14.01
2025
06:50
Uhr

Wunder

Ein Beitrag von Cordula Machoni

Ein normaler Morgen am Bahnhof Alexanderplatz.

Drei Jugendliche hocken auf dem schmutzigen Boden. Sie schnüffeln an irgend etwas. „Hey, nich so viel“, sagt der eine zu dem Mädchen, „du weißt gleich nich mehr, was du tust.“ Das Mädchen sagt, „ich hab solche Kopfschmerzen“, der Junge: „Hab ich dir doch gesagt.“
Eine Straßenbahn fährt ein. Da schleicht ein alter Mann mit winzigen, unsicheren Schritten zur Bahn. Als er zur Tür kommt, stößt er einen hohen Schrei aus, erst drinnen im Wagen, hört er auf. Und da, die zwei Menschen, die durch die Bahnhofshalle hasten. Sie rempeln einander an. Der Blick aufs Handy hat ihnen den Blick füreinander versperrt. Beide tragen Kopfhörer. Sie schauen einander kurz an. In den Blicken liegt nichts Freundliches. 

Kein Wort kommt ihnen über die Lippen. Als würden die verstopften Ohren sie stumm machen. Im Bruchteil einer Sekunde hasten sie weiter. 

Ich denke: Gott, lass ein Wunder geschehen! Mach die Menschen heil, die Jungen dort und den Alten hier... Heile die Not und den Schmerz in unserer Stadt! 
Und ich stelle mir vor, dass die unzähligen Menschen, in deren Ohren Kopfhörer stecken für einen Moment das Gleiche hören. Worte, die so etwa klingen: „Schau dich um. Nimm deine Mitgeschöpfe wahr. Mach dir bewusst, dass sie genauso bedürftig sind wie du.“ 

Das wäre mal ein Wunder!

Heute will ich nach Wundern Ausschau halten. Will mit einem freundlichen Gesicht Wunder wirken. 

Gerade denen gegenüber, denen keine Zukunft winkt oder denen nie jemand was anderes gezeigt hat. Auch denen gegenüber, die durch die Bahnhofshalle hasten oder mir in der Bahn gegenübersitzen. Und ich will Gott das Leid des alten Mannes hinhalten, der schreit, weil er Angst hat. Weil er nicht mehr mitkommt mit der Geschwindigkeit unserer Zeit. Will bitten, dass Gott bei ihm ist. Es kann sein, es geschieht kein Wunder, es kann aber auch sein, dass ich bloß nicht dabei bin, wenn es geschieht. Aber wenn ich einmal dabei bin, beim Glück eines anderen, dann will ich staunen und loben und ganz laut sagen: Wunder gibt es immer wieder. Ich wünsche Ihnen einen wunder-vollen Tag.