02.01
2025
06:50
Uhr

Lichterfest

Was heute los ist? Arbeitsbeginn für die ersten nach vielen schönen Feiertagen. Schulbeginn ganz unbarmherzig. Die Glücklichen liegen noch im Bett und haben frei. Es ist der zweite Tag im neuen Jahr. Und letzter Tag von Chanukka, dem jüdischen Lichterfest. Am Brandenburger Tor kann man es sehen. Dort brennen heute alle neun Kerzen auf einem Riesen-Leuchter. Jüdisches Leben gut sichtbar – mitten in der Stadt. Wie schön! Doch das ist leider nicht die Regel.
Der jüdische Brauch sieht vor, dass die Chanukkia, also der Leuchter für das Fest, gut sichtbar draußen vor die Haustür gestellt wird. Wo das nicht geht, weil man vielleicht ganz oben oder eben in einer Wohnung wohnt, soll man den Leuchter ins Fenster stellen. Damit jeder, der vorbeigeht, draußen sehen kann: Hier feiern jüdische Menschen Chanukka, freuen sich Kinder über Geschenke und Süssigkeiten, essen Sufganiot – Berliner Pfannkuchen – singen Chanukka-Lieder. Fast so wie Weihnachten eben. Doch mal ganz ehrlich: Kennen Sie Chanukka-Lieder? Haben Sie Ihren jüdischen Nachbarn ein frohes Chanukka gewünscht? Wissen Sie überhaupt, ob bei Ihnen nebenan Menschen jüdischen Glaubens leben? Haben Sie einen Leuchter im Vorbeigehen gesehen in den letzten acht Tagen, die das Fest schon dauert? Oder bleibt es bei dem einen großen Leuchter Unter den Linden am Brandenburger Tor?
Eine junge Frau erzählte mir kürzlich, sie trage in der Öffentlichkeit sehr bewusst nichts mehr, was sie als Jüdin nach außen kenntlich macht. Auch keinen Schmuck. Wir sehen kaum Chanukkaleuchter auf dem Fensterbrett nicht, weil das Fest nicht gefeiert wird, sondern weil Jüdinnen und Juden Angst haben müssen, dass das sichtbare Licht Menschen auf sie aufmerksam macht, denen Sie lieber nicht begegnen. Das ist eine Schande. Und ich mag mir nicht vorstellen, wie es für mich wäre, wenn ich mich aus der Kirche nach dem Gottesdienstbesuch möglichst unauffällig aus dem Staube machen müsste, aus Angst, dass mir die Falschen folgen. Der Leuchter steht draußen als Zeichen, das unsere Nachbarn ihr Licht in die Städte und Dörfer tragen und es heller machen in unserem Land. Erst, wenn man das sehen kann, gehört jüdisches Leben tatsächlich zu Deutschland.