Pilgern ist kein Spaziergang. Schon als Jugendlicher bin ich jedes Jahr Ende August mit Leuten aus meiner Pfarrei an den Marienwallfahrtsort Kevelaer gepilgert. Die holländische Grenze ist ganz nah. Meine Heimatgemeinde pilgert dahin seit über 380 Jahren. Damals waren es ereignisreiche Jahre am Niederrhein. Kevelaer war zweigeteilt wie Berlin vor nun über 35 Jahren. Seit 1614 verlief durch Kevelaer die Grenze zwischen den spanisch-katholischen Niederlanden und dem protestantischen Kurbrandenburg.
Der Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg hatte Ansprüche auf das Herzogtum Kleve. Durch einen Vertrag gelang es Brandenburg-Preußen, sein Gebiet im Rheinland und in Westfalen zu erweitern. Ein Jahr zuvor war der Kurfürst im Berliner Dom vom lutherischen zum reformierten Glauben übergetreten. Am Hof war man nun calvinistisch, während das Volk lutherisch blieb. Dies war ungewöhnlich für die damalige Zeit. Trotz unterschiedlicher Glaubensrichtungen lebten die Menschen friedlich miteinander. In Berlin ticken die Uhren eben anders.
Auf der Museumsinsel in Berlin läuft bis heute ein Pilger herum. Es ist eine mannshohe Holzskulptur im Bode-Museum, eine würdige Erscheinung. Er hat eine große Tasche auf dem Rücken und trägt Hut auf lockigem Haar. Sein freundliches Gesicht schaut neugierig und zuversichtlich. Über dem Gewand schützt ihn ein roter wallender Mantel vor Wind und Wetter. Mit gutem Schuhwerk und einem Rosenkranz aus Bernstein in der Rechten kann ihn nichts aus der Ruhe bringen. Wie lange mag er schon unterwegs sein nach Santiago de Compostela? Ist er den Pommerschen Jakobsweg gegangen von Litauen an der Küste entlang bis nach Stettin und dann auf der Via Imperii weiter nach Berlin, Leipzig und Nürnberg? Das Pilgern ist in den letzten Jahrzehnten zu einem Volkssport geworden, spätestens seit dem Reiseberich des Entertainers Hape Kerkeling: „Ich bin dann mal weg.“