27.10
2025
06:50
Uhr

Herbstferien

Unterwegs sein

Ein Beitrag von Michael Lohausen

Es sind Herbstferien. Ein paar freie Tage, in Berlin und Brandenburg sogar zwei Wochen. Manches ist möglich, was außerhalb der Ferien nicht mal eben so geht und worauf wir uns in den letzten Wochen schon freuen konnten: Morgens lange ausschlafen. Winterklamotten kaufen. Die Wohnung dekorieren. Spazieren gehen. Sich mit Freunden auf Kaffee und Kuchen verabreden. Den Garten winterfest machen.

Viele haben aber auch ihre Rucksäcke und Koffer gepackt. Sie wollen los, einen Ausflug unternehmen, zwischendurch mal rauskommen aus dem Alltag. Für zwei, drei Tage, oder noch einmal richtig in den Urlaub fahren, bevor es kalt und ungemütlich wird.

Ryszard Kapuscinski war ein polnischer Reporter, der sein Leben lang überall auf der Welt unterwegs war. Er schrieb einmal, dass in ganz früheren Zeiten die Leute sich oft gefragt haben, ob jemand, der auf einer Reise war und bei ihnen Halt machte, „ein Mensch war oder ein Gott, einem Menschen ähnlich“. Deshalb brachte man jedem Fremden Gastfreundschaft entgegen – man konnte ja nie wissen.

Diese Anekdote hat mich berührt. Denn dahinter steckt eine Haltung, die ich faszinierend finde: Jede Begegnung könnte heilig sein. Jeder Mensch, dem ich begegne, könnte mir etwas Kostbares schenken, eine Erfahrung, eine Perspektive, die mein Leben bereichert. Wenn wir reisen, sind wir selbst diese Fremden. Wir sind diejenigen, die ankommen, die auf Akzeptanz hoffen, auf ein freundliches Wort, eine helfende Hand.

Und gleichzeitig begegnen uns auf Reisen Menschen, die uns fremd sind. Im Hotel, im Zug, auf dem Marktplatz in der Stadt, in der wir Urlaub machen. Ich glaube, dass eine Reise uns die Chance gibt, diese alte Weisheit neu zu entdecken: jedem Menschen so entgegenzukommen, als könnte in ihm etwas Göttliches verborgen sein. Mit Neugier, und Respekt.

Vielleicht ist das das eigentliche Geschenk, das auf einer Reise gefunden werden kann, nicht nur neue Orte zu sehen, sondern neu sehen zu lernen. Die Menschen, die Welt, und somit auch etwas mehr uns selbst.