01.07
2024
06:50
Uhr

Daniel Vorpahl

Ein Beitrag von Daniel Vorpahl

In meinen religionswissenschaftlichen Seminaren werden mir immer wieder Fragen nach der Religionsfreiheit gestellt, zumal wenn diese mit anderen Freiheitsrechten in Konflikt steht. Die freie Ausübung einer Religion dürfe doch nicht über freier Meinungsäußerung oder Gleichberechtigung stehen, sagen manche Studierende dann. Andere vertreten hingegen die Meinung, dass beispielsweise All-Gender-Toiletten die Religionsfreiheit einschränken würden.

Wenn Studierende etwas auf diese Art infrage stellen, erkläre ich ihnen zunächst einmal, dass ihre Frage bereits wertet und dadurch die Beantwortung vorwegnimmt. Sie nehmen an, die Freiheit der anderen sei unberechtigt, da sie ihre eigene Freiheit einschränkt. Das Problem ist nur: dieser Spieß lässt sich genauso gut umdrehen. Was bleibt, ist ein Konflikt zwischen zwei Freiheitsansprüchen. Meine Aufgabe als religionswissenschaftlich arbeitende Person sehe ich darin, in solchen Situationen Perspektivwechsel anzuregen, aber auch zu hinterfragen, warum an bestimmten Dingen festgehalten wird und woher diese überhaupt kommen. Am Ende steht in der Regel noch keine Lösung des Konflikts, aber die Studierenden sind sich der Tragweite des Problems bewusster geworden. Meist behalten Sie ihre Meinung, können die der anderen Seite aber besser nachvollziehen. 

Freiheit und Demokratie werden häufig in einem Atemzug genannt. Für mich ist Demokratie eine Form der Mitbestimmung, bei der es vor allem um Verantwortung geht und demnach immer auch um die Freiheit der anderen. Dabei bedeutet Religionsfreiheit für mich bzw. in meiner Arbeit in erster Linie das Abbauen von Religionsfeindlichkeit. Ich zeige aber auch auf, dass Religionskritik häufig aus den Religionsgemeinschaften selbst kommt und dort konstruktiv wirkt.

Ein Großteil meiner religionswissenschaftlichen Arbeit gilt der Hebräischen Bibel, die ja alles andere als demokratisch ist. Trotzdem finden sich dort Textstellen, die von einer Reflexion und Einsicht Gottes bezüglich der Vielfalt und des freien Willens der Menschen handeln. So heißt es, dass Gott nach der Sintflut erkläre, eine solche Auslöschung allen Lebens nicht zu wiederholen. Dazu gehört auch die Einsicht, dass die binär gedachte Bestenauslese der Arche ein Irrweg war. Menschen wie Abraham oder Moses müssen Gott später davon abhalten, dieses Versprechen zu brechen und stattdessen auch die Rechte von Minderheiten zu wahren. Das macht ihre Beziehung zu Gott bei weitem nicht demokratisch. Aber sie hinterfragen das Verhältnis von Fremdbestimmung und Mitbestimmung. Und ich glaube, nur so kann Zusammenleben dauerhaft funktionieren, mit ständigen demokratischen Aushandlungsprozessen.