25.07
2024
06:50
Uhr

Ich sehe was, was du nicht siehst

Ich sehe was, was du nicht siehst

Sind es meine Socken? Nein. Ist es das kleine Kreuz über der Tür? Nein. Der Beutel der alten Dame, die neben uns sitzt? Auch nicht. Ich sehe was, was du nicht siehst.  Kennen Sie auch, oder? Es verkürzt so mache langweilige Bahnfahrt und hilft, wenn die Kinder oder in meinem Fall die Enkel vor lauter Langeweile auf dumme Gedanken kommen.

Was dabei passiert ist erstaunlich und ich meine nicht, dass die Kinder nicht mehr wild durch den Zug toben. Ich sehe plötzlich Dinge um mich herum, die ich bis dahin gar nicht wahrgenommen habe, auch wenn wir schon eine halbe Stunde in diesem Zug sitzen. Die Aufmerksamkeit ist eine seltsame Sache und glaubt man den Spezialisten kommt sie uns immer mehr abhanden. Oder besser gesagt: Wir kommen mit unserer Aufmerksamkeit nicht mehr hinterher. Zu viele Bilder und Eindrücke, real und digital, in einer Welt, die immer bunter und immer lauter wird, die zappelt und flimmert - und das ohne Pause. 

Ich sehe was, was du nicht siehst: Es schult den Blick gerade auf die nicht so vordergründigen Dinge. Der rote Feuerlöscher unter dem Sitz wäre viel zu leicht zu erraten; also genau hinschauen, den Blick schärfen oder schweifen lassen.

„Wir sehen die Dinge nicht - wie sie sind, sondern wir sehen die Dinge - wie wir sind.“ Seit meiner Frau ihr Fahrrad gestohlen wurde, sehe ich plötzlich überall in der Stadt grüne Räder und die Leute, die in unserer Straße unterwegs sind, sehen alle irgendwie verdächtig aus. Unsere Sicht auf die Welt ist nicht objektiv. Ich sehe das, was ich kenne oder erwarte, was ich gelernt habe, was meinen Sehgewohnheiten entspricht.

Die junge Frau mit afrikanischen Wurzeln, die mir im Krankenhaus auf dem Flur begegnet und die ich freundlich grüße, weil sie hier sauber macht - und die dann zur Visite ins Zimmer kommt und sich als Oberärztin vorstellt… Wie im Spiel muss ich auch im Alltag üben, genau hinzusehen und hinter die Fassaden zu schauen. Ich bin mir sicher: Es gibt einiges zu entdecken!

In der Bibel steht: „Selig, die nicht sehen und doch glauben.“ Und ja, da ist in meinem Leben auch noch etwas, das ich oft nicht klar sehen oder erkennen kann und doch ist es da und trägt mich. So - glaube ich - ist die Liebe und ist Gott. Und auch wenn ich ihn nicht sehen kann, ich spüre - er schaut mich an.