Mitwirkende:
Liturgin und Predigt: Pfarrerin Ulrike Garve
Musik: Orgel – Charlotte Kress
Gesang: Florian Schöning
Lektorin: Johanna Stabenow
Predigt:
Liebe Radiogemeinde, da baumelt eine rote Schnur am Fenster. Weht im Wind. Schlägt im Takt gegen die Stadtmauer. Wird nass werden und von der Sonne ausbleichen. Solange sie hängt, wird sie eine wichtige Geschichte erzählen: hier wohnt jemand. Eine. Die hat eine Entscheidung getroffen. Für sich, für ihre Familie, für die, die kommen, für die, die das Land erobern wollen, für die, die zu Israel gehören. Eine Entscheidung gegen die eigenen Landsleute, gegen die eigene Stadt. Die rote Schnur erzählt davon. Vom Verhandeln und der Abmachung, vom Schwur und wie so Leben gerettet werden wird. Die rote Schnur erzählt von einer Frau, ungebunden und selbstbestimmt. Die sich nicht unterordnet, nicht brav zu allem nickt. Die selbst entscheidet und die sich anrühren lässt von einem Gott, der so ganz anders ist, die erkannt hat, welche Stärke im Gottvertrauen liegt.
Die rote Schnur erzählt von Rahab, offen, weit, bedeutet ihr Name. Rahab, die Ausländerin, die sogar im Stammbaum von Jesus wieder auftaucht. Als eine von nur vier Frauen insgesamt, die namentlich dort erwähnt werden in der langen Reihe der Männer von König David bis Jesus. Die Tradition und viele Übersetzungen sprechen von Rahab als Hure, Prostituierte. Und sofort entstehen Bilder im Kopf und kämpft man in Gedanken mit Vorurteilen.
Die rote Schnur am Fenster wurde zum Symbol für eine Entscheidung, die Entscheidung eines Menschen und ihre Folgen. Ob am Ende gut oder richtig, falsch oder schlecht – das ist wohl eine Frage der Perspektive. Und die einen sagen: „Verräterin“ – warum hast du die Kundschafter Josuas gedeckt? Warum hast du nicht die Wachen gerufen? Warum gibst du deine Heimatstadt fremden Eroberern preis? Und die anderen sagen: „Kluge Frau“ – du hast erkannt, in wessen Namen sie kamen. Und wer in Gottes Namen kommt, der kommt mit Macht und Kraft, denn Gott ist mit ihm und du tust gut daran, Gottes Stärke anzuerkennen. Und wieder andere sagen: „Rahab, du Lebensretterin“ – du hast versucht, Unheil abzuwenden und so viel Leben zu retten, wie es dir möglich ist.
Rahab hat gehandelt. Rahab hat eine Entscheidung getroffen. Die rote Schnur dient als Vorbild bis heute: Menschen stellen Lichter ins Fenster, hängen Banner daraus, schreiben Parolen an die Fensterscheibe. Manche tun das, um zu zeigen, wofür unser Herz schlägt, wofür sich die entschieden haben, die dahinter wohnen. Mal mehr, mal weniger subtil und erkennbar, aber immer ein Statement. Viele trauen sich das nicht. Zeigen nicht so offen, was sie denken, fordern, wünschen. Rahab ist anders. Sie zeigt sich. Zeigt, wofür ihr Herz schlägt. Dafür der rote Faden – damals im Fenster in Jericho.
Ein roter Faden, den Rahab aus dem Fenster hängt – eine Frau, die vor Jesus auf die Knie geht – warum handeln die Frauen, wie sie handeln? Aus tiefster Glaubensüberzeugung? Oder um die eigene Haut zu retten oder die des eigenen Kindes? Egal um welchen Preis?
