen. Dann haben wir eine Ellbogengesellschaft. Gut biblisch würde ich mit Blick auf morgen sagen: Die Seele wohnt auch in unseren Tränen, den Momenten, in denen das Leben im Loslassen wieder in Fluss gerät, wieder anfängt. Im 126. Psalm, der zum Ewigkeitssonntag gehört, heißt es wohl auch deshalb: Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Das ist unsere gemeinsame Hoffnung, für jeden Einzelnen und für unsere Gesellschaft. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!