Eine weiße Kirche mit einem hohen, spitzen Turm steht im Vordergrund. Die Sonne scheint hell im Hintergrund, und der Himmel ist klar mit einigen Wolken. Um die Kirche sind einige Bäume sichtbar, und es gibt Parkplätze in der Nähe.
22.06
2025
10:00
Uhr

1. Sonntag nach Trinitatis aus Lübbenau

Ein Beitrag von Ulrike Garve

Mitwirkende:
Liturgin und Predigt: Pfarrerin Ulrike Garve 
Musik: Orgel Oliver Lüsch

 

Predigt

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer,
Wie lebe ich gut? So, dass ich am Ende nicht dastehe und sage: Hätte ich doch? Warum habe ich nicht…? Das sind existentielle Fragen. Sie kommen nicht nur am Ende des Lebens. Sie kommen in Krisen. Sie kommen mit den Jahren. Sie treffen auch die, von denen man es so gar nicht vermutet, weil sie stark erscheinen.
Auch Menschen, die ganz stark und fest m Glauben verwurzelt sind, bleiben nicht verschont. Martin Luther zum Beispiel: Ihn haben diese Fragen oft und lange gequält. 
So könnte das ausgesehen haben:  
Er richtet sich auf. Ganz gebeugt und in sich zusammengesunken hat er dagesessen. Die Augen fest auf die Buchseite vor sich geheftet. „ Iustitia Die in ei revelatur ex fide in fidem…“ Immer wieder hat er diese Verse gelesen, er kann sie mittlerweile auswendig. Und dann, auf einmal, macht es klick im Kopf, der Schleier fällt von seinen Augen - So muss es sein! So ist es! Das ergibt es jetzt alles Sinn. Die Gerechtigkeit Gottes – vor der er sich so lange gefürchtet hatte. Die Gerechtigkeit Gottes, vor der kein Mensch bestehen kann und er doch schon gleich gar nicht. Andersherum muss es sein. Gerechtigkeit schenkt Gott seinen Menschen. Ihm!
Und deshalb, und nur deshalb kann er aus dem Glauben leben. Gott macht ihn gerecht!
Einfach so!
Seine Augen strahlen. Es kribbelt am ganzen Körper. Das muss er den anderen erzählen, schon schiebt der den Stuhl nach hinten, will hinaus aus seiner Turmstube, in der er schon den ganzen Nachmittag sitzt und grübelt und immer wieder über die Worte der Bibel im Römerbrief stolpert. Doch halt! Besser er schreibt alles auf. Dann kann er nichts vergessen, dann kann nichts verloren gehen. 
Hastig greift Martin Luther nach seinem Federkiel, beinahe hätte er das Tintenfass umgeworfen und beginnt zu schreiben.
„Da erbarmte sich Gott meiner. Tag und Nacht war ich in tiefe Gedanken versunken, bis ich endlich den Zusammenhang der Worte beachtete: »Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm (im Evangelium) offenbart, wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt aus dem Glauben.«  Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als eine solche zu verstehen, durch welche der Gerechte als durch Gottes Gnade lebt, nämlich aus dem Glauben. Ich fing an zu begreifen, dass dies der Sinn sei: durch das Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart, nämlich die passive, durch welche uns der barmherzige Gott durch den Glauben rechtfertigt, wie geschrieben steht: »Der Gerechte lebt aus dem Glauben.« Da fühlte ich mich wie ganz und gar neu geboren, und durch offene Tore trat ich in das Paradies selbst ein. Da zeigte mir die ganze Schrift ein völlig anderes Gesicht.“ (Martin Luther, Wiedergabe nach: D. Steinwede (Hrsg.), Erzählbuch zur Kirchengeschichte 2, Göttingen/ Freibug/Lahr 1987, S. 29f.)