Ich stehe neben den beiden – neben Rahab in Jericho und der Mutter, die Jesus um Heilung für Ihr Kind anfleht - und dann bin ich bei mir und frage mich: wenn es um mein Leben und das meiner Liebsten ginge – nach welchen Strohhalmen griffe ich? Was würde ich alles versuchen und ausprobieren, in welchen Wind würde ich mein Fähnchen hängen?
Gäbe es rote Linien, bei denen mein Gewissen „Halt“ ruft.
Oder hängt alles damit zusammen, wem ich vertraue, auf wen ich baue und wer am Ende am stärksten ist und Erfolg verspricht?
Rahab bekennt klar und deutlich gegenüber den israelitischen Kundschaftern:
„Denn der Herr, euer Gott, ist Gott,
oben im Himmel und unten auf der Erde.“
Ein klares, ein eindeutiges Bekenntnis zu Gott und das erste Mal, dass im verheißenen Land der Gottesname laut ausgesprochen wird.
Nicht von einem Israeliten, nicht von einem Priester oder Anführer.
Sondern von Rahab, einer Frau, die wahrscheinlich mehr vom Hörensagen als aus erster Hand von diesem Gott gehört hat.
Gott mit diesem geheimnisvollen, wunderbaren Namen „Ich bin da“
Gott, der einen Bund mit den Menschen schließt und
Dessen Unterschrift der Regenbogen ist
Gott, der sich ein kleines, unbedeutendes Volk aussucht und verspricht ihr Gott zu sein, bis ans Ende der Welt,
Gott, der eines Tages beschließt Mensch zu werden – doch davon weiß Rahab noch nichts,
aber sie ahnt und spürt vielleicht etwas von der Größe und Kraft und vor allem von der Liebe dieses Gottes.
So wie die kanaanäische Frau , die auch ahnt und spürt: Jesus ist besonders. Ohne ihn wirklich zu kennen, ohne ihr Ahnung in passende Worte fassen zu können. Doch auch in dieser Begegnung schimmert ein tiefes Vertrauen: Du, Jesus, kannst, was andere nicht vermögen. Gott ist mit dir.
Und beide, Rahab und die namenlose Frau, beide Ausländerinnen, sehen sich erst einmal konfrontiert mit der scheinbaren Tatsache: Gott ist exklusiv, Jesus auch. Nur für das eine Volk. Für Israel.
Doch dann öffnet sich Gott, und wird ein universaler Gott für alle, die ihm vertrauen und sich zu ihm bekennen. Durch Worte und Taten oder eine rote Schnur. Was nun zählt ist nicht mehr die Zugehörigkeit zu einem Volk, sondern das individuelle Vertrauen, der eigene Glaube. Glaube wächst langsam und Vertrauen braucht Zeit. Im Wahrnehmen der Geschichte von Rahab und der kanaanäischen Frau und der Frage, warum verhalten sich die beiden so, muss man das auch gar nicht gegeneinander ausspielen, finde ich: das starke und vertrauensvolle Bekennen und die verzweifelte Sehnsucht, Hilfe zu erfahren.
Ist es nicht anfangs viel öfter ein tastendes Suchen, ein vorsichtiges Erforschen und Annähern, gerade wenn es um Vertrauen geht, das wachsen muss. Ein Versuchen und ein Testen – bis ich mir sicher bin, dieses Vertrauen wird nicht enttäuscht, dies ist eine Beziehung, die hält. Ein Gott, der zu seinem Wort steht, verbindlich und verlässlich.
Die Sehnsucht ist groß bei Rahab –
Sie will, sie braucht Sicherheit.
Für sich selbst, für ihre Lieben.
Was die Zukunft für Jericho bringt ist nicht absehbar.
Scheinbar ändern sich gerade die Machtverhältnisse.
Die rote Schnur am Fenster ist Rahabs Versicherung
Rahabs Hoffnung
Und Rahabs Vertrauen darauf,
dass es eine Lösung gibt.
Dass Leben miteinander möglich ist.
Dass man sich nicht feindlich gegenüberstehen muss.
