31.05
2024
06:50
Uhr

Die Glut des Tuns trübt

Im Sommersemester 1923 hielt der Religionsphilosoph und Theologe Romano Guardini an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin, die seit 1949 Humboldt-Universität heißt, seine 1. Vorlesung. Aus einer Mitschrift zitiert die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz folgenden Satz: „Die Glut des Tuns trübt; die Glut des Schauens, der Liebe, ist klar.“ Romano Guardini lehrte in Berlin Katholische Weltanschauung, bis der Lehrstuhl wegen der Unvereinbarkeit mit der nationalsozialistischen Weltanschauung aufgelöst wurde. 

„Die Glut des Tuns trübt.“ Es war Guardini ein großes Anliegen, die Wirklichkeit ungeschminkt anzusehen. Er erkannte, dass Menschen manchmal so sehr von etwas überzeugt sind, dass sie nur noch sehen, was sie sehen wollen. Der leidenschaftliche Blick wählt aus, lässt weg, verdrängt oder unterstreicht etwas, was keinen Nachdruck verdient. 

Für Guardini war Gott Licht. Seine Religionsphilosophie prägte der Grundgedanke, dass dieser Gott und der katholische Glaube an ihn nicht den Blick auf die Wirklichkeit einengen, sondern weiten. Angstfrei und ohne Absicht sollten Katholiken auf das schauen, was ist. Guardini sah die Gefahr, dass Menschen sich zu sehr von eigenen Interessen leiten lassen in dem, was sie sehen, wie sie urteilen und was sie tun. Extrempositionen seien ihm fremd gewesen seien.

Übereifer führt in Ideologien hinein, zu große Leidenschaft macht blind, zu viel Aktion trübt den Blick. Vielleicht braucht es in unserer Zeit Menschen wie Romano Guardini, die im Vertrauen auf Gott die Wirklichkeit anzuschauen wagen, wie sie ist. Menschen, die nicht panisch auf Gefahren und Risiken reagieren. Menschen, die nicht nur auf das vertrauen, was sie können und wollen, sondern die heutige Wirklichkeit größer denken: Sehen was ist und die Chance erkennen, dass mit Gott mehr möglich ist, als wir Menschen uns ausdenken.