Er ist so froh! Und so erleichtert. Er kann vor Gott bestehen, weil Gott ihm Gerechtigkeit schenkt. Allen Menschen. 
Martin Luther hat sie für sich gefunden, die Antwort, die Wahrheit, das Leben in der Bibel.
Als reformatorische Wende wird sie in die Geschichte eingehen und das christliche Glaubensleben für immer verändern.
Und doch klingt es wie ein Vorwurf, wenn es im Predigttext heißt: Jesus Christus spricht: Ihr erforscht die Heilige Schrift, weil ihr meint, durch sie das ewige Leben zu haben.“ (Joh 5, 39)

Musik


Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer, 
Martin Luther hatte sie für sich gefunden – die Antwort auf seine Fragen. Er fand sie in einem Glauben, der heilt und vollendet, im Glauben an einen gnädigen Gott. Er war sich seiner Sache gewiss. 
Und sprudelte über, teilte ab sofort aller Welt seine Erkenntnis, seine Einsicht mit, die er durch das Bibelstudium gewonnen hatte. In Flugblättern und Streitschriften, in öffentlichen Disputationen, Tischreden und Briefen – es ist so viel auf uns gekommen von Martin Luther, er wollte, ja vielleicht gar, er musste sich der Welt mitteilen.
Allein durch die Schrift, allein durch die Gnade Gottes, allein durch den Glauben, allein durch Christus werden wir heil. Sind wir ganz. Erfüllt sich mein Leben. Hat es Sinn und Ziel.  
Und dann geschah mit ihm, was vielen vor ihm und vielen nach ihm geschah:
Er war so beschwingt, so erfüllt, so überzeugt, dass er richtig liegt. Dass seine reformatorische Erkenntnis die einzige richtige ist, die einzige, richtige und heilbringende Wahrheit, dass er gar nicht mehr mit der Möglichkeit rechnete, das andere Menschen das anders sehen. 
Für ihn war der Fall klar.
Und er konnte weder nachvollziehen, noch verstehen, wie das andere nicht so verstehen und sehen können wie er.

Und er wird darüber verbittert. Frustriert. Versteht die Welt nicht mehr. Wird mit den Jahren  wütend und aggressiv und vor allem enttäuscht.   Die Freude und Zuversicht kehrt sich in Hass und Bitterkeit: Dem Papst, den Juden, den Türken – allen wünschte er vor 500 Jahren die Pest an den Hals und den Untergang, wenn ihnen nicht bald die Augen aufgingen und sie verstehen würden, was er versteht.

Und ich finde diese Enttäuschung, diesen Frust und diese Wut heute wieder.
In vielen Menschen heute. 
Die verbittern und sich nicht anders zu helfen wissen als zu hetzen, zu polemisieren, die nicht wissen wohin mit ihrer Enttäuschung und ihrem Unverständnis darüber, dass andere anders denken, anders handeln, anders leben.

Wie die neue Generation, die unermüdlich mahnt: Tut endlich etwas, um diese Erde zu schützen, redet nicht nur. Setzt politisch um, was Wissenschaftler schon lange erwiesen haben! Warum macht ihr nichts, wie könnt ihr das zu lassen, dass Menschen den Planeten zerstören, auch ihr – die schweigende Masse und ihr, die politischen Entscheidungsträger. Die Empörung darüber geht soweit, dass manche sich  aus Protest auf die Straße kleben. Was andere wieder empört, weil auch sie finden, das geht gar nicht! Jeder ist der Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen, das richtige zu tun, Und: zu recht empört zu sein.  

Und ich finde diese Enttäuschung, diesen Frust und diese Wut sogar bei Jesus wieder.
im Johannesevangelium klingt das so aus seinem Mund:
„Doch ihr wollt nicht zu mir kommen, um das ewige Leben zu haben. Ich bin nicht darauf aus, von Menschen geehrt zu werden. Vielmehr kenne ich euch und weiß, dass ihr keine Liebe zu Gott in euch habt. Ich bin im Auftrag meines Vaters gekommen, und ihr nehmt mich nicht auf. (…) wie könnt ihr überhaupt zum Glauben kommen?... (Joh 5, 40-44)

Soviel Verbitterung, so viel Enttäuschung.
Ist das so, wenn andere nicht teilen, was mir wichtig ist und mich trägt?
Wovon ich überzeugt bin, wofür ich brenne?
Werde ich dann so, verbittert und enttäuscht und kann nur noch austeilen
Anklagend und der Meinung, dass sowieso alle gegen mich sind.

