Ich war 5, 6 oder 7 Jahre alt. So genau weiß ich das nicht mehr, aber auf jeden Fall übte der Fernseher eine große Faszination auf mich aus und zu meinem Leidwesen lief dort meist nicht die Sendung mit der Maus und noch seltener Disneyfilme, dafür aber täglich die Tagesschau. Mit viel Politik, ich sah Menschen, die streng guckten, laut und abgehackt über Themen sprachen, die ich nicht verstand. Und wenn ich dann fragte, warum die Menschen mit ihren Sakkos und Schulterpolstern so streng guckten und so aggressiv sprachen, lautete die Antwort: „Das ist halt Politik.“
Mittlerweile weiß ich: Politik ist mehr als das. Zu einer Demokratie tragen nicht nur Kanzler, Ministerinnen und Abgeordnete bei. Demokratie beginnt im Kleinen und Politik gehört in den Alltag. Wenn wir beschließen, dass es auf dem Gemeindefest nur fair gehandelten Kaffee gibt, wenn ich über weibliche Heldinnen der Bibel predige, wenn ich meinen Neuköllner Kitakindern von Vorbildern vorlese, die so aussehen wie sie selbst: Das alles ist politisch. Das alles sind Aktionen, die Menschen zeigen: Ich sehe dich. Ich achte dich, deine Rechte und deine Würde. Du gehörst dazu.
Heute würde ich sagen, dass ich eigentlich schon immer ein sehr politischer Mensch war – ja selbst damals im Grundschulalter – mit einem großen Herz für Umweltschutz und die Rechte von Mädchen und Frauen. Wo ich Ungerechtigkeit sehe, kann ich nicht leise bleiben, so war ich schon immer. Allerdings hat es sicherlich zwei Jahrzehnte gebraucht, bis ich mit dem Wort „Politik“ für mich etwas anfangen konnte – weil ich eben nie Sakkos und Schulterpolster trage und weil ich auch nicht laute, abgehackte Reden halte.
Aber wenn mich das nächste Mal jemand fragt, was ich da mache, wenn ich die kostenlosen Menstruationsartikel auf unseren Kirchentoiletten auffülle, dann werde ich ganz selbstbewusst und unverschämt antworten: „Ich mache Politik.“
Denn oft sind es die kleinen Dinge, mit denen wir Großes für Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie bewirken können. Wie die prächtige Linde, die mich gerade vor der Sommerhitze schützt, die ist schließlich auch mal eines Tages aus einem kleinen Samen gewachsen.