Traurige Frau am See Traurige Frau am See
Traurige Frau am See
12.06
2025
21:58
Uhr

Meine traurige Nachbarin

Ein Beitrag von Juliane Rumpel

Immer wieder abends sucht sie Trost, weil immer wieder abends die Trauer zu Besuch ist. Tagsüber geht’s, aber abends klopft und klingelt sie so lange, bis ihr die Tür geöffnet wird.
Dann nimmt sie Platz, auf der Couch oder am Tisch, auf der Sessellehne oder vor dem Fernseher. Da sitzt die Trauer dann und geht nicht weg, bevor sie nicht einschläft.

Das ist ganz schön anstrengend, aber gleichzeitig will sie auch nicht, dass es aufhört. Sie weiß nicht, was sie tun soll, wenn die Trauer mal nicht mehr kommt. Wie werden die Abende dann werden?
Ich hoffe sehr, dass diese Zeilen helfen können. Ich habe sie meiner traurigen Nachbarin gestern in den Briefkasten geworfen:

Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust,
wird es dir sein, als lachten die Sterne,
weil ich auf einem von ihnen wohne,
weil ich auf einem von ihnen lache.
Du allein wirst Sterne haben,
die lachen können.

Ich hoffe, dass meine Nachbarin heute gut schläft und uns allen wünsch ich auch eine ruhige Nacht.

Quelle: „Sterne“ von Antoine de Saint-Exupéry, abgedruckt in: Christian Buchholz & Thomas Mäule (Hrsg.): Eine Seelenapotheke. Texte zum Abschied vom Leben, Göppingen 2019, S. 39.