„Mama, warum müssen wir immer erst Karfreitag haben? Können wir nicht gleich Ostern feiern?" Mein Sohn war damals acht, stocherte lustlos in Kartoffeln mit Quark und verstand nicht, warum er an Karfreitag nicht fernsehen durfte. In seinen Augen war dieser Tag langweilig und überflüssig.
Ich konnte ihn gut verstehen. Ostern ist mein Lieblingsfest. Aber ich weiß auch: Kein Ostern ohne Karwoche. Wie konnte ich ihm erklären, dass gerade in diesem Durchleben von Dunkel und Licht eine Kraft liegt, die jedes Jahr neu berühren kann?
„Weißt du", sagte ich zu ihm, „Ostern ist wie eine Reise durch alles, was zum Leben gehört. Am Gründonnerstag ist Jesus mit seinen Freunden zusammen, sie essen, trinken und reden – so wie wir es auch gern miteinander tun. Dann kommt der Karfreitag, an dem er ganz allein war, verraten wurde und sterben musste. Das ist sehr traurig, aber auch das gehört zum Leben dazu – denke nur daran, wie traurig wir alle waren, als Oma gestorben ist.
Und dann, nach dieser Dunkelheit, kommt Ostern - mit seinem Licht. Jesus ist auferstanden, das Leben hat gewonnen! In der Karwoche erleben wir wie im Zeitraffer Gemeinschaft und Einsamkeit, Verrat und Treue, Verzweiflung und Hoffnung, Tod und Leben. Von der Dunkelheit ins Licht. Von der Stille zum Jubel. Was gibt es Aufregenderes?
Vielleicht brauchen wir diese jährliche Erinnerung gerade heute besonders, wo so viele Menschen angesichts der Krisen in der Welt verzagen möchten. Ostern sagt uns: Nach dem Karfreitag kommt der Ostermorgen.
Als mein Sohn meine Antwort hörte, überlegte er kurz und meinte dann: „Wie ein gutes Buch, das man mehrmals liest und immer etwas Neues entdeckt?" Genau, dachte ich, so ist es. Und als wir drei Tage später beim Osterfrühstück saßen, strahlte er über das ganze Gesicht und sagte: „Jetzt verstehe ich, warum das Osterfest so besonders ist. Es schmeckt viel besser, wenn man vorher ein bisschen warten musste."
Vielleicht entdecken wir in diesem Jahr wieder etwas Neues in dieser uralten Geschichte, die uns zeigt: Das Leben hat immer das letzte Wort.