Musik


Jesus erkennt in all seiner Enttäuschung eins doch an: dass doch alle Suchende sind. Alle anderen, alle, die sich gegen ihn stellen, die nicht anerkennen, dass der Weg zu Gott nur durch ihn möglich ist, sie sind Suchende. So heißt es im Johannesevangelium:  
„Ihr erforscht die Heilige Schrift, weil ihr meint durch sie das ewige Leben zu haben.“ Und damit räumt Jesus ein: Ich sehe Eure gute Absicht, Euer Bemühen.

Diese Textpassage bleibt trotzdem befremdlich. 
Sie passt nicht zu dem Jesusbild, das uns sonst die Evangelien zeichnen, 
Es sind harte und verurteilende Worte, viel Resignation, die daraus spricht, die von Vergeblichkeit erzählt. Einer Vergeblichkeit, die ausbrennt und müde macht.

Auch bei Martin Luther war das der Fall. In manchen Punkten blieb er bis zum Ende seines Lebens unversöhnlich, blieb dann doch gefangen in sich selbst, und konnte nicht über sich selbst und seine Überzeugung hinwegsehen. Noch heute steht ein Lied von ihm im evangelischen Gesangbuch, dass diese Unversöhnlichkeit bis hin zur Feindschaft offenbart. Es heißt: „Erhalt uns Herr bei deinem Wort und steure deiner Feinde Mord“
Vielleicht braucht es solche Lieder, vielleicht muss das manchmal einfach raus. Die Enttäuschung, die Verbitterung. Auch die Wut auf sich selber und die Ohnmacht, das Gegenüber doch nicht überzeugen zu können.

Ein Herzensanliegen ist und bleibt ja etwas, das nicht verwerflich ist, sondern auch schön und wichtig. Es ist gut, dass es Dinge gibt, die uns kostbar sind, ja heilig, für die wir eintreten, weil sie uns etwas bedeuten. Und dann ist auch logisch, dass wir enttäuscht sind, wenn es andere nicht teilen.

Da stehe ich nun heute und frage nach meinen Herzensanliegen. Was ist mit meiner Enttäuschung, meinen Gefühlen, meiner Wahrnehmung? Wie schaffe ich es, dass Trauer und Wut nicht übermächtig werden, wenn andere meine Überzeugung nicht teilen? Sind meine Erwartungen berechtigt oder überzogen?. Gehört es nicht auch zum Leben, enttäuscht zu werden und zu lernen damit umzugehen? Als erster Schritt hilft reden:

Sobald ich mich mitteile, davon erzähle, was mein Fundament ist im Leben, was mir Sinn schenkt und Halt gibt – wird es immer auch andere Menschen geben, die das anders sehen, die von anderen Herzensanliegen umgetrieben werden. 
Und so stellt mich jede Begegnung, jeder Austausch auch immer infrage. 
Fordert mich heraus, bringt mich ins Nachdenken: Besteht nicht auch die Möglichkeit, dass mein Gegenüber Recht hat? Zumindest ein bisschen? Und was ist dann mit mir und meinen Überzeugungen?
Und bin ich in der Lage das aushalten, dass es Menschen gibt, die andere Meinungen, andere Überzeugungen haben?
Nähe und Begegnung ist nicht nur schön und vergewissernd. Sie schafft auch Distanz und fordert mich heraus. Stellt eine andere Sicht neben meine.

Setze Dich dem aus – das könnte die Botschaft aus der Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus sein.  Uns Auch von Jesu harschen Worten: Geh nicht dran vorbei. Ignoriere den anderen nicht. lass Dich und dein Leben durch ihn auch infrage stellen. Das macht Leben wirklich reich.    
Denn dann lebe ich ehrlich und wahrhaftig. Ohne Enttäuschung und Verbitterung, zwar mit dem Schmerz, dass ich nicht von allen verstanden werde, nicht alle mein Leben und meine Werte teilen, ich nicht alle überzeugen konnte, aber dann ist Nähe möglich. 
Zumindest Nähe im gemeinsamen Suchen nach dem guten Leben. Der erste Schritt dahin. Bleiben wir Suchende – offen und nicht hart gegenüber anderen. „Ich möchte glauben – kommst Du mir entgegen? Heißt es im folgenden Lied. Ich finde, das ist eine gute Lebenshaltung für Christinnen und Christen. Das Gegenteil von Selbstgerechtigkeit. Mit ihr kann Nähe entstehen und Nähe gelingen.  

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.