Die Leute aus Jericho und die Israeliten.
Dass es für sie eine Verbindung, eine Gemeinsamkeit gibt:
Das Vertrauen auf Gott,
„Denn der Herr, euer Gott, ist Gott,
oben im Himmel und unten auf der Erde“ sind Rahabs Worte dafür.
Was für ein Entgegenkommen!
Mir fallen noch viele weitere Gemeinsamkeiten ein,
die Menschen verbinden.
Auch heute.
Auch heute in Israel und Palästina,
dieses so verwundete Stück Erde,
in dem so gerungen wird um jeden Zentimeter
getrieben von der ungestillten Sehnsucht nach
Heimat, nach Sicherheit, nach Geborgenheit
Auf beiden Seiten.
Und auf beiden Seiten nicht nur die, die es böse meinen, sondern Menschen,
die einfach nur leben wollen,
in Frieden, mit ihren Lieben,
ein Dach über dem Kopf und Brot auf dem Tisch,
ein Platz zum Spielen für die Kinder
und ein Platz im Schatten zum Sitzen für die Alten
einen Ort, wo du in Frieden wohnen kannst.
Die Sehnsucht danach verbindet beide Seiten – wie ein roter Faden.
Das ist so wenig
Und gleichzeitig so viel.
Es ist alles, was man zum Leben braucht.
Schalom, salam – die Worte klingen gleich und haben die dieselbe Wurzel, dieselbe Herkunft.
Bedeuten dasselbe. Ein roter Faden, der beide Worte verbindet.
Und die Sehnsucht pocht laut
Und es tut weh. In dieser Woche des Gedenkens an die Opfer des 7. Oktober so sehr, dass es keine Worte dafür gibt.
alles, was zerstört wurde
Alles, was es nicht mehr gibt
Jeder Mensch, der fehlt.
Jeder Mensch, der noch gefangen ist.
Verwundete Seelen, vernichtete Hoffnungen, zerstörte Leben.
Da erscheint Rahab am Fenster und knüpft ihren Faden. Unermüdlich, unerschrocken, voll Vertrauen. Als wolle sie fragen:
Wo ist die rote Schnur, die Vertrauen im Voraus schenkt, hier und heute?
Ist das überhaupt noch möglich,
nach allem, was geschah in den letzten zwei Jahren und in den Jahren davor.
In den Jahrzehnten davor.
Diese Sehnsucht nach Heimat und Sicherheit und Geborgenheit.
Immer wieder enttäuscht, immer wieder auf der Kippe, immer wieder verletzt.
Die Sehnsucht ist groß heute und damals bei Rahab.
Und das Vertrauen.
Die rote Schnur damals in Jericho, ein Vertrauensvorschuss, getragen von der Hoffnung
Und von einem Versprechen, das sich an Gott gebunden hat.
Und das von beiden Seiten gehalten wird.
Gott ist treu. Und Rahab und die israelitischen Kundschafter sind es auch.
Weil sie sich beide an Gott binden in ihrem Versprechen.
Deshalb funktioniert das mit der roten Schnur bei Rahab.
Rückgebunden an einen Gott, den Rahab selbst vielleicht nur ahnt, dem sie aber trotzdem vertraut.
„Denn der Herr, euer Gott, ist Gott,
oben im Himmel und unten auf der Erde.“
Und dann, dann kann ich mich darauf verlassen. Auf die rote Schnur. Auf die Entscheidung.
Das es gut wird. Weil ich darauf vertraue und Gott verspricht: ich bin treu.
Und ich hoffe und bete und vertraue darauf, dass es eines Tages wieder so sein wird, im Land, in dem Milch und Honig fließen und Menschen in Frieden zusammenleben. Weil mehr verbindet als trennt, weil es Vertrauen gibt. Das Zeit braucht und in Gott gründet.
Ein feiner roter Faden. Ich nehme ihn auf.
Amen
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.