24.07
2024
06:50
Uhr

Atemlos durch die Nacht

Es ist schneller dunkel geworden als gedacht und das letzte Stück des Weges geht es durch ein kleines Wäldchen. Es gibt zwar Straßenlaternen, aber ausgerechnet hier ist keine einzige an. Weit und breit keine Menschenseele. Ich bin ungefähr 9 Jahre, sitze auf meinem Fahrrad und trete in die Pedale, was das Zeug hält. Ich starre gerade aus ins Dunkle und … singe aus voller Kehle. Ich weiß nicht mehr welches Lied, aber damals hat das funktioniert. Die Angst war nicht ganz weg, aber auszuhalten. Das Singen hat mir Mut gemacht.

Auf die Frage, warum Menschen singen, gibt es viele Antworten. Heute streiten sich die Forscher, ob der Mensch zuerst sprechen oder singen konnte. Bei den heute noch existierenden Naturvölkern gehört das gemeinsame Singen jedenfalls zum normalen Tagesablauf. Vielleicht sind Menschen auf die Idee gekommen zu singen, weil es so viele positive Auswirkungen auf unser Befinden hat. Singen macht nicht nur Mut, sondern schüttet einen ganzen Glücks-Cocktail aus: Endorphine, Serotonin, Dopamin und Adrenalin. Zeitgleich werden Stresshormone wie Cortisol abgebaut. Schon nach dreißig Minuten Singen produziert unser Gehirn Oxytocin, das sogenannte Kuschel- oder Bindungshormon. 

Bindung könnte ein Schlüssel zur Lösung des Rätsels um das Singen sein. Die Menschen früher waren viel mehr als heute auf Gemeinschaft angewiesen. Allein hatte man kaum eine Chance - egal ob es darum ging lautstark wilde Tiere zu vertreiben oder, wenn es dunkel wurde, endlich die Kinder zur Ruhe zu bekommen. Letzteres hat sich bis heute nicht verändert, auch wenn die kleine Nachtmusik mittlerweile aus der Toni-Box kommt.

Singen kann beruhigen und trösten, das weiß jeder der Kinder, Enkelkinder oder eine demente alte Tante hat. Singen schafft Gemeinschaft - ob beim ESC oder in den Stadien während der Fußball EM.

Menschen singen. Welche Lieder, das ist dann fast egal. „You’ll never walk alone“, „Großer Gott wir loben dich“ oder „Atemlos durch die Nacht“, Johann Sebastian Bach oder Taylor Swift. Es macht uns glücklich und gibt uns Hoffnung. Dinge, die wir in diesen Tagen gut gebrauchen können. Es schafft Gemeinschaft und Verständigung, über alle Barrieren hinweg. Vielleicht versuchen Sie es auch mal - unter der Dusche, vor dem Fernseher, beim Fußball oder in der Kirche, je nachdem wie es grade passt.