28.10
2024
06:50
Uhr

Gelassenheit

Manchmal ist es schwer, aus einer verfahrenen Situation wieder herauszukommen. So wie an einem Montag, an dem ich das Pech hatte, jemandem über den Weg zu laufen, für den die Woche offenbar richtig schlecht begonnen hatte. Unsere Wege kreuzten sich in der U-Bahn. Der Zug war voll, rumpelte und wackelte, wie es die älteren Wagen häufig tun. Alle versuchten sich irgendwo festzuhalten. Auf der Suche nach einem sicheren Griff berührte ich den Arm einer neben mir stehenden Frau. Ich entschuldigte mich zwar reflexartig, aber aufrichtig. Was ich nicht erwartet hatte: die Frau beschimpfte mich lautstark, machte sich über mich auf alle möglichen Arten lustig - aus heiterem Himmel. Ich schwieg. Kurz darauf sah ich die Frau aussteigen. Erst jetzt ärgerte ich mich richtig. Eigentlich war ich außer mir. 

Um mich zu trösten, hätte ich mir nun auszumalen können, was für Schwierigkeiten und Probleme die Frau wohl den Tag über haben würde, wegen ihrer ungerechtfertigten Attacke auf mich. Das als geheime Rachefantasie zu bezeichnen, trifft es eigentlich ziemlich genau. Aber wollte ich das? Und hatte ich überhaupt das Recht dazu, jemand mir völlig Fremdem etwas Schlechtes an den Hals zu wünschen? Dazu zweimal ein klares Nein!

Ich stellte fest, dass ich mich in Gedanken erstmal mit nichts anderem beschäftigen konnte als mit diesem Erlebnis, dass ich wie angekettet war an diese Ungerechtigkeit. 

Wenn einem so etwas passiert, hat man eigentlich nur eine vernünftige Möglichkeit. Es hilft nur, sich klarzumachen, dass die erfahrene Kränkung der Frau nichts mit mir persönlich zu tun hatte. Ich hatte nur einfach das Pech, ihr zufällig über den Weg gelaufen zu sein.

Ich werde mir über das Unrecht der Frau klar und setze damit der Kränkung ein Ende. Ich kehre zu mir zurück. 

Meine Stimmung an diesem Tag, die so ramponiert worden war, wurde übrigens gerade dadurch besser, dass ich Menschen begegnete, die mich genau so liebenswürdig behandelten wie immer. Darum konnte es für mich noch ein guter Tag werden - und nicht einer, dessen unschönen Beginn ich an andere weiterreiche.