Die Kirchturmuhr am Abend schlägt 10 Uhr. Bei dem mächtigen Glockenschlag: Bong, Bong, Bong, zehn Mal, springt mich ein altes Lied an. Es ist das Nachtwächterlied.
Erst in einem Vierertakt:
„Hört, ihr Herrn und lasst Euch sagen, unsre Glock‘ hat zehn geschlagen,
zehn Gebote setzt Gott ein; gib‘ dass wir gehorsam sein.“
Und dann fröhlicher, bewahrender, ein Dreiertakt:
„Menschen wachen kann nichts nützen, Gott muss wachen, Gott muss schützen!
Herr, durch Deine Güt‘ und Wacht schenk uns eine gute Nacht“.
Die Nachtwächter haben früher die ganze Nacht hindurch jede Stunde einen Vers laut und vernehmlich gesungen, noch ohne Megaphon und Lautsprecher. Sie wanderten zum Schutz für die schlafenden Einwohner durch die Gassen, sollten gegebenenfalls Einbrecher dingfest machen und eventuell entstehende Brände melden.
Dieser eindringliche und doch beruhigende Vers nach der Zeitansage schenkt Gelassenheit. Und so bitte ich: „Herr, durch Deine Güt‘ und Wacht schenk uns auch heute eine gute Nacht“!
Der Zupfgeigenhansel Verlag B. Schott’s Söhne, 10. Auflage, Mainz 1913, S. 116f.