In der Neuen Nationalgalerie in Berlin lief gerade eine Ausstellung über die brasilianische Künstlerin Lygia Clark. Ich war da und muss sagen: Das war eine ganz besondere Erfahrung. Denn bei dieser Ausstellung ging es nicht nur ums Angucken – man wurde selbst Teil der Kunst.
Clarks sensorische Objekte haben mich besonders fasziniert: Brillen, Masken und Anzüge, die darauf ausgelegt sind, die sinnliche Erfahrung auf den ganzen Körper auszuweiten. Man setzt sich eine Brille auf und schaut plötzlich durch Spiegel in die eigenen Augen. Man schlüpft in einen Plastikanzug und riecht auf einmal Rosmarin. Man berührt Materialien, bewegt Objekte, interagiert mit anderen Menschen im Raum.
Was erst einmal spielerisch wirkt, hat eine tiefe Bedeutung. Clark wollte zeigen, dass Kunst nicht nur etwas ist, das man von außen ansieht. Kunst kann uns verändern, unsere Wahrnehmung weiten, uns neu mit uns selbst und mit anderen in Verbindung bringen. Man kann Kunst nicht nur ansehen, sondern im wahrsten Sinn begreifen.
Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Wie oft nehmen wir die Welt nur noch über Bildschirme wahr? Wann erleben wir sie wirklich mit allen Sinnen? Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen: die Bibel erzählt sehr oft von diesen Erfahrungsmöglichkeiten. Jesus berührte die Menschen, denen er sich zuwandte. Er teilte das Brot und lud zum Schmecken ein. Die Jünger erkannten den Auferstandenen am gemeinsamen Essen. Man benutzte Salben, Parfüms und Räuchermischungen, um damit Lebensfreude auszudrücken.
Ich frage mich, was sich verändern würde, wenn alle Menschen aufmerksamer wären für das, was sie umgibt. Die Textur der Gegenstände, die wir anfassen. Die Gerüche, die wir aufschnappen. Das Lied, das in allen Dingen klingt, aber nur ganz leise, und das schnell übertönt wird in unserer laut gewordenen Welt. Die Nähe zu anderen Menschen. Ich frage mich, was sich verändern würde, wenn wir enger an uns heranlassen würden, was uns berührt – im wörtlichen und im übertragenen Sinn.