Nun beginnt die Zeit ohne Insekten. Jedenfalls hab ich das Gefühl, dass alle Maden, Motten, Mücken, die wir vergassen zu zerdrücken, nun von selber sterben. Der Herbst endet langsam und der Winter steht in den Startlöchern. Und so manch einer blickt zurück auf die vielen Insekten, die er eben doch zerdrückt hat in den letzten Monaten. Einer, der das selten tat, einer, der die Wesen, die ihn umgaben - selbst die Kleinsten - gern leben ließ, war Erich Fried und das hatte folgenden Grund:
Als Kind wusste ich:
Jeder Schmetterling
Den ich rette
Jede Schnecke
Und jede Spinne
Und jede Mücke
Jeder Ohrwurm
Und jeder Regenwurm
Wird kommen und weinen,
wenn ich begraben werde
Einmal von mir gerettet
Muss keines mehr sterben
Alle werden sie kommen
Zu meinem Begräbnis
Als ich dann groß wurde
Erkannte ich:
Das ist Unsinn
Keines wird kommen
Ich überlebe sie alle
Jetzt im Alter
Frage ich: Wenn ich sie aber
Rette bis ganz zuletzt
Kommen doch vielleicht zwei oder drei?
Leben lassen – so soll es sein. Uns allen eine gesegnete Nacht.
Quelle: Erich Fried: „Zu guter Letzt“. Vorübungen für Wunder. Gedichte vom Zorn und von der Liebe, Berlin 1999, S. 